„Die Erfindung des Bildes. Frühe italienische Meister bis Botticelli“ im Bucerius Kunst Forum in Hamburg, Teil 1,

 

von Claudia Schulmerich

 

Hamburg (Weltexpresso) – Eigentlich beginnt die Ausstellung ordentlich mit einer Wandbeschriftung „Der Altar in der italienischen Renaissance“, wo erklärt wird, wie aus der Tafel Altarretabeln entstehen. Dazu kommen wir nachher. Wir aber hatten unordentlich den zweiten Schritt vor den ersten gewagt und uns gleich in den Kuppelraum begeben und uns von Botticelli verführen lassen, der doch erst am Ende der Entwicklung von kirchlicher Kunst zum autonomen Kunstwerk steht. Noch dazu können wir diese Blonde, die hier „Bildnis einer Dame“ heißt und um 1475 gemalt wurde, seit jeher nicht leiden, finden sie schiach im Gegensatz zur wunderschönen Simonetta im Frankfurter Städel.

 

 

Aber diese Blonde ist, genauso wie sie hier hängt, typisch. Typisch für die Renaissance. Typisch für Botticelli. Das Typische ist erst einmal die Profildarstellung vor einem Fenster, das bildparallel den Ausblick in die Welt zeigt und eine Dialektik von drinnen und draußen herstellt. Botticelli, ein begehrter Porträtist und überhaupt damals der beliebteste Maler von Florenz, setzt noch eins drauf. Er gibt der Profildarstellung einen Kontext, denn die Blonde blickt durch einen zweiten Ausguck durch ein linkes Fenster. Das sieht man auf den ersten Blick. Auf den zweiten bewahrheitet sich eine alte Bildweisheit, die sagt, daß gerade das, was in größter Klarheit vor unseren Augen liegt, weil es die größte Wirklichkeitsnähe ausstrahlt, gerade diese gleichzeitig verrätselt, die Wirklichkeit also.

 

Schauen Sie sich den ausgestreckten Zeigefinger der rechten Hand unserer damenhaften Blonden an. Eindeutig greift er über den Sims hinaus, also ist hier gar kein Fenster mit Glas, sondern ein offener Ausblick in die Natur mit hohem Baum und Wasser. Aber wenn hier der Ausblick ist, was ist dann mit der Landschaft gleich rechts um die Ecke, für uns im Bildhintergrund. Da ist gar keine Fensterbank, sehen wir jetzt, sondern die leichte Schräge der Holzeinfassung ist eine, die auchn Bilderrahmen haben. Aha, kein Fenster, sondern ein Bild, ein tromp'oeil, das hier im engen Wohnraum die Weite nur vortäuschen soll? Kann sein und was sollten auch zwei Fenster so dicht an der Ecke, die zudem nichts Ähnliches am Fensterzuschnitt haben, auch eine ungleiche Höhe, ungleiche Simse, unharmonisch mit einem Wort.

 

Aber, sagt uns der nächste Blick und der Verstand dazu: Das könnte auch eine echte Landschaft sein, denn das wirkliche Fenster links zeigt eine ähnliche Landschaft, die sich nach rechts fortsetzen könnte. Aber das könnte natürlich Absicht sein, damit wir an die Fortsetzung in der Wirklichkeit glauben. Botticelli spielt mit uns. Und setzt noch eins drauf. Das gerahmte Gemälde ist in einen Bilderrahmen montiert, denn das, was das Gemälde begrenzt, was wir als Bilderrahmen sahen, ist überhaupt keiner, sondern der Tafel als solcher drumherumgemalt, mit der Schräge, mit allen augentäuschenden Zutaten. Allerhand. Und nun?

 

Er stellt die Dame in den Mittelpunkt. Die - mit dem melancholischen Blick, den sonst die Renaissancejünglinge auszeichnet - schaut nach draußen und gleichzeitig in ihr Inneres, so fühlen wir. Alles ist nach innen gerichtet und die äußere Hülle einfach. Ein Hauskleid, mit einem Überwurf, sehr schlicht und ihre Rechte ruht auf einem Buch, in der linken ein Taschentuch. Wieviel Zeit hat sie allein mit der Frisur. Ondulierte Locken wie ein Hautausschlag rahmen ihr Gesicht, während am Hinterkopf ein dicker blonder Zopf gebändigt wird. Und als wir ratlos auf die linke untere Ecke starren, wo sich Gegenstände versammeln, die dort nichts zu suchen haben, lesen wir endlich die Beschriftung zur Rechten, wo uns versichert wird, daß diese Zacken am Rad, der Palmenzweig und der Heiligenschein über ihrem Haupt nachträglich hinzugefügt wurden – nicht von Botticelli natürlich. Im Katalog wird dies bekräftigt, aber auch auf den grünen Mantel mit dem roten Schalkragen ausgedehnt. Ja, stand sie dann urspünglich im weißen schlichten Hauskleid vor uns. Wer soll das sein, der durch die Zutaten zu einer Heiligen Katharina von Alexandria wurde?

