SCHIRN Frankfurt konzipiert international besetzte Gruppenausstellung vom 5. Juni – 7. September 2014

 

Siegrid Püschel

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Immer schneller, höher, weiter – so lautet das Credo einer grenzenlosen Gesellschaft. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bewegt sich der Mensch zwischen Euphorie und Depression, ist konfrontiert mit verheißungsvollen Möglichkeiten einer globalen und virtuellen Welt und der Herausforderung, das eigene Leben ständig zu verbessern, zu optimieren und effizienter zu gestalten.

 

 

Diesem Phänomen widmet die Schirn Kunsthalle Frankfurt vom 5. Juni bis 7. September 2014 eine umfassende Ausstellung, die UNENDLICHER SPASS heißt. Die Präsentation entwirft mit Arbeiten von 18 zeitgenössischen Künstlern, darunter Maurizio Cattelan, Peter Coffin, Judith Hopf, Andrea Fraser, Claire Fontaine, Alicja Kwade, Ryan Trecartin oder Daniel Richter, ein Bild dieser Gegenwart, in deren Zentrum das Individuum selbst steht. Analog der Erzählstruktur des titelgebenden Jahrhundertromans von David Foster Wallace „Unendlicher Spaß“ („Infinite Jest“) betrachtet die Ausstellung die unterschiedlichen Anforderungen, die an das Ich heute gestellt werden und in denen sich die Widerstände und Widersprüche einer solchen, gerne als alternativlos bezeichneten Wirklichkeit bemerkbar machen.

 

Ebenso wie der in einer nahen Zukunft spielende Roman von Wallace seismografisch mögliche Ergebnisse und Folgen der Erlebnis- und Spaßgesellschaft aufzeichnet, die sich gleichzeitig als Leistungsgesellschaft darstellt, zeigen die Kunstwerke der gleichnamigen Schirn-Ausstellung, wie die Auswirkungen und Auswüchse der Gegenwart zu einem schier endlosen Kreisen des Menschen um sich selbst führen. Welche Methoden und Wege finden und erfinden wir, um uns stetig zu optimieren und zu perfektionieren und somit den Anforderungen der modernen Gesellschaft zu genügen? Themen wie Sucht in ihren unterschiedlichsten Ausformungen, die Verortung des Ichs, Depression, Sinnentleerung oder auch Absurdität, Irrationalität und eine bis ins Tödliche führende Ironie werden zur Diskussion gestellt. Der vor einigen Jahren in der Literatur aufgekommene Begriff des „hysterischen Realismus“ wird in den gezeigten Arbeiten visuell und konzeptionell nachvollziehbar.

 

Begriffe wie ‚Quantified Self‘, ‚Bodyhacking‘, aber auch ‚Burnout‘ geistern durch die Medien. Absolute Optimierung und Perfektion sind in der heutigen globalen Welt von jedem Einzelnen gefordert, rund um die Uhr. Welche Kehrseiten und Folgen hat dieses stete Zirkulieren des Menschen um sich selbst? In unserer diesjährigen Sommerausstellung wollen wir diese gesellschaftlichen Phänomene aufgreifen und Raum für eine künstlerische Auseinandersetzung bieten“, so Max Hollein, Direktor der Schirn.

Matthias Ullrich, Kurator der Ausstellung: „So viel Ich war nie: Wir drehen uns unentwegt um uns selbst. Und alles um uns herum dreht sich mit. Jeder Einzelne muss mit den Geschehnissen in der momentanen Lebenswelt zurechtkommen, sich persönlich verorten oder vielleicht sogar Überlebensstrategien hierfür entwickeln. Die in der Ausstellung präsentierten Künstler zeigen ihre Bilder von der unendlichen Kreisbewegung um das Individuum. Sie werfen Fragen auf, die uns alle beschäftigen, und spielen mit Situationen, in denen wir uns alle wiederfinden.“

 

David Foster Wallace gibt in seinem Roman „Unendlicher Spaß“ keine Ratschläge, wie sich der Einzelne in der harten Realität des Lebens, im absurden Wahnsinn des Alltäglichen, in diesen durch Internet, virtuelle Welten und unterschiedlichste Kommunikationskanäle gekennzeichneten schnelllebigen Zeiten zurechtfinden kann. Seine Gesellschaftsdiagnose bleibt negativ. Er entwirft Bilder und Geschichten, in denen etwa Lust und Schmerz, Vergnügen und Sucht, Religion und Wahnsinn, Privat und Öffentlich, Traum und Wirklichkeit, Ernsthaftigkeit und Ironie, Unterhaltung und Tod für jeden nahe beieinander liegen und um die sich im Alltäglichen alles dreht.

 

Die 18 nationalen und internationalen Künstlerinnen und Künstler der Schirn-Ausstellung „Unendlicher Spaß“ reflektieren in ihren Werken diese im Roman thematisierten Vernetzungen, zwischenmenschlichen Beziehungsstrukturen und subtilen Zusammenhänge, in denen es stets vorrangig um das Individuum geht. Jedem von ihnen steht innerhalb der Ausstellungsarchitektur ein eigener Raum zur Verfügung. Die Räume sind labyrinthartig miteinander verbunden – ähnlich dem literarischen Aufbau des Romans. In unterschiedlichen künstlerischen Gattungen, wie Installation, Film, Gemälde oder Performance, halten die in der Gruppenausstellung vertretenen Künstler unserer Gesellschaft im Ganzen, aber auch jedem Einzelnen den Spiegel vor. Sie begeben sich an die Schwelle eines neuen Zeitalters, in dem der sogenannte gläserne Mensch vielmehr im digitalen, sozialen Netzwerk lebt, als sich dessen nur bedient, und in dem das Leben selbst zum Optimierungs- und Erlebnisprojekt wird.

 

INFO:

 

KÜNSTLERLISTE: Francis Alÿs, Maurizio Cattelan, Claire Fontaine, Peter Coffin, Lara Favaretto, Andrea Fraser, Karl Holmqvist, Judith Hopf, Ceal Floyer, Josh Kline, Alicja Kwade, Joep van Liefland, Helen Marten, Kris Martin, Daniel Richter, Anri Sala, Ryan Trecartin sowie die Sammlung Kopp.

 

KATALOG: Unendlicher Spaß / Infinite Jest. Herausgegeben von Matthias Ulrich und Max Hollein. Vorwort von Max Hollein, Essays von Alex Danchev, Lars Bang Larsen und Matthias Ulrich, Kurztexte von Lisa Beißwanger, Sigrun Galter, Heide Häusler, Katharina Knacker, Carolin Köchling und Clara Wörsdörfer. Dt./engl. Ausgabe, Gestaltung: Studioheyhey, Frankfurt; Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2014, ISBN 978-3-86984-093-2.

 

www.schirn.de