Die „Wolken von Sils Maria, Lars Eidinger und ich

 

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Eigentlich hat Lars Eidinger (38) als Klaus nur eine kleine Rolle als Regisseur in „Die Wolken von Sils Maria“. Doch er treibt Juliette Binoche (50) als Maria in die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit.

 

Viele Menschen außerhalb Berlins kennen Eidinger nur als Tatort- und Filmschauspieler („Was bleibt“, „Alle Anderen“), in Berlin ist er jedoch seit 2000 das bejubelte enfant terrible der „Schaubühne“. William Shakespeares Hamlet spielt er mit Tourette-Syndrom, einer Störung, in der Tics die Kontrolle des Verstandes ausschalten und die Betroffenen zwanghaft boshafte Wahrheiten aussprechen (müssen).

 

In „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch“, fragt er mitten im Stück den Mitarbeiter unserer Zeitung: „Ey, schreibst Du alles mit? Lass Dir doch von der Souffleuse den Text geben.“ Einem Eingeschlafenen in der ersten Reihe will er, ganz ernsthaft, einen Kaffee holen. Seine Wechsel ins Private, auch in anderen Aufführungen, sind legendär - und überhaupt nicht peinlich, denn er integriert sie in das Stück.

 

Hanswerner Kruse: Spielst Du jedes Mal anders?

Lars Eidinger: Wenn ich nur festgelegte Arrangements oder Textmelodien wiederhole, verlieren die Leute das Interesse. Manche Schauspieler haben den Anspruch, immer alles ganz genau gleich zu spielen, aber dann kann man es ja auch abfilmen. Also ich würde da verblöden und finde es reizvoll, dass ich es immer anders machen KÖNNTE, ich habe die Freiheit, dass ich auf der Bühne eigentlich machen kann was ich will. Das motiviert mich wahnsinnig!

 

Ist es Dir wichtig mit störenden Situationen wie gestern, offensiv umzugehen?

Das ist für mich die ehrlichste Art Theater zu machen, zu zeigen, dass ich ein Schauspieler bin, der diese Figur spielt und dass mich etwas irritiert. Es ist doch völlig albern und übertrieben, wenn es irgendwo heißt, er wurde zu seiner Rolle. Ich finde es interessant, wenn der Spieler anwesend bleibt, deshalb sehe ich mich auch eher in der Tradition eines Puppenspielers: Der ist auch ständig sichtbar, trotzdem folgt man der Illusion und der Moment büßt nichts von seiner Sinnlichkeit ein, im Gegenteil. Man sagt ja nicht, oh, jetzt ist der Zauber weg, weil ich den Puppenspieler sehe.

 

Du gleitest sehr behutsam vom Privaten ins Spielerische…

Dieser magische Moment wird im Theater oft unterschätzt, der Übergang vom Privaten ins Spiel. Den kann man doch sichtbar machen. Jeder Zuschauer weiß doch, dass ich bei meinem Auftritt von der Seitenbühne komme und nicht aus dem Schlachtfeld.

 

Liegt darin der Unterschied von Theater und Kino?

Ja, die Unmittelbarkeit ist der große Trumpf des Theaters und wahrscheinlich auch der Grund warum so viele junge Leute in die „Schaubühne“ kommen, die haben wir ja gar nicht an das Kino verloren. Der Film will was etwas festhalten, es heißt ja nach einer abgedrehten Szene auch sie sei „gestorben“, das Theater dagegen zelebriert Vergänglichkeit, also das Leben. Ich weiß, das ist jetzt so, das hält keiner fest, aber ich hab’s erlebt, morgen wird es ganz anders sein. Alle Leute, die gestern in der Vorstellung von „Goya“ waren, die wissen, das war nur das eine Mal so - und wir waren dabei.

 

Kommen wir mal zum Film mit Juliette Binoche

Ich war sehr überrascht, sie ist nach Berlin gekommen, hat sich ein Stück, in dem ich spiele, in der „Schaubühne“ angesehen und ist anschließend mit mir Essen gegangen. Vor dem Dreh hat sie den Text mit mir durchgesprochen und sich dann im Spiel völlig eingelassen. Das hatte ich überhaupt nicht erwartet, sie ist ein Weltstar völlig frei von Allüren…

 

ich bin total neidisch…

das war auch total aufregend! Im Theater hast Du ja das Gegenüber, spielst unmittelbar mit ihm. Im Film ist es oft so, dass Dein Partner bei der Aufnahme gar nicht mehr anwesend ist, das sieht später der Zuschauer ja nicht. Aber mich frustriert das natürlich, weil ich zum Spielen das Gegenüber brauche. Aber Juliette Binoche war immer präsent, hat sich 100 Prozent zur Verfügung gestellt - ich war derjenige, der davon profitiert hat - als Spieler.

 

Foto: Lars Eidinger im Goya-Stück der „Schaubühne“, © Heiko Schäfer