Latzel Theologische Impulse (189) 

Thorsten Latzel

Rheinland(Weltexpresso) - Ich habe einen alten Freund aus Studienzeiten, Martin, der konnte schon damals lächeln, dass die Sonne aufging. Selbst an grauen Griesgram-Grübeltagen fiel es schwer, sich seiner Freude zu entziehen. Sein Lächeln hatte dabei nichts von einer aufgesetzten Verkäuferfreundlichkeit. Es entsprang mehr seinem tiefen Glauben, dass Gott ein Freund von uns Menschen ist und wir es doch auch so halten sollten. O-Ton Martin: „Weißt Du, alle Menschen sind irgendwie meine Freunde. Manche wissen es nur noch nicht.“ Lächeln, so glaube ich, war und ist für ihn ein Akt von Lebensmut. Wenn er lachte, war der Weg von einem Mundwinkel hintenrum kürzer als vorne.
Einmal durfte ich bei ihm nach einer Tagung in Heidelberg übernachten. Es war sehr spät geworden und ich klingelte mit ziemlich schlechtem Gewissen zu nachtschlafender Zeit. Und Martin: Er öffnete im Pyjama, bekam seine Augen kaum auf, dafür lächelte sein Mund mit seinen ausgebreiteten Armen um die Wette: „Froind!“
 
Advent hat für mich etwas von diesem Lächeln. Advent – das ist eine Zeit für Vorfreude und Lebensmut. Christus steht vor der Tür – Christus ante portas. Die Menschenfreundlichkeit Gottes in Person. Ich selbst bin in der Jahres-Endzeit-Hektik allzu oft so verschlafen, dass ich die Augen kaum aufbekomme. Stehe da im kurzen Hemd. Unfertig. Durch den Wind. Aber dann ist da die Botschaft, dass dieser eine kommt: Friedensbringer, König, Heiland, Retter, Erlöser, Gottessohn, Menschenfreund. Die alten Adventslieder überschlagen sich ja förmlich vor Vorfreude. „Voll Rat, voll Tat, voll Gnad.“ Wunderschön. Dann spüre ich, wie ich gar nicht anders kann, als dass sich tief in meiner Kinderseele ein Martinslächeln ausbreitet. Und in mir beginnt es zu singen. Vor Weihnachten und nach Ostern sind die zwei Zeiten im Jahr, in denen ich auch zu Hause am häufigsten laut singe. Weil beide Zeiten von einer tiefen Freude bestimmt sind. Hier die Vorfreude auf den, der da kommt – mitten in der dunkelsten Zeit. Dort die Nachfreude über das, was er vollbrachte – am Morgen, als die Sonne aufging. Adventslächeln und Osterlachen gehören zusammen. „O komm, o komm, du Morgenstern / lass uns dich schauen, unsern Herrn. / Vertreib das Dunkel unsrer Nacht / durch deines klaren Lichtes Pracht. / Freut euch, freut euch, der Herr ist nah. / Freut euch und singt Halleluja.“
 
Der 4. Advent ist der „Freu-Sonntag“ kurz vor Weihnachten. Er ist so sehr von der Nähe zum kommenden Christuswunder bestimmt, dass ihm die Vorfreude aus allen Nähten platzt. Im dazugehörenden Wochenspruch klingt das so: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!" (Phil 4,4f.) Der Satz stammt von Paulus. Er schreibt ihn, als er selbst im Gefängnis sitzt. Doch seine äußere Haft spielt für seine innere Freiheit keine Rolle. Seine äußeren Umstände werden vielmehr für ihn zur Möglichkeit, seinen Glauben umso stärker weiterzugeben. Der ganze Philipperbrief wird so zu einem tiefen persönlichen Glaubenszeugnis. Ein Brief voller Freude und Freiheit mitten im Leid – weil Paulus schon ganz in der Gegenwart des kommenden Christus lebt. So schreibt er weiter: „Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.“
 
Der letzte Satz – vom „Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft“ – ist dabei der Kanzelsegen, den wir am Ende jeder Predigt sprechen. Er steht für mich für den fortwährenden Advent, in dem wir leben. Als Christ/innen sind wir Menschen, die das Beste immer noch vor sich haben. Keine Optimisten, aber unverbesserlich Hoffende. Wir lassen uns nicht von außen bestimmen. Sondern vertrauen darauf, dass Gott ein Freund von uns Menschen ist. Wir leben so, dass wir Christus vor jeder Tür erwarten. Wir lächeln, weil Gott uns ein Lachen bereitet. Das Evangelium ist wie ein geistreicher Witz: Man kann sich ihm gar nicht entziehen, wenn die Pointe einmal in einem gezündet hat. Dann fängt es in einem an zu singen – all der eigenen Müdigkeit und kurzen Hemden zum Trotz. Oder um noch einmal das erwähnte Adventslied zu zitieren: „O komm, o Herr, bleib bis ans End / bis dass uns nichts mehr von dir trennt / bis dich, wie es dein Wort verheißt /der Freien Lied ohn Ende preist.“
 
Das „Lied der Freien“: das will ich üben, immer wieder. Am 4. Advent und 5. und 6. und 7. Ich will mich darin üben, adventlich zu leben. In der Gegenwart des Kommenden. Das Beste kommt noch. Hinter jeder nächsten Tür wartet er auf mich. Mit ausgebreiteten Armen, einem strahlenden Lächeln und tiefer Menschenliebe. Und bis es einmal soweit ist, möge der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, unsere Herzen und Sinne behüten – und uns wie Christus leben lassen.

Foto:
Thorsten Latzel vor Adventskranz 
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