 

Und wir stehen immer noch vor dem ersten Bild dieser Ausstellung. Aber so ist es, wenn man sich den Bildern überläßt und einfach schaut. Und es ist gut so. Dies ist ein Ausruhen, wo unser bilderüberflutete Kopf erst einmal wieder das Schauen üben muß. Denn hier kommt es auf jedes Detail an. Und die meisten Gemälde sind klein, sehr klein sogar. Nichts da mit Assoziationen. Der Maler fordert uns. Dabei gilt doch Botticelli mit seiner Venus und dem Frühling als Modemaler, leicht eingängig und süffig. So ist das nicht nur bei Bildern, sondet. rn auch in der Kunstgeschichte. Was gefällig erscheint, versteckt eine Botschaft Botticelli ist sogar einer der Maler, der den Kunsthistorikern größte Rätsel aufgibt und der sein Leben, auch sein Malerleben der religiösen Frage widmete.

 

So lernten das noch die Kunstgeschichtsstudenten gestern. Botticelli habe auf dem Höhepunkt seines Ansehens dem Luxus der Welt abgeschworen, habe sich in Florenz ab 1494 dem Bußprediger Savonarola angeschlossen, dem es gelang, daß die Florentiner die Medici verjagten – die viele Kunstaufträge vergeben hatten -, Botticelli habe sogar seine eigenen Bilder als hoffärtig verbrannt und nun soll das alles nicht wahr sein. Da sieht man mal wieder, daß man sich auf seine eigenen Augen verlassen muß und die deuten diese so übersichtlich erscheinende blonde Dame als ein Bündel von Rätseln, die alle dafür sorgen, daß wir nun schon eine gute halbe Stunde vor diesem Bild stehen, an dem andere vorübergehen und nicken: Ach, ja Botticelli. Das sieht man ja. Ein Halbporträt. Für uns wird es allerdings wirklich Zeit, die eigentliche Ausstellung endlich anzusehen. Fortsetzung folgt.

 

bis 8. Januar 2012

 

Katalog: Die Erfindung des Bildes. Frühe italienische Meister bis Botticelli, hrsg. von Ortrud Westheider und Michael Philipp, Hirmer Verlag 2011

Wer der Sache auf den Grund gehen möchte, kommt am Katalog nicht vorbei. Tatsächlich kennen viele die frühe italienische Malerei kaum. In der Hamburger Kunsthalle ist sie nicht gesammelt, wie auch nicht in München, denn weder Bürgerstädte, noch Residenzen war diese frühe Malerei wichtig, anders als den ersten Museumsdirektoren im Frankfurter Städel, anders als denen in Berlin und schon völlig anders als dem Bernhard August von Lindenau aus Altenburg. An ihm als Beispiel kann man viel lernen, mit welchem Bildungsauftrag der Aufklärung er diese ersten autonomen Bilder zu sammeln begann. Der Katalog untersucht diese über 200 Jahre Malerei unter verschiedenen Fragestellungen, einschließlich der Kunst und Politik der oberitalienischen Stadtstaaten, was als Chronologie aufbereitet sehr informativ das Gleichzeitige wie auch das Vorher und Nachher klärt. Auch wer nur die ausgestellten Werke noch einmal anschauen und lesen will, was Kunsthistoriker dazu sagen, kommt auf seine Kosten. Allerdings bleiben die strenger an der wissenschaftlichen Forschung als unser kecker Blick es sich erlaubt. So finden Sie bei besagter Blonden die Aussage von einer „Schönen“, einen deutlichen Hinweis auf das Hintergrundbild als Florenz und die Aussage, es müsse sich bei der Unbekannten um eine Dame höheren Ranges gehandelt haben, denn das Halbfigurenbild ist großformatig. Aber dann lesen wir noch, daß die Zuschreibung an Botticelli nicht gesichert sei und auch die Datierung ungewiß. Sagten wir's doch, man muß sich einen eigenen Reim machen. Aber besser auf dem Hintergrund der jeweiligen Forschung.

 

www.buceriuskunstforum.de

 

Mit freundlicher Unterstützung des Maritim Hotel Reichshof in Hamburg, ideal gelegen gegenüber dem Hauptbahnhof und der Hamburger Kunsthalle, nahe dem Bucerius Kunst Forum und den anderen Museen. Für uns hat dies Hotel den Charme des Unterwegseins von ehedem, mit großzügigem Zuschnitt des Hauses und ebensolchen Zimmern und Bädern mit hohen Decken. Zudem bieten ein Schwimmbad und Saunen den seelisch-körperlichen Komfort, der ausstellungsgestreßten Menschen äußerst wohltut. Daß dann noch ein Businesscenter für kostenlosen Internetzugang sorgt und dafür, daß man in Ruhe seine Artikel redigieren und in die Zeitung einsetzen kann, ist dann noch das I-Tüpfelchen.

 www.maritim.de

 

Reiseführer zu Hamburg

Hamburg, Baedeker Allianz Reiseführer 2006

Kompakt wie gewohnt ist dieser Stadtreiseführer, in dessen hinterer Umschlagklappe ein praktischer und umfassender Stadtplan steckt. Dieser Führer hält besonders für die Wasser- und Schiffsfreunde Schmankerln bereit.

 

Hamburg, Marco Polo mit City-Atlas 2008

Es ist das alte Problem. Man will nichts Schweres mit sich herumtragen, aber umfassend informiert werden. Der Marco Polo versucht dies und orientiert den Reisenden zudem durch die Gliederung der Stadt in Form von Geschichten. Alle notwendigen Angaben für einen Touristen finden Sie verläßlich.

 

Hamburg, dtv Merian Reiseführer o.J.

Natürlich gibt es Hamburg von A bis Z und sonstige Infos, aber dennoch bieten Merian Reiseführer immer mehr als die notwendige Information. Das zeigt sich an Ausführungen wie Geschichte und Gegenwart.