Serie: Anläßlich der Munch-Ausstellung in der Frankfurter Schirn: seine Werke in Oslo  (2/3)

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir mußten unseren sehr ausführlichen Besuch von über drei Stunden vom Osloer Munch Museum kurz unterbrechen. Man muß Luft schnappen, denn Munch ist ein Künstler, dessen Werke einem oft die Luft nehmen, denn sie strömen auch nach so langer Zeit Existentielles aus, das in einen eindringt.

 

Munch zeichnet aus, daß er seine Motive zum einen wiederholt, zum anderen vielseitig künstlerische Techniken ausprobiert. Man kann es auch umgekehrt ausdrücken: Von den jeweils unterschiedlichen malerischen-zeichnerischen-gestochenen Umsetzungen unberührt bleibt seine Themenwahl. Auch der „Vampir“ von 1893 ist natürlich eine rote Schöne. Ein gleiches Bild vom Weibe an sich ergeben die Männerphantasien von den aussaugenden Frauen. Nicht immer werden sie so deutlich zum Ausdruck gebracht wie bei Munch. Und das Wichtigste daran ist, daß nicht das Geschlechtliche zitiert wird, keine dicken Busen oder einladenden Unterteile, die Männer einwickeln und verschlingen, sondern schlimmer, die Frauen, die den Männern das Blut aussaugen, ihre Seele vernichten, ihre Kraft dezimieren und sie in leblose und abhängige Hüllen verwandeln.

 

Welche Angst vor Frauen. Es ist der Zeitgeist, der hier aus Munch spricht, Ende des 19.Jahrhunderts als Sigmund Freud dazu eine ganze Theorie – das war die von der Hysterie, von der heute keiner als Krankheitsbild mehr spricht - entwickeln mußte, um die Frauen in den Griff zu bekommen. Hier also hat die Vampirin ihn genüßlich am Genick gepackt und beißt mit Wonne hinein, das was an seinem Kopf so rot hinunterrinnt, ist gleichwohl kein Blut, sondern sind ihre roten Haare. Natürlich. Darum sind die Haare auch immer rot. Die Assoziation Blut bleibt dennoch

.

Beim „Aug um Aug“ von 1894 sieht man schon das Gesicht, das später die Eifersuchtsbilder prägen wird. Die aufgerissenen angstvollen Augen verfolgen einen. Interessant ist, daß man auch bei Bildern immer auf das als erstes schaut, das also deutlich wahrnimmt, was man zu kennen glaubt. Ein wunderschönes Porträt von Stanislav Przybyszewski, ebenfalls von 1893, dann aber eine der Fassungen vom „Tod im Krankenzimmer“ aus demselben Jahr. Schaurig schön.

 

Man sieht die Tote nicht, die im Sessel lehnt, auf dessen Rückwand unser Blick fällt. Aber die Situation ist eindeutig, Trauer aus jeder Pore. Der ältliche Stirnglatzige hat die Hände rechts neben der Toten zum Gebet gefaltet, die Frau daneben richtet irgend etwas, im Vordergrund ein junges Mädchen, sitzend mit Zopf und ebenfalls gefalteten Händen. Direkt blickt uns eine Frau an mit strengem Knoten und Biedermeierscheitel. Ihre Augen sind rotschwarz umrändert, wie in alten Stummfilmen und sie hat eine weiß gekalkte Haut.

 

Einen jungen Mann gibt es auch, der am Türrahmen Halt sucht. Die Medizinflaschen auf dem Bettgesims zeigen die intensive Pflege und der junge Mann über dem Bett im Bilderrahmen gleicht einer Christusfigur. Ist es vielleicht. Also wäre die Tote fromm gewesen oder nur kunstsinnig? Wer die Tote ist und warum sie starb, erschließt sich dem Betrachter ohne Information nicht. Aber darum geht es auch nicht. Es geht um die Starre und den Schmerz der noch Lebenden, der so stark stilisiert ist, daß sich einem beim Betrachten die Härchen aufrichten.

