Im Alltäglichen nämlich, im angeblich Normalen. Das führt auch diese Ausstellung der „Geheimgesellschaften“ - sicher ungewollt - vor. Da hängt in einem der labyrinthartig verlaufenden Räume, ganz ordentlich an der linken Wand ein Gemälde, vor dem sich der Besucher neben uns an seine Gattin wandte: „Was soll denn daran geheim sein?“, die das mit Schulterzucken beantwortete. Wie recht die beiden haben – auf den ersten Blick. Und wie unheimlich und geheim wird das Bild auf den zweiten Blick in einer Ausstellung, die davon lebt, daß schon der erste Blick unverständlich, rätselhaft, dunkel und manchmal morbide erscheint. 

„Schirn at Night“ am 23. September in der Ausstellung „Geheimgesellschaften“ in Frankfurt am Main

Das weiß doch eigentlich jeder, das hat sich doch schon herumgesprochen, daß inmitten der größten Geheimnisse, inmitten von angedrohten Darkrooms, Geheimgesellschaften und ihren Riten, inmitten von konspirativen Gruppierungen mit ihrer Exklusivität und geheimen Wissen, inmitten von all dem zur grässlichen Fratze aufgeblähtem Heimlich-Unheimlichen der eigentliche Schrecken ganz woanders wohnt: im Alltäglichen nämlich, im angeblich Normalen. Das führt auch diese Ausstellung der „Geheimgesellschaften“ - sicher ungewollt - vor. Da hängt in einem der labyrinthartig verlaufenden Räume, ganz ordentlich an der linken Wand ein Gemälde, vor dem sich der Besucher neben uns an seine Gattin wandte: „Was soll denn daran geheim sein?“, die das mit Schulterzucken beantwortete. Wie recht die beiden haben – auf den ersten Blick. Und wie unheimlich und geheim wird das Bild auf den zweiten Blick in einer Ausstellung, die davon lebt, daß schon der erste Blick unverständlich, rätselhaft, dunkel und manchmal morbide erscheint.

  Hier aber in dem 100 x 85 Zentimeter großen Bild -  Öl auf Leinwand - erblickt man eine strahlende stinknormale Familie, eher von der Art, wie vor allem Amerikaner ihre gute Laune, ihren Wohlstand und ihr gesellschaftliches Dazugehören demonstrativ ausdrücken. Der Mann in der Mitte ist der ruhende Pol, er hat seine Rechte auf die Schulter seiner blonden Frau gelegt, die gleichermaßen im Freizeitgewand der Moderne – helle Sommerhosen beide – nur durch ihr türkisfarbenes T- shirt von seinem dunkelblauen absticht. Zu seiner Linken kuscheln sich die zwei Töchter an ihn, die eine hat die Arme um seinen Nacken geschlungen, die andere sitzt an ihn geschmiegt auf dem Mäuerchen, die den Erwachsenen zum Anlehnen dient, den Kindern aber zum Sitzen. Man sieht eine gelbstichige grüne Wiese und im Hintergrund diffus ein Gebäude.

  Das strahlende Lachen wird konterkariert durch die Schmutzschicht, die wie nachträglich aufgetragen verunstaltend über dem Bild liegt. Es sieht aus, als ob das Ölgemälde unter ein Auto gekommen ist oder längere Zeit am Boden lag und mit vielen schmutzigen Schuhen traktiert wurde. Aber dann erinnert man sich auch an das Fotokopieren, wenn die Farbe ausläuft und so hässliche Schlieren das weiße Blatt schmutzig machen. Was ist hier passiert? Und während die Besucher daneben längst schulterzuckend ob des so wenigen Geheimen-Unheimlichen weitergegangen sind, hat uns schon längst der Schrecken tief in seinen Klauen. Was ist hier passiert. Und warum heißt das Bild „Family Secret“? Welches Geheimnis soll hier verborgen werden? Was verheimlichen die im Strahlelächeln übertünchten Hintergründe dieser Familie? Schlägt der Mann seine Frau? Geht es um Mißbrauch? Ist erstmal die Irritation da, wuchern die Vermutungen ins Bodenlose.

 Das Bodenlose, das ist die Grundlage von Geheimgesellschaften, deren innere Struktur und ihre Zwecke, ihre Riten und Absichten mitsamt den Zeichen, Symbolen,  Codes und sonstigen Verschlüsselungen nur ihren Mitgliedern bekannt sind, wenn überhaupt. Die Ausstellung greift auf, was als Übereinstimmung zwischen den seit der Antike uns bekannten geheimen Zusammenkünften wie den Eleusischen Mysterien, dem Staatskult von Athen,  und solchen ursprünglichen Geheimbünden wie den Rosenkreuzern, aber auch den Eingeweihten in der Mozartschen Zauberflöte  einerseits und der Modernen Kunst andererseits herrscht: Das Unverständliche, das Verschleierte, das nur den Eingeweihten Kundige.

