
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Über den Urlaubsort zu schreiben, hat etwas Indiskretes, denn die sozusagen einfach Beschäftigten dort tun ihr Bestes.
Wirtschaft ohne Bedenken
Der Mangel oder das Defizit betrifft überwiegend obere Ebenen, die nach unten ausgreifen und ihre Stile weitergeben. Auch wenn es schon ein wenig abgegriffen klingt, Ursache bestimmter Fehlentwicklungen ist der Neoliberalismus, der die Gesellschaften unterminiert hat. Das profitorientierte Geschäftsmodell beherrscht alles. Gnadenlos wird alles auf Stromlinienförmigkeit runterrasiert.
Ab einem gewissen Zeitpunkt wollten alle das Große Geld machen, die feineren Empfindungen, die das Menschsein ausmachen, wurden abgebügelt, Bedenken weggefegt. Was St. Peter Ording als langjähriger Ort der Frische, die vom Meer kommt, ausmacht, ist unvergleichbar, abgesehen von den Ostfriesischen Inseln, die weitgehend frei sind vom Auto-Moloch.

Was immer noch mächtig wurmt, ist, dass gegen Ende der 1990er Jahre der Leseraum mit den morgendlich bereitliegenden unterschiedlichen Tageszeitungen abgeschafft wurde. Er befand sich am Zugang zu den Anwendungen, die ich bislang noch nicht in Anspruch nehmen musste. Damals stand eine gewisse Bildungsnähe offenbar noch im Kurs bei den für die Geschäftspolitik Verantwortlichen. Das Nordseegymnasium übte um 1995 noch einen Einfluss aus. Einer seiner Lehrer ermöglichte uns Gästen zweimal eine Exkursion per Bus zur expressionistischen Anlage mit Museum des Malers Emil Nolde nach Seebüll.
Nachdem der Gebäudekomplex mit dem Leseraum samt Saal für öffentliche Veranstaltungen niedergelegt wurde, um einem schwarzfarbenen Wellness- und Spa-Bereich Platz zu machen, sprach ich bei passender Gelegenheit den neuen Geschäftsführer, der für Privatisierung stand, an, ob es denn auch wieder einen Lesebereich für die Tageszeitungen geben werde. Er bejahte das und versprach dessen Wiedereinrichtung. Es ist aber nichts daraus geworden. Der neu errichtete Komplex für Anwendungen, die doch bitte privat sein mögen, bietet im Eingangsbereich nur eine lieblose Sitzgelegenheit für einige Minuten Sitzen.
Baustellen werfen Fragen auf

Am anderen Ende der Strandpromenade (in Erweiterung von Strand 11) wird neuerlich ein weiterer Klotz (wobei das Ambassador bei all seiner Mächtigkeit keiner ist) gerade hochgezogen. Es handelt sich um einen Bau im Kasernenhofstil. Das ist die Allgemeinbezeichnung für verfehltes Bauen, das aufwendig daherkommt, aber menschlichen Interessen zuwiderläuft, sofern nicht nur auf luxuriöse Verwahrung und Ruhigstellung abgezielt werde. Andere Gäste sehen das ähnlich. Verräterisch ist die außen angebrachte Bezeichnung ‚Lifestylehotel“ und ein säuselndes ‚Somewhere in Between‘. Passanten bestätigen den ungünstigen Gesamteindruck. Übrigens, junge Leute haben Bauwerke gerne Gestapelt, Gedreht und Versetzt, in einem Zug. Das wäre hier wohl utopisch.
Von der heiligen Kuh
Die fragwürdigste Angelegenheit ist der ausufernde Autoverkehr in SPO. Eigentlich gehören in einen Luftkurort gar keine Autos. Im Einvernehmen mit den ostfriesischen Inseln. Aber die Richtung ist nun mal vor Jahren so eingeschlagen worden, als der Friese schwankend wurde. Und davon wieder Abstand zu nehmen ist wohl schwer, wenn nicht unmöglich. Wegen des Zeitgeistes, dem Geist der wahren Herren. Vermehrte körperliche Unbeweglichkeit ist auch die Folge der grassierenden Automanie. Auszunehmen wären die krankheitsbedingt Eingeschränkten, der Anlieferverkehr und die Anwohner. Die Folge der Fehlentwicklung sind noch mehr Autos sowie immer noch größere. Der ÖPNV müsste konsequent ausgebaut und dann beworben werden. Durchs Bad, den geschäftigsten Teil - das Dorf, der andere Teil, ist gemütlich und macht einen entspannten Eindruck - wälzt sich täglich der Autocorso. Manche defilieren zweimal vorbei. Diejenigen, die mit dem Zug und auf der letzten Strecke mit der Kleinbahn eintreffen, sind in der Minderheit. Die DB hat ihren Schalter im schmucken Bahnhof im landestypischen Backsteinstil bereits vor Jahren geschlossen. Öffentlich verwertet wurde der ansehnliche Friesenbau bislang noch nicht.

Vom Gesetz des Nordens
Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr die Nordsee den südlichen Organismus herausfordert. Mehr als die höchsten Berge der ganz hohen Regionen des Südens es vermöchten, da wo die Schwester seit langem heimisch ist. Insofern braucht es im Norden einen stabilen Rückzugsplatz inmitten der Ferienlandschaft der wetterwendischen Nordsee, was zum Vorteil gereicht. Rundum entstehende Luxusbleiben jedoch lenken vom Wesentlichen ab, sie untergraben den Effekt. Die Nordsee ist viele Male mehr als bloß eine Luftveränderung. Hier bestätigt sich immer wieder: Urlaub ist auch (irgendwie) anstrengend.

Nachsatz: Die noch gültige, aber tatsächlich durch eine neue qua Zusendung schon modifizierte Gesundheitskarte habe ich mit Absicht vorgelegt. Die neue erscheint mir zwielichtig, weil sie ein Mehr an Kontrolle und Überwachung möglich macht. Mittlerweile verhält es sich so, dass ein Doktor erkennen kann, bei welcher Doktorin ich zuvor Patient war. Das kann er am Bildschirm nachvollziehen. Gefällt mir nicht. Doc Morris wartet gespannt darauf, Zugriff auf unsere Gesundheitsakte und das digitale Rezept zu bekommen, um den Arzneikaufdeal an sich zu reißen und uns mit gezielter Werbung vollzumüllen. Mir aber ist die örtliche Apotheke lieber als eine auf der Lauer liegende Netzvariante der Gesundheitswirtschaft, die zum digitalen Big Brother erwächst. Solche Überlegungen bringt der Ferienaufenthalt auch so mit sich, weil auf den vielen Wegen dort oben viel mehr noch bedacht und überlegt werden kann. Die Welt drumherum ist eben doch ein Gegenpol, der den kritischen Geist anregt..
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© Heinz Markert