Theologische Impulse (188)Thorsten Latzel
Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin,
und niemand ginge, einmal zu schauen, wohin man käme,
wenn man ginge.“ (Kurt Marti)
Der Advent ist Wegzeit. Ganz alltagspraktisch sind irgendwie alle emsig unterwegs, um vor Weihnachten dieses Jahr noch schnell alles zu erledigen. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll es aber wohl auch im nächsten Jahr 2026 wieder Zeit, Tage und Wochen geben. Lassen Sie sich also ruhig noch etwas zu tun übrig.
Auch geistlich ist der Advent Wegzeit. Es geht um Aufbrechen, Ankommen, Wegbereiten. Dafür steht das alte Bild des Predigers in der Wüste. Es klingt an im Wochenspruch für den dritten Advent: „Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig.“ (Jes 40,3.10)
In den Evangelien wird das auf Johannes den Täufer bezogen. Die große Adventsgestalt schlechthin. Der Wegbereiter Jesu, der Asket im Kamelhaarmantel, auf Honig- und Heuschreckendiät. Schon die Geschichte seiner Geburt, so erzählt es Lukas, ist mit der von Jesus wunderbar verbunden: ein halbes Jahr vor ihm geboren, beide Geburten wundersam von einem Engel angesagt. Ihre werdenden Mütter, die hochbetagte Elisabeth und Maria, sind miteinander verwandt, stehen einander bei.
Nun gibt es eine feine, kleine Verschiebung dabei, wie das alte Prophetenwort aus Jesaja 40 auf Johannes bezogen wird. Sie ist wichtig dafür, wie wir mit der adventlichen Hektik umgehen können.
In Jesaja 40 heißt es ursprünglich: „Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg.“
Bei Lukas und in den anderen Evangelien wird daraus: „Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn.“ Die Wüste wird verschoben: ursprünglich der Ort für die Wegbereitung, jetzt die Stätte der Verkündigung. Und beides ist wichtig. Christus kommt zu mir – nicht in mein wohlgestaltetes, hübsch aufgeräumtes Wohnzimmer, sondern in die Wüsten meines Lebens. In das wüste Herz in mir, in dem es allzu oft mangelt an Gott, Wasser, Ruhe, Sinn. In die Wüsten meines Kalenders, in dem ein Termin sich an den anderen reiht und der für Leben wenig Platz lässt. In die Wüste auf meinem Schreibtisch, die Einöde der To-Do-Listen, die wie eine Wanderdüne immer wieder wächst. In die Wüste der Welt um mich herum. Das Klima in unserer Gesellschaft ist schon längst überhitzt – um mehr als 1,5 Grad. In diesen verschiedenen Wüstenregionen meines Lebens begegnet mir Christus – durch Menschen, die mir Mut zusprechen. Durch Lieder, die meiner Hoffnung eine Stimme geben. Durch die alten biblischen Geschichten, die von Trotzkraft und Lebensmut erzählen.
Und hier, mitten in meinen Lebenswüsten, ist zugleich der Ort, wo ich selbst Christus den Weg bereiten soll – im Vertrauen darauf, dass er schon längst auf dem Weg ist. Ja, dass er selbst der Weg ist.
„Bereitet dem Herrn den Weg.“ Das heißt für mich konkret: Auf, ich schrubbe meine Seele, putze mein Herz. Raus mit dem Sorgenstaub. Gottes Geist braucht Raum in mir. Im Blick auf meinen Kalender: Ich brauche stille, heilige Zeiten, die geblockt sind. Oasen am Morgen, Abend, vor dem Essen – um zur Ruhe, zu Gott, zu mir selbst zu kommen. Ich schreibe meine To-Do-Listen um: Zeit für Gespräche, Begegnungen, Familie, Sport, Gottesdienst, Lesen. Zeit für das Wesentliche. Protokolle können warten. Und ich fange selber an zu singen, zu einer Stimme in der Wüste zu werden.
Der Advent ist Wegzeit. Und er ist Mutzeit. Ein Mutmonat mitten in der dunkelsten Zeit des Jahres. Wege und Mut: Sie stehen in einem seltsamen Wechselverhältnis zueinander. Wir brauchen Wege, um Mut zu finden. Und zugleich braucht es Mut, um den Weg zu gehen, zum ersten Schritt. Das Besondere im Advent ist, dass Christus, das Ziel des Weges, uns dabei selbst entgegenkommt.
Ja, wo kämen wir hin, wenn er uns nicht entgegenkäme? Wenn Gottes Geist uns nicht in Bewegung setzte? Alle Wege führen nach Rom, doch Gottes Wege führen in den Stall, zu uns Menschen.
Darum: Selbst, wenn deine Verzagtheit größer ist als deine Hoffnung, wenn du vor dem ersten Schritt zauderst, Sorgen dich innerlich verkrümmen, kommt Christus dir entgegen – und macht dich zu einem Wegbereiter.
Wir bereiten den Weg für den, der den Weg in uns bereitet und von sich selbst gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Der Weg ist nicht das Ziel, sondern Christus ist Weg und Ziel. Das hilft mir, mit den Wüsten meines Lebens umzugehen, meine Stimme nicht zu verlieren, von einer Hoffnung zu singen, die größer ist als mein kleines, verzagtes Herz.
Wo kämen wir hin, wenn Christus nicht zu uns käme? Gott sei Dank, es ist Advent.
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