Bildschirmfoto 2022 07 23 um 01.19.30Serie: FREI.SCHAFFEND. Die Malerei Ottilie W. Roederstein im Frankfurter Städel bis 16. Oktober 2022, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eigentlich hat Paula Modersohn-Becker hier überhaupt nichts verloren und wären nicht zwei Gegebenheiten, so hätten wir nie diesen Artikel geschrieben. Doch er liegt einfach nahe, wenn man in der Roedersteinausstellung von deren Paris-Besessenheit erfährt, die jeder Maler und jede Malerin Ende des 19. Jahrhunderts besaß, weshalb dann 1900 auch die Modersohn nach Paris kam, wo ja Roederstein schon seit 1882 zusammen mit zwei anderen Malerinnen ein eigenes Atelier besaß.

Die andere Gegebenheit liegt darin, daß erst um den Jahreswechsel 2021/22, von Oktober bis Februar, eine monografische Ausstellung der Paula Modersohn-Becker in der Frankfurt Schirn stattfand, die erste seit vielen Jahrzehnten. Wie toll wäre es gewesen, es hätte das Team vom Städel mit Ingrid Pfeiffer von der Schirn sich um den gemeinsamen Aufenthalt der beiden in Paris kümmern können, über den, was Roederstein angeht, bisher sehr wenig bekannt ist.

Auffallend auf jeden Fall, daß die 1876, also 17 Jahre später geborene, damals Paula Becker, die schon 1907, mit 31 Jahren starb, für die Kunstwelt etwas später als eine Ikone der Moderne, zumindest des frühen Expressionismus galt und gilt, während die Kunstwelt außerhalb von Frankfurt von Ottilie Roederstein kaum Kenntnis genommen hat. Was hat sie also, Paula, was Ottilie nicht hat?

Wenn man nun glaubt, mit Paula die moderne Frau vor sich zu haben, kann man gleich den Kopf schütteln. Ihre Ehe mit Modersohn war kompliziert genug und die Vorhaltungen ihr gegenüber, wie sich eine Ehefrau einem Ehemann gegenüber zu verhalten hat, auch. Man kann sich einfach nicht vorstellen, daß Ottilie Roederstein sich darein gefügt hätte, hätten sie ihre Eltern zum Kochkurs nach Berlin geschickt, wie es Paula 1901 tat, da war sie 25 Jahre. Sie war zwar die modernere Malerin, aber in ihrer Ehe eben den klassischen Bildern von Ehefrauen verpflichtet. Ja, sie lehnt sich dagegen auf, aber anderen Ansprüchen genügte sie brav. Auch Ottilie war mit 20 Jahren 1879 nach Berlin gereist; sie nutzte die Verheiratung ihrer Schwester dorthin, um sich in der Kunstszene umzusehen. Aber mit 20 Jahren war auch Paula in Berlin, denn vor dem Kochkurs, der ja der Eheschließung geschuldet war, absolvierte sie eine Ausbildung als Malerin. Das war also für sie möglich, aber die knapp zwei Jahrzehnte zuvor nach Berlin gekommene Roederstein, konnte sich noch nicht ausbilden lassen? Die Jüngere eine wichtige Malerin für die Moderne, die andere die modernere Frau?

Das müßte man nun genau untersuchen, auf jeden Fall sind die Korrespondenzen, aber auch die Unterschiede schon erstaunlich. Bei Modersohn kann man ihre Ausbildung und künstlerische Entwicklung an ihren Bildern nachvollziehen. Sieht man ein Gemälde von ihr, weiß man sofort: „Das ist Modersohn-Becker!“

Das Erstaunliche an Roederstein ist dagegen, daß sie kaum eine Entwicklung erkennen läßt, weil sie von Anfang an meisterlich malt. Sie kommt sozusagen aus dem Nichts, und bleibt qualitativ hochwertig, eine ideale tPorträtmalerin, weil sie den Porträtierten genau das liefert, was zu dieser Zeit in bürgerlichen und gehobenen Kreisen von einem Porträt erwartet wurde.

Wir wollen das nicht vertiefen, es sollten nur die Bezugspunkte Paris, Malerin, Berlin, Ehefrau, ohne Mann, dafür Gefährtin aufgezeigt werden. Mich auf jeden Fall hat die Roederstein-Ausstellung sofort motiviert, den Modersohnkatalog herauszuholen und das Gemeinsame und Trennende zu eruieren. Das ist das Glück, wenn man von Ausstellungen Kataloge nach Hause schleppt. Mit den Bildern in den Büchern, mit dem Text auch, hat man sofort wieder die Malerin und die Ausstellung vor Augen. Dabei fallen dann auch erst recht die unterschiedlichen Sujets ins Auge. Die vielen Kinderbilder bei Modersohn-Becker, die vielen Porträts bei Roederstein.

Aber in einem sind sie abschließend dann doch sehr ähnlich! Sie malen sich konsequent ihr Leben lang selbst. Bei Roederstein führt das zu einem Querschnitt ihres Lebens, weil man nicht nur ihr Altern genau erkennt, sondern in deren Porträts auch immer etwas Männliches mitschwingt. Das ist vielleicht nicht korrekt ausgedrückt, den das, was mitschwingt, ist die Pose des Männlichen. Roederstein inszeniert sich im Halbporträt als Malerin, wie es sonst Maler tun. Bedeutend.

Die vielen Selbstporträts Paulas dagegen, ja auch viele Halbporträts, gerne nackt, aber, wo bei bei Ottilie Roederstein das Altern die Unterschiede ausmachen, die Pose jedesmal gleich ist und auch die Malweise auf Genauigkeit und Ähnlichkeit konzentriert, sind es bei Paula die vielen, auch nackten Ichs, von den Mutterschaftsbildern ganz abgesehen. Faszinierend. Die Unterschiede.

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Katalogabbildung

Info:
Paula Modersohn-Becker, hrsg. von Ingrid Pfeiffer, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Hirmer Verlag München 2021
ISBN 978 37774 3722 4

frei.schaffend. Die Malerin Ottilie W. Roederstein, hrsg. von Alexander Eiling, Eva-Maria Höllerer, Sandra Gianfreda, HatjeCantz, Städel Museum, Kunsthaus Zürich, 2022
ISBN 978 3 7757 4794 3