 

Später dann liest man bei einem Porträt von Munchs Bruder, der Anatomie studierte, abgebildet ist er inmitten einer Reihe von Gemälden, die sehr impressionistisch anmuten, wie die des Spätimpressionismus und die der Nabis. Hier gibt sogar ein richtig pointillistisches Bild von 1890. Munch hat alles ausprobiert und saß in Paris in der Höhle des Kunstlöwen. Auch beim großformatigen Gemälde „Roulette“ von 1892 ist die spätere menschliche Menagerie schon vorhanden: Männer, die sich um Kopf und Kragen spielen, alte, junge, vollbärtige, kahle und die mit den dicken Brieftaschen, die guten Bürger auch.

 

„Klimt“, denkt man dann wieder beim wunderschönen Porträt im Längsformat „Dagny“ oder denkt auch an das berückend-bedrückende Selbstporträt von Richard Gerstl, den zwanzig Jahre jüngeren Kollege aus Wien – das Bild hängt dort im Leopoldmuseum. Es ist derselbe dunkelblau schraffierte Hintergrund, aus dem die Frau im dunklen schemenhaften Kleid uns mit leuchtend weißem Gesicht entgegen tritt. Eine stilisierte Person, so unwirklich wie das gesamte Bild, von einem goldenen Rahmen gehalten. Der Meister übt. Er verwandelt sich alles ein und an. Jeden Stil beherrscht er und findet in diesen Jahren doch immer mehr zu seinem eigenen. Auch die weiteren Bilder, getragen vom Urkonflikt von Mann und Frau, die sich gegenseitig anziehen und sich gegenseitig abweisen in unüberwindlicher Distanz, wie Munch sie empfindet, der hier erneut Freud malt.

 

Dann wieder ganz andere Assoziationen. Beim „Frauenhospital“ von 1897-99 denkt man an Kirchner. Seine Erna, hier um vierzig Jahre gealtert! Und auch die anderen Frauen haben diese vollen runden Brüste, die ihnen Kirchner und die anderen Expressionisten so gerne malten. Erneut das Sujet „Der Kuß“, in dieser Fassung so dunkel gehalten, daß man ihn nur ahnt, und nun die Lithografien, die in der gegenwärtigen Ausstellung einen großen Platz einnehmen. Zu recht. Sie allerdings kennen wir ihrer Vervielfältigungsmöglichkeiten wegen fast alle aus den herkömmlichen Munchausstellungen: Das kranke Mädchen, Eifersucht, das schöne, strenge Selbstporträt, Auf den Wogen der Liebe, wo die Haare wie Wellen wallen, Abstraktion und die Madonna. Dann eine schöne Eva Mudocci, ein Druck, der die ein halbes Jahrhundert spätere Jacqueline von Picasso schon vorwegnimmt. Natürlich „Der Schrei“ als Pastell und dann auch noch die Holzschnitte, wo teilweise dieselben Sujets in der nun anderen Technik auch anders wirken. Härter, direkter, unversöhnlich, die „Angst“ und die „Melancholie“.

 

Erst einmal machen wir einen Abstecher ins Nationalmuseum in den dortigen Raum von Munch und dann zurück ins Munchmuseum.


www.munch.museum.no
www.nationalmuseum.no

Munch-Literatur:
Ulrich Bischoff, Munch, Taschen
Arne Eggem, Edvard Munch, Stenersen Verlag 1995
Rosemarie E. Pahlke, Munch revisited, Kerber Verlag 2005
Edvard Munch in der Nationalgalerie, Oslo 1998
Dieter Buchhart (Hg.), Ziechen der Moderne. Edvard Munch, Ausstellungskatalog Hatje Cantz 2007
Munch im Munch Museum Oslo, Messer Verlag, Scala London, 1998

Reiseliteratur:
Michael Möbius/Annette Ster, Norwegen, DuMont Richtig Reisen, 2006

Allgemeine Informationen
Norwegen: Innovation Norway/Norwegisches Fremdenverkehrsamt, www.visitnorway.de
Oslo: Visit Oslo, www.visitoslo.com/de
Bergen: Visit Bergen, www.visitbergen.com
Flåm: Visit Flåm, www.visitflam.com

Anreise per Schiff
Color Line, www.colorline.de

 

Herrliche MEISTERWERKEN im Munch Museum in Oslo

Serie: Anläßlich der Munch-Ausstellung in der Frankfurter Schirn: seine Werke in Oslo  (2/3)


Das Munch Museum in Oslo

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir mußten unseren sehr ausführlichen Besuch von über drei Stunden vom Osloer Munch Museum kurz unterbrechen. Man muß Luft schnappen, denn Munch ist ein Künstler, dessen Werke einem oft die Luft nehmen, denn sie strömen auch nach so langer Zeit Existentielles aus, das in einen eindringt.

