Erste Inszenierung des Hessischen Staatsballett,  fusioniert aus Darmstadt und Wiesbaden

 

Hanswerner Kruse

 

Darmstadt (Weltexpresso) - Mit Spannung erwarteten Tanzfreunde „Aufwind“, die erste Inszenierung des Hessischen Staatsballetts nach der Fusion der Darmstädter und Wiesbadener Tanzbühnen. Staatsballett - das klingt nach Beamtentänzen am „Schwanensee“, doch der dreiteilige Abend zeigt ein breites Spektrum modernen Tanzes.

 

Die Trilogie beginnt mit der konventionellen Choreografie „Vom Anfang“ des neuen Ballettchefs Tim Plegge. Ein Teil der dunklen Bühne besteht aus einer schrägen Plattform, auf der zu romantischer Musik einzelne Tänzerinnen und Tänzer balancieren, herunterrutschen, sich berühren und wieder lösen. Dem Besucher schwant fürchterliches, erinnert diese Tanzerei doch an die zähen Arbeiten Mei Hong Lins, der letzten Choreografin. Doch die allzu gefällig Tanzenden werden von den Tönen György Kurtágs aufgestört und zu bizarren Bewegungen getrieben. Bei wechselndem Licht entstehen Bilder „Vom Anfang“, von gestrandeten, gescheiterten, aber immer neu beginnenden Menschen.

 

Die Sensation des Abends ist die spannende Gast-Inszenierung des Forsythe-Schülers Richard Siegals, der als Choreograph selbst international sehr gefragt ist. Mit dem Ensemble schuf er das atemberaubende „Liedgut“. Zu anfangs weißem Rauschen und sanften Technotönen öffnet sich der Vorhang. Auf der tiefschwarzen Bühne flimmert ein riesiger, wohl 10 Meter hoher, ein Meter breiter flexibler LED-Schirm, der sich auch verbiegt, einrollt oder über den Tanzenden schwebt. Nach und nach tauchen Tänzerinnen und Tänzer in weißen Latexleibchen auf, bewegen sich mit zuckenden oder akrobatischen Bewegungen. Zu stroboskopartigem Licht und mittlerweile heftig verzerrten elektronischen Klängen frieren manche in un-menschlichen Haltungen ein, andere zelebrieren plötzlich ganz altmodische Ballettfiguren und Spitzentänze in der futuristischen Bühnenlandschaft.

 

Das sinnliche Spektakel evoziert heftige Assoziationsketten und stürzt in Verwirrung: Doch könnte man mit Worten sagen, was es bedeutet, müsste man es ja nicht tanzen, meinte einst die Tänzerin Isadora Duncan. „Liedgut“ erinnert an frühe Arbeiten Forsythes in Frankfurt oder getanzte Fortsetzungen des Films „2001: Odyssee im Weltraum“. Das altersgemischte Publikum rast vor Begeisterung, nach diesen stressigen tänzerischen Grenzgängen.

 

Left. Right. Left. Right.“ Es folgt komisches Tanztheater des Gastchoreografen Alexander Ekmann, das er 2012 mit dem Nederlands Dans Theater entwickelte. Endlos lange steht das Ensemble eingefroren auf der Bühne, manchmal zucken einige, schütteln sich oder verrenken die Köpfe. Plötzlich rennen alle los, frieren ein, rennen weiter. Aus diesem Bewegungsspiel entstehen „Faxentänze“, in denen manche heftig einzelne Körperteile bewegen. Ein Video zeigt, wie die Compagnie bei einer Art Flashmob die gleichen Bewegungen mitten in Darmstadt und Wiesbaden ausführt: Purzelbäume auf dem Luisenplatz. Das Stück endet mit einer Choreografie auf 16 Fitness-Laufbändern, die das Ensemble synchron oder voneinander abweichend mit extremen Bewegungen be-turnt. Und fortwährend schreitet eine schöne Frau im roten Kleid in Zeitlupe um das turnende und tanzende Ensemble.

Seit Jahren treffen Sparmaßnahmen der öffentlichen Bühnen oft die kleinen Tanzsparten. Die Verantwortlichen des Staatsballetts beteuern unermüdlich, ihre Fusion diene dazu, „neue Wege“ zu gehen. Immerhin steht dafür jetzt ein 28-köpfige Ensemble zur Verfügung und es sind noch Ressourcen für Gastchoreografen oder Auftritte anderer Compagnien übrig. Die Hessische Tanzszene scheint nach Jahren der Agonie wirklich wieder „Aufwind“ zu bekommen.

 

FOTO: Szenenfoto aus „Liedgut“ von Regina Brocke

 

INFO:

Aufwind“ in Darmstadt am 18. Dezember, in Wiesbaden am 15., 21., 26., 29. November, 10., 18., 19. und 28.Dezember. Weitere Vorstellungen im neuen Jahr in beiden Häusern.

 

Gastspiel Rui Horta am 20. und 21. November in Darmstadt http://www.hessisches-staatsballett.de/