Serie: Ferdinand Hodler, Aleksandr Dejneka und Neo Rauch in der Hamburger Kunsthalle, Teil 2/3

 

Claudia Schulmerich

 

 

Hamburg (Weltexpresso) – Das Skifahren hat den Russen besonders inspiriert. Bei der Bewegungsstudie von 1931, auch „Skiläufer“ genannt, wird nicht nur der Bewegungsablauf in seinen Sequenzen zum Stillstand gebracht, sondern an mehreren Figuren gleichzeitig vollzogen, so daß ein Bild voller Spannung, aber auch voller Ruhe in beige-braunen Tönen zustandekommt, das zudem durch die Horizontale: die Skier und Skispuren im Schnee doppelstöckig wirkt. „Auf der Eisbahn“ von 1927 zeigt weibliche Eiskunst, graziös und voller Kraft ab Abhub vom Eis.

 

Und die frühen Gemälde, wie „Fußballspieler“ von 1924 haben es uns schon deshalb angetan, weil neben der dynamischen Bewegung die Figuren eine affektierte Körpersprache haben, die wir 'affektiert' nennen, weil sie voller Affekte steckt, was dann durchaus etwas leicht Manieriertes erhält. Bei solchen Bildern können wir nicht anders – verstärkt durch die Wirkung der Ölmalerei wie ein Aquarell – als an Egon Schiele zu denken und seine durchsichtigen Körper, wo die Knochen unter der Haut in ähnlichen Farben sichtbar werden.

 

Nur noch harte Arbeit verrichten Aleksandr Dejnekas Arbeiter in „Vor der Einfahrt in die Grube“ von 1925. Erdenschwer sind die Gestalten, die dunkel gewandet, auch dunkle Körperfarben haben, weil die Grube eben abfärbt, nicht nur auf den Körper, auch auf das Leben und die Seele. Silhouettenhaft gibt es auch hier wieder Assistenzfiguren, ein beliebtes Motiv bei Dejneka, den wir durch diese Bilder, die wir erst einmal für sich betrachten, genauer kennen- und die Phasen seines Wirkens unterscheiden lernen.

 

Worin zum Beispiel unterscheidet sich „Morgengymnastik“ von 1932 dann doch von „Torwart“ von 1934, das auch formal ein Fußball-Werbeplakat von heute sein könnte, wenn schon Übertragungsrechte in Fernsehen und Internet heute mehrstellige Milliardenbeträge wert sind. Überhaupt müßte man noch mehr über diesen Künstler und seine Affinität zum Sport wissen. Fußballspieler sind seine Präferenz, aber die Skiläufer doch auch und grazile Damen gibt es immer dabei. Sport macht stark, fördert die Persönlichkeit, ja macht gar attraktiv, vielleicht schön. Es ist schon ein ausgemachter Körperkult, dem wir mit Dejneka huldigen.

 

In Bildern wie „Wir müssen Spezialisten werden“ von 1931, einer Lithografie als Plakat, erkennt man die Herleitung aus dem Konstruktivismus und das setzt sich in einem weiteren Plakat von 1933 „In der Periode des Ersten Fünfjahresplanes“ fort. Dejneka ist in der Lage, künstlerisch sich auf die politischen Verhältnisse zu beziehen, ohne sich zu verbiegen und er kann in 'politischen' Themen wie „Arbeitslose in Berlin“ aus dem Jahr 1932 eine Verlorenheit, Anteilnahme und ein Schweigen gleichzeitig vermitteln, das denn Betrachter direkt herausfordert und nur in Prisen auch NEUE SACHLICHKEIT enthält, aber auch die moderne Figurenmalerei der Zeit nach 2000.

 

Ein erstaunlicher Maler und für sich schon ein ganzer Kontinent. Zeit, sich um die Korrespondenzen mit Ferdinand Hodler und Neo Rauch zu kümmern, die ja Thema dieser Ausstellung sind. Vor den Thesen, die der Ausstellung voranstehen und ihr Zustandekommen motivierten, einige biographische Details zu den beiden Malern Ferdinand Hodler und Neo Rauch.