Munch zeichnet aus, daß er seine Motive zum einen wiederholt, zum anderen vielseitig künstlerische Techniken ausprobiert. Man kann es auch umgekehrt ausdrücken: Von den jeweils unterschiedlichen malerischen-zeichnerischen-gestochenen Umsetzungen unberührt bleibt seine Themenwahl. Auch der „Vampir“ von 1893 ist natürlich eine rote Schöne. Ein gleiches Bild vom Weibe an sich ergeben die Männerphantasien von den aussaugenden Frauen. Nicht immer werden sie so deutlich zum Ausdruck gebracht wie bei Munch. Und das Wichtigste daran ist, daß nicht das Geschlechtliche zitiert wird, keine dicken Busen oder einladenden Unterteile, die Männer einwickeln und verschlingen, sondern schlimmer, die Frauen, die den Männern das Blut aussaugen, ihre Seele vernichten, ihre Kraft dezimieren und sie in leblose und abhängige Hüllen verwandeln.

Welche Angst vor Frauen. Es ist der Zeitgeist, der hier aus Munch spricht, Ende des 19.Jahrhunderts als Sigmund Freud dazu eine ganze Theorie – das war die von der Hysterie, von der heute keiner als Krankheitsbild mehr spricht - entwickeln mußte, um die Frauen in den Griff zu bekommen. Hier also hat die Vampirin ihn genüßlich am Genick gepackt und beißt mit Wonne hinein, das was an seinem Kopf so rot hinunterrinnt, ist gleichwohl kein Blut, sondern sind ihre roten Haare. Natürlich. Darum sind die Haare auch immer rot. Die Assoziation Blut bleibt dennoch

.

Beim „Aug um Aug“ von 1894 sieht man schon das Gesicht, das später die Eifersuchtsbilder prägen wird. Die aufgerissenen angstvollen Augen verfolgen einen. Interessant ist, daß man auch bei Bildern immer auf das als erstes schaut, das also deutlich wahrnimmt, was man zu kennen glaubt. Ein wunderschönes Porträt von Stanislav Przybyszewski, ebenfalls von 1893, dann aber eine der Fassungen vom „Tod im Krankenzimmer“ aus demselben Jahr. Schaurig schön.

Man sieht die Tote nicht, die im Sessel lehnt, auf dessen Rückwand unser Blick fällt. Aber die Situation ist eindeutig, Trauer aus jeder Pore. Der ältliche Stirnglatzige hat die Hände rechts neben der Toten zum Gebet gefaltet, die Frau daneben richtet irgend etwas, im Vordergrund ein junges Mädchen, sitzend mit Zopf und ebenfalls gefalteten Händen. Direkt blickt uns eine Frau an mit strengem Knoten und Biedermeierscheitel. Ihre Augen sind rotschwarz umrändert, wie in alten Stummfilmen und sie hat eine weiß gekalkte Haut.

Einen jungen Mann gibt es auch, der am Türrahmen Halt sucht. Die Medizinflaschen auf dem Bettgesims zeigen die intensive Pflege und der junge Mann über dem Bett im Bilderrahmen gleicht einer Christusfigur. Ist es vielleicht. Also wäre die Tote fromm gewesen oder nur kunstsinnig? Wer die Tote ist und warum sie starb, erschließt sich dem Betrachter ohne Information nicht. Aber darum geht es auch nicht. Es geht um die Starre und den Schmerz der noch Lebenden, der so stark stilisiert ist, daß sich einem beim Betrachten die Härchen aufrichten.

