bang petersenKundenservice der WELT zu Corona vom letzten Freitag, Serie: 27. 2

WELT Corona-Update

Hamburg (Weltexpresso) - Der Politikwissenschaftler Michael Bang Petersen (im Foto) berät die dänische Regierung in der Corona-Krise und leitet das sogenannte Hope-Projekt, das das Pandemieverhalten der Bürger in acht Ländern untersucht. Im Interview mit Autor Dominik Kalus erklärt Petersen, warum Dänemark den Weg zur Normalität eingeschlagen hat – und weshalb sich die Pandemie aus seiner Sicht verändert hat.

WELT: Professor Petersen, wie haben Sie die Reaktionen aus dem Ausland auf den dänischen Freedom Day wahrgenommen?

Petersen: Die waren zu einem großen Teil ungläubig und irritiert; vor allem, weil an dem Tag, als die Entscheidung verkündet wurde, in Dänemark eine weitere Rekord-Inzidenz gemessen wurde. Ich kann die Verwirrung auch irgendwo verstehen: Die ganze Pandemie haben wir immer auf die Infektionsrate geschaut, und sie war ja die längste Zeit auch ein guter Indikator für die Schwere des Pandemiegeschehens. Aber das ist nun eben nicht mehr der Fall.


WELT: In Deutschland wird die dänische Entscheidung lebhaft diskutiert. Manche Beobachter sagen, der Freedom Day in Dänemark sei gar kein mutiger Schritt, sondern eine Kapitulation, weil die Situation eigentlich außer Kontrolle sei.

Petersen: Also was die Lage in den Krankenhäusern betrifft, haben wir die komplette Kontrolle. Klar gibt es trotzdem Schwierigkeiten. Das Alltagsleben ist gerade kompliziert, weil viele Menschen in Quarantäne sind und nicht zur Arbeit gehen können. In dem Sinne ist den Menschen eindeutig bewusst, dass die Pandemie nicht vorbei ist. Aber es ist eben keine Pandemie mehr, die die Gesellschaft im Kern gefährdet. Und damit ist die gesetzlich festgelegte Voraussetzung für Maßnahmen nicht gegeben. Im Übrigen finde ich den Ausdruck Freedom Day zu aufgeladen. Die Öffnung jetzt ist kein emotionaler Wendepunkt, sondern einfach ein logischer Schritt.


WELT: Und wie wurde die Entscheidung im Land selbst aufgefasst? Dänemark hatte ja im September 2021 schon einmal geöffnet und nach wenigen Monaten wieder Beschränkungen einführen müssen.

Petersen: Als nach der ersten Öffnung doch wieder Beschränkungen kamen, hatte die Bevölkerung dafür vollstes Verständnis. Damals wie heute ist das Gefühl da, dass man nicht weiß, was die Zukunft bringt – auch wenn die meisten wahrscheinlich schon hoffen, dass es das jetzt war.


WELT: Also ist die Aufhebung der Maßnahmen ein Schritt, der auch wieder rückgängig gemacht werden könnte?

Petersen: Absolut. Nur weil wir jetzt zur Einschätzung kamen, dass es keine Maßnahmen mehr braucht, heißt das nicht, dass eine neue Virusvariante nicht alles wieder ändern kann. Und gerade deswegen sollte man jetzt lockern – damit die Gesellschaft wieder Kraft hat mitzuziehen, falls Maßnahmen wieder nötig werden sollten.