 

Hodler wurde 1853 in Bern geboren, Neo Rauch über hundert Jahre später, 1960 in Leipzig, während Dejneka noch bis 1969 in Moskau lebt. Hodler reüssiert schnell als Maler, bildet sich selber fort und hat in den Renaissancekünstlern Hans Holbein d.J. und Albrecht Dürer seine Vorbilder. Er gewinnt Preise über Preise und verschreibt sich der symbolistischen Malerei. Formal zeichnen sich seine Gemälde durch isokephale Eurythmien und gleichförmige, exaltierte Bewegungsstudien aus. In Wandgemälden treten monumentale Figuren aus der Geschichte der Schweiz auf, was zur Beauftragung von weiteren geschichtlichen Themen an Wänden führt, auch in Jena und Dresden.

 

Neo Rauch studiert noch in der DDR Malerei an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, wo er Assistent von Arno Rink wird. Ab 1993 läßt er seine Arbeiten als eigenständige Kunst gelten. Die Leipziger Galerie EIGEN + ART vermarktet ihn. Ab dem Jahr 2000, wo drei Einzelausstellungen in Leipzig, München und der Kunsthalle Züricher zu sehen sind, gilt er als bedeutender europäischer Maler. 2004 stellt die Albertina Wien seine Arbeiten auf Papier aus, 2006 erfolgte eine große Ausstellung der Gemälde in Wolfsburg. Zum fünfzigsten Geburtstag kommt in Leipzig und München die Doppelretrospektive BEGLEITER, 2011 eine weitere Ausstellung in Baden-Baden, nachdem New York und Polen als gegensätzliche Pole ihn ebenfalls ausgestellt hatten.

 

Was also bindet die drei Maler weit über 160 Jahre aneinander, was zu einer gemeinsamen Ausstellung führt? Fortsetzung folgt.

 

 

bis zum 13. Mai 2012

 

Katalog: Müde Helden. Ferdinand Hodler, Aleksandr Dejneka, Neo Rauch, hrsg. Hubertus Gaßner u.a., Hirmer Verlag 2012. Den Titel ziert Neo Rauchs kopfverbundener Jüngling, dem auf dem Frontblatt ein sehr müder Held folgt, der auf dem Sessel wie ohnmächtig hingesunken der Puls gemessen wird, durchaus eine Bevorzugung von Neo Rauch, die sich im Katalog selbst wie in der Ausstellung auflöst zum Dreiklang. Dem Katalog vorgeschaltet sind Themen der Ausstellung wie HELDEN, NEUE KÖRPERLICHKEIT, ARBEIT und DER Neue Mensch, zu denen die Referenzbilder der drei Maler in Kleinausschnitten zugeordnet sind, so wie sie auch in den Räumen der Ausstellung im Miteinander hänge. Sagen wir es so, in der Kleinheit sind die Übereinstimmungen und Anverwandlungen noch viel auffälliger als an den Museumswänden, wo die großen Formate schon die Augen auf einem einzigen Bild festhalten. Es korrespondiert diese Auflistung exakt mit der Hängung im Museum.

 

Darüber hinaus sind es natürlich die ESSAYS, die kunsthistorisch den Weg vom Fin de Siècle zur Aufbruchstimmung der Lebensreformer um 1900 und ihrem Bild gewordenem Impetus nachverfolgen. In einer eigenen DOKUMENTE-Reihe werden die Theorien vom Neuen Menschen zusammengefaßt bis hin zu seinem Gegenteil: „Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft der Gegenwart“ von Alain Ehrenberg und „Müdigkeitsgesellschaft“ von Byung-Chul Han.

 

Die Tafeln der drei Maler sind in thematischer Unterordnung der vier Bereiche mit je einem längeren Vorwort ohne weitere Kommentierung ganzseitig abgedruckt. Sehr gute Bildqualität! Die drei Biographien am Schluß liest man – nach der Ausstellung und dem Katalogstudieren – anders, als man es im Vorhinein getan hätte.

 

www.hamburger-kunsthalle.de