sozialpolitikeuVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Berlin, Teil 56

Der Paritätische

Berlin (Weltexpresso) - Im Rahmen der EU 2030 Strategie hat die Europäische Union sozialpolitische Ziel bis zum Jahr 2030 vereinbart. Danach soll durch gemeinsames Handeln der EU und der Mitgliedsländer mehr Beschäftigung und Weiterbildung organisiert werden. Die Zahl der Menschen, die in Armut und / oder sozialer Ausgrenzung leben müssen, soll reduziert werden. Die Bundesregierung hat nunmehr veröffentlicht, wie ihre nationalen Ziele aussehen. Armutspolitisch sind die Ziele leider wenig amitioniert.

Auf dem sogenannten Sozialgipfel in Porto hat sich die EU auf Ziele für eine neue sozialpolitische Agenda verständigt. Drei Ziele werden besonders hervorgehoben und mit konkreten Zielvorgaben unterlegt: Beschäftigung, Weiterbildung und Armutsreduktion. Konkret sollen EU-weit:
* die Erwerbsquote von 73,1 Prozent (2019) auf 78 Prozent im Jahr 2030 angeboben werden,
* bis 2030 60 Prozent aller Erwachsenen jährlich an einer Fort- und / oder Weiterbildungsmaßnahme teilnehmen sowie
* die Anzahl der Menschen, die in Armut und / oder sozialer Ausgrenzung leben müssen, um 15 Mio. betroffene Personen reduziert werden; 5 Mio. sollen davon Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre sein.

Die Mitgliedsländer sind aufgefordert sich im Lichte dieses Kontextes  eigenständige Ziele zu setzen. Die Bundesregierung hat im Rahmen eines Konsulationsprozesses ihre Ziele zur Diskussion gestellt. Endgültig beschlossen werden die Ziele im Rahmen des Nationalen Reformprogramms.  Danach soll
* die Beschäftigungsquote bis 2030 von aktuell 80 Prozent auf 83 Prozent gesteigert werden; insbesondere bei den Älteren, den Frauen und den Ausländer*innen werden gruppenspezifische Unterziele gesetzt.
* die Weiterbildungsbeteiligung soll von derzeit 52 Prozent (2018) auf 65 Prozent bis 2030 gesteigert werden.
* In demselben Zeitraum soll die Anzahl der Menschen in Armut reduziert werden, indem die Anzahl der Personen in Haushalten mit sehr niedriger Erwerbsintensität um 1,2 Mio. (davon 300 Tsd. Kinder) reduziert wird. Der aktuelle Stand wird für 2019 mit 4,7 Mio. (davon 700 Tsd. Kinder) beziffert.

Aus der Perspektive des Paritätischen sind insbesondere die armutspolitischen Ziele aus verschiedenen Gründen völlig unzureichend. Ziel muss es sein Armut abzuschaffen, oder zumindest - wie die UN mit ihrer 2030 Strategie fordert - Armut bis 2030 in seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu halbieren. Davon sind die Ziele der Bundesregierung weit entfernt. Sie sind noch nicht einmal geeignet, einen angemessenen Beitrag zur Erreichung des EU-Ziels zu leisten. Nach Angaben von Eurostat sind 2019 etwa 91 Mio. in der EU von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen, in Deutschland 14,2 Mio. Dies entspricht einem Anteil von etwa 15 Prozent. Wenn Deutschland einen angemessenen Beitrag zur europaweiten Armutsreduktion leisten will, dann müsste die Anzahl der Menschen in Armut oder sozialer Ausgrenzung um 2,34 Mio. gesenkt werden. Das ist weit entfernt von dem nationalen Ziel, das sich deutsche Regierung setzt.
Weiterhin ist zu kritisieren, wie die Bundesregierung das EU Ziel konkret umsetzt. In Deutschland soll die Zahl der Haushalte mit sehr niedrigerer Erwerbsintensität reduziert werden. Mehr Menschen in den Haushalten sollen mehr arbeiten. Damit wird Erwerbsarbeit ausgeweitet, dies ist aber nicht identisch mit Armutsbekämpfung. Armut im Wesentlichen Einkommensarmut. Die Bundesregierung definiert - in unschöner Kontinuität