Das gesamte Gespräch mit Petersen, in dem er auch über das Hope-Projekt in anderen Ländern spricht, finden Sie hier.


blickandereDER BLICK AUF DIE ANDEREN

Quelle: Nic Bothma/Pool EPA/AP/dpa

„Südafrika braucht einen neuen Konsens", mit diesen Worten kündigte Präsident Cyril Ramaphosa (im Foto) bei seiner Rede in der Cape Town City Hall offiziell einen Kurswechsel seiner Corona-Politik an. Momentan befindet sich der Staat auf der niedrigsten Schwelle seines fünfstufigen Alarmplans – und nun soll alles daran gesetzt werden, die Wirtschaft im Land wieder anzukurbeln. Denn hinter dem Corona-Kurswechsel verbirgt sich vor allem eine angestrebte Wirtschaftsreform. Wie Ramaphosa deutlich machte, brauche Südafrika nun Strukturreformen, um Investoren anzulocken um die Modernisierung der Infrastruktur voranzutreiben. Innerhalb der nächsten 100 Tage wird die Regierung einen entsprechenden Rahmenplan ausarbeiten.

Das Problem dahinter ist, dass Südafrika, die wohl am meisten industrialisierte Nation in Afrika, eine der höchsten Arbeitslosenquoten der Welt hat – auch aufgrund monatelanger Lockdown-Maßnahmen. Im dritten Quartal 2021, den letzten verfügbaren Daten, lag die Arbeitslosenquote bei 34,9 Prozent. „Covid-19 hat die Kluft zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen noch vergrößert. Letztes Jahr hat unsere Arbeitslosenquote ihren höchsten Stand erreicht", sagte Ramaphosa.

Das zahlenmäßig am schwersten von der Covid-Pandemie betroffene Land Afrikas hat Ende 2021 wegen sinkender Infektionszahlen die meisten Restriktionen aufgehoben. Sie hatten eine verheerende Auswirkung auf die Wirtschaft, die zudem unter Stromengpässen leidet.

Laut der südafrikanischen Regierung sind in dem Land momentan etwa 42 Prozent der Erwachsenen vollständig geimpft. Bei den Über-50-Jährigen ist die Impfquote höher – sie beträgt dann 60 Prozent. Ginge es nach der Regierung, müsste die Impfquote noch deutlich steigen. Südafrika versucht daher auch, Corona-Impfstoffe vor Ort zu produzieren, unter anderem von Johnson & Johnson. In Kapstadt arbeitet zudem ein Labor daran, den mRNA-Impfstoff von Moderna zu kopieren, eine sogenannte „Piratenversion."

Südafrika gilt als hoch entwickelt in der Viruserforschung – auch bei Covid-19. Virusproben werden in Südafrika sehr gut sequenziert, in einigen Fällen sogar detaillierter als in Europa. So war es auch eine südafrikanische Medizinerin, Angelique Coetzee, die zuerst auf die Omikron-Variante stieß. Sie behandelte erste Patienten, die sich mit der Mutation infiziert hatten – und gab später Entwarnung. Aber in Europa habe das niemand hören wollen, sie sei von Regierungen unter Druck gesetzt worden, berichtet sie im Exklusiv-Interview. Warum – und was sie damit genau meint, das erklärt sie auf welt.de.


scholzulichtblDER LICHTBLICK

Quelle: John Macdougall/Pool via Reuters

Nun also doch: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, im Foto) will beim nächsten Bund-Länder-Treffen am Mittwoch erste Öffnungsschritte besprechen. „Die wissenschaftlichen Prognosen zeigen uns, dass der Höhepunkt der Welle in Sicht ist“, sagte Scholz am Freitag in einer Ansprache vor dem Bundesrat. „Das erlaubt uns, beim Bund-Länder-Treffen in der nächsten Woche einen ersten Öffnungsschritt und dann weitere für das Frühjahr in den Blick zu nehmen.“ Für Scholz und damit die Bundesregierung deutet dies auf einen – wenn auch sanften –  Kurswechsel hin: Denn bisher hatte die Bundesregierung es abgelehnt, schon vor den Bund-Länder-Beratungen am 16. Februar einen Lockerungsplan auszuarbeiten. Hinzukommt nun aber: Die SPD-geführten Bundesländer wollen ihre Corona-Maßnahmen bis zum 19. März weitgehend zurücknehmen. Alle Details dazu finden Sie hier.

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 Quelle: Universität Aarhus