Serie: ZUM 8. MAI 1945: Kapitulation und Befreiung, Teil 10: Wie es mit den Verträgen weiterging

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Alleine die unterschiedlichen Daten zeigen, wie formal so eine Kapitulation, die ja Kriegsschluß bedeutet, verstanden wird. Denn – so lasen wir aus der Urkunde von Reims vom 7. Mai – die bedingungslose Kapitulation der Deutschen trete erst am 8. Mai 23:01 MEZ in Kraft. Bis dahin wird also weitergemacht? Tatsächlich hat die russische Lesart, der Friedensschluß und damit der Sieg der Sowjetunion sei erst am 9. Mai erfolgt, gleich zwei gute Gründe.

 

Kaum einer berücksichtigt, daß in der Nazizeit die Sommerzeit galt, die die Uhren eine Stunde vorstellte, so daß nach der 'eigentlichen' Zeit es schon 00:01 Uhr war, also der Beginn des Tages vom 9. Mai 1945. Warum die Sowjetunion und heute Rußland und die meisten der ehemals in der Sowjetunion zusammengeschlossenen und nun staatlich eigenständigen Länder den 9. Mai als ihren TAG DES SIEGES, aber auch TAG DES VERLUSTS von rund 26 Millionen Toten auf sowjetischer Seite begehen, hatte einen anderen Grund. Die in Reims von Jodl unterschriebene Kapitulationsurkunde trug auf sowjetischer Seite nur die Unterschrift eines Generalmajors Susloparow. Das war Stalin nicht genug. Diese Kapitulation war aber auch unzureichend als eine bedingungslose, weil Jodl nicht die gesamte Wehrmacht repräsentierte. Deshalb wurde im Hauptquartier der sowjetischen 5. Armee in Berlin-Karlshorst für den 8. Mai um 23.01 die Kapitulation ein zweites Mal erklärt. Um diese Zeit ist nun mal in Moskau schon durch Zeitverschiebung der 9. Mai angebrochen.

 

Und diese Erklärung, die vorsah, daß das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) mitsamt den Oberbefehlshabern von Heer, Luftwaffe und Kriegsmarine unterschreiben sollte, trägt die Unterschriften v.Friedeburg, Keitel, Stumpf für das Oberkommando der deutschen Wehrmacht und wurde tatsächlich erst um 00.16 Uhr am 9. Mai in Karlshorst unterzeichnet. Erst jetzt war sie rechtsgültig, weshalb das Datum vom 9. Mai für die Sowjetunion zählt. Eigenartig übrigens, daß in der in Berlin Karlshorst aufbewahrten Kapitulationsurkunde vom 8. Mai 1945 als 6. Punkt steht: „Diese Erklärung ist in englischer, russischer und deutscher Sprache abgefasst. Allein massgebend sind die englische und die russische Fassung.“

 

Aus der Tatsache, daß die Wehrmacht kapituliert habe und nicht das Deutsche Reich, wurden später immer wieder absonderliche Theorien über den Fortbestand dieses Dritten Reiches begründet. In der Urkunde steht allerdings nichts, was außer dem Beenden jeglicher Kriegshandlungen auf das staatliche und gesellschaftliche Leben Deutschland direkt Auswirkungen hätte. Es war aber faktisch so, da eine bedingungslose Kapitulation Siegern das Recht zugesteht, im besiegten Gebiet die gesellschaftliche und politische Macht zu übernehmen, also Staatsgewalt auszuüben.

 

Rechtlich und inhaltlich wurde dies in einer Erklärung der vier Siegermächte „in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten 'Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands' am 5. Juni mit Wirkung vom 5. Juni 1945 in Berlin präzisiert. Diese Regierungsgewalt galt für ein Deutschland in den Grenzen von 1937 und bedeutete den Viermächtestatus. Damit ist klargestellt, daß das Deutsche Reich als Staatsgebiet bestehen bleibt, also auch nicht annektiert wird, sondern daß die Aufgaben der ehemals deutschen Staatsmacht nun von den vier Siegermächten ausgeübt wird. Das alles ist auch Ausfluß verschiedener - zwischen den gegen Deutschland kämpfenden Alliierten - stattgefundenen Treffen und dort abgegebener Erklärungen, von denen die Krimkonferenz von Jalta die bekannteste ist. Es sollte den Kontrollrat geben und nach der Abtrennung Österreichs als eigenes Land, eine Aufteilung von Deutschland in erst drei, dann vier (Potsdamer Konferenz) Besatzungszonen sowie die gleichen Zonen in den beiden Hauptstädten Berlin und Wien. Beide Länder waren also nicht souverän.

 

Wie bekannt, änderte sich dies für Österreich durch den Staatsvertrag am 15.5. 1955 in Wien, wo Österreich sich als neutral erklärte, also weder der Nato noch dem erst danach gegründeten Warschauer Bund zugehörig, und souverän wurde. Für Deutschland wurde es in Folge sehr kompliziert, was durch die Konstituierung zweier deutscher Staaten bedingt war. Für die BRD galt erst ab den Pariser Verträgen von 1955 die Aufhebung eines Besatzungsstatus, der aber weiterhin alliierte Vorbehaltsrechte beinhaltete. Auch in der DDR gab es eine 'Hohe Kommission der UdSSR in Deutschland'. Beides endete erst mit der Vereinigung der beiden Deutschen Staaten durch Beitritt der DDR zur BRD am 3. Oktober 1990, war aber nur möglich geworden durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag, ein Staatsvertrag zwischen BRD, DDR sowie Frankreich, Großbritannien, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika, abgeschlossen am 12. September 1990 in Moskau und am 15. März 1991 in Kraft getreten.

 

In der westdeutschen und inzwischen in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion bleibt unterbelichtet, daß Stalin am 10. März 1952 dem bundesdeutschen Bundeskanzler Adenauer den Vorschlag zur Wiedervereinigung beider deutschen Staaten gemacht hatte, wobei die von ihm geforderte Neutralität eines vereinigten Deutschlands für Adenauer indiskutabel war. Eine heutige Einschätzung von Historikern nach Sichtung der entsprechenden Archive wäre nötig.

 

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Wie es Österreich gelungen ist, schon 1955, was ja auch schon zehn Jahre nach dem Krieg bedeutet, besatzungsfrei und souverän zu werden, hat seit jeher unsere Bewunderung erregt, vor allem deshalb, weil dies den Deutschen bis 1990 nicht gelang. Deshalb hier das Foto vom 15.5. auf dem Balkon des Belvedere in Wien beim Zeigen des Staatsvertrags.