 Das ist ein weites Feld, denn schon Musikkenner sprechen über ein Klavierstück in Worten, die andere nicht verstehen, die Fußballenthusiasten verwenden Fachbegriffe im täglichen Leben, das Feld des Unverständlichen, nur den Wissenden Verständliche ist also weit. These der Ausstellung „Geheimgesellschaften“, die im Untertitel heißt: „Wissen Wagen Wollen Schweigen“ läuft also darauf hinaus, daß die Mechanismen, die dem Geheimen seinen Reiz und sein Verborgenes geben, auch für die Moderne Kunst gilt. Einfacher könnte man sagen, daß immer dann Unverständnis herrscht, wenn eine Sprache nicht verstanden wird, hier die der Modernen Kunst. Das ist den Ausstellungsmachern aber zu wenig. Sie wollen nicht die strukturellen Ähnlichkeiten, sondern mit dem Nichtverständnis auch das gesellschaftliche Ausgeschlossene für diejenigen, die nicht verstehen, weil sie nicht dazugehören, thematisieren.

Wie macht man das? Hier wird deutlich, daß das Rätselhafte viele Lesarten hat: da stehen Dinge rum, von denen man nicht weiß, was sie wollen und sollen, da werden über 100 Bilder, V.ideos Skulpturen, Fotos, Installationen etc. von 52 Künstlern in die Räume gestellt, die so unterschiedlich sind, wie man sich nur vorstellen kann. Während Suzanne Treister in „Hexen 2039/Diagram, 2008“ stark an die manischen Horror Vacui-Zeichnungen der Geisteskranken erinnert, gestaltet Alex Müller „Ein Treffen mit sich“,  2009, will sagen, mit weiß getünchten Figuren, die alle irgendwie ähnlich und alle an mexikanische Götterstandbilder denken lassen. Da liegt einer am Boden, woanders ist es menschenleer, das Sammelsurium der Ausstellungsobjekte ist grenzenlos, das heißt, nur durch die Anzahl der ausgestellten Objekte begrenzt, nicht durch inhaltliche Vorgaben.

Die Ausstellung zeigt wieder einmal überdeutlich, daß unser Ausstellungswesen und der Kunstmarkt vom amerikanischen–englischen Markt beherrscht ist, bzw. wir alleine diesen heranziehen. Wer die okkulten Vergangenheiten unserer östlichen Nachbarn kennt – Mikalojus Konstantinas Ciurlionis ist nur ein herausgegriffenes Beispiel aus Litauen – der weiß, wie unergründlich auch heute deren Gegenwart ist. Auch in der Kunst. Wie spannend wäre das, in den Ländern, die schon vom System her eine Nomenklatura hatten, eine Kaste für sich, deren damalige und heutige Auswirkungen in Gesellschaft und Kunst zu verfolgen.
Das wäre wünschenswert, aber das spricht nicht dagegen, sich in diese Ausstellung einzufinden, die am 23. September zudem etwas Besonders bietet, wenn sie von 20 Uhr bis Mitternacht die Türen für das Besondere öffnet. Denn neben den Exponaten finden Sie in der Ausstellung Menschen herumstehen, die auf ihren T-shirts die Aufschrift tragen: „Frag mich!“ Das sind Kunstvermittler, die ihnen helfen die Sprache dieser Kunst auch zu verstehen. Daneben gibt es im ganzen Haus „ein Abend voller Mysterien und Wagnisse“. Dies ist herrn mika zu verdanken – nein, kein Tippfehler: herr mika -, der das mondäne Ambiente der 1920er Jahre und das exklusive Gemeinschaftsgefühl verschworener Kreise heraufbeschwören will.

Bis 25. September 2011

Am 23. September „Schirn At  Night“ von 20 bis 24 Uh

Katalog: Geheimgesellschaften. Secret Societies, hrsg. von Cristina Ricupero, Alexis Vaillant, Max Hollein, Verlag Snoeck, Köln 2011

Abgesehen davon, daß es immer taugt, die geschauten Werke sich noch einmal – in Ruhe – anzusehen, ist der Katalogkauf sinnvoll, weil die deutschen-französischen-englischen Essays schlüssige Aufklärungen liefern.

 www.schirn.de

Claudia Schulmerich