Später dann liest man bei einem Porträt von Munchs Bruder, der Anatomie studierte, abgebildet ist er inmitten einer Reihe von Gemälden, die sehr impressionistisch anmuten, wie die des Spätimpressionismus und die der Nabis. Hier gibt sogar ein richtig pointillistisches Bild von 1890. Munch hat alles ausprobiert und saß in Paris in der Höhle des Kunstlöwen. Auch beim großformatigen Gemälde „Roulette“ von 1892 ist die spätere menschliche Menagerie schon vorhanden: Männer, die sich um Kopf und Kragen spielen, alte, junge, vollbärtige, kahle und die mit den dicken Brieftaschen, die guten Bürger auch.

„Klimt“, denkt man dann wieder beim wunderschönen Porträt im Längsformat „Dagny“ oder denkt auch an das berückend-bedrückende Selbstporträt von Richard Gerstl, den zwanzig Jahre jüngeren Kollege aus Wien – das Bild hängt dort im Leopoldmuseum. Es ist derselbe dunkelblau schraffierte Hintergrund, aus dem die Frau im dunklen schemenhaften Kleid uns mit leuchtend weißem Gesicht entgegen tritt. Eine stilisierte Person, so unwirklich wie das gesamte Bild, von einem goldenen Rahmen gehalten. Der Meister übt. Er verwandelt sich alles ein und an. Jeden Stil beherrscht er und findet in diesen Jahren doch immer mehr zu seinem eigenen. Auch die weiteren Bilder, getragen vom Urkonflikt von Mann und Frau, die sich gegenseitig anziehen und sich gegenseitig abweisen in unüberwindlicher Distanz, wie Munch sie empfindet, der hier erneut Freud malt.

Dann wieder ganz andere Assoziationen. Beim „Frauenhospital“ von 1897-99 denkt man an Kirchner. Seine Erna, hier um vierzig Jahre gealtert! Und auch die anderen Frauen haben diese vollen runden Brüste, die ihnen Kirchner und die anderen Expressionisten so gerne malten. Erneut das Sujet „Der Kuß“, in dieser Fassung so dunkel gehalten, daß man ihn nur ahnt, und nun die Lithografien, die in der gegenwärtigen Ausstellung einen großen Platz einnehmen. Zu recht. Sie allerdings kennen wir ihrer Vervielfältigungsmöglichkeiten wegen fast alle aus den herkömmlichen Munchausstellungen: Das kranke Mädchen, Eifersucht, das schöne, strenge Selbstporträt, Auf den Wogen der Liebe, wo die Haare wie Wellen wallen, Abstraktion und die Madonna. Dann eine schöne Eva Mudocci, ein Druck, der die ein halbes Jahrhundert spätere Jacqueline von Picasso schon vorwegnimmt. Natürlich „Der Schrei“ als Pastell und dann auch noch die Holzschnitte, wo teilweise dieselben Sujets in der nun anderen Technik auch anders wirken. Härter, direkter, unversöhnlich, die „Angst“ und die „Melancholie“.

Erst einmal machen wir einen Abstecher ins Nationalmuseum in den dortigen Raum von Munch und dann zurück ins Munchmuseum.


www.munch.museum.no
www.nationalmuseum.no

Munch-Literatur:
Ulrich Bischoff, Munch, Taschen
Arne Eggem, Edvard Munch, Stenersen Verlag 1995
Rosemarie E. Pahlke, Munch revisited, Kerber Verlag 2005
Edvard Munch in der Nationalgalerie, Oslo 1998
Dieter Buchhart (Hg.), Ziechen der Moderne. Edvard Munch, Ausstellungskatalog Hatje Cantz 2007
Munch im Munch Museum Oslo, Messer Verlag, Scala London, 1998

Reiseliteratur:
Michael Möbius/Annette Ster, Norwegen, DuMont Richtig Reisen, 2006

Allgemeine Informationen
Norwegen: Innovation Norway/Norwegisches Fremdenverkehrsamt, www.visitnorway.de
Oslo: Visit Oslo, www.visitoslo.com/de
Bergen: Visit Bergen, www.visitbergen.com
Flåm: Visit Flåm, www.visitflam.com

Anreise per Schiff
Color Line, www.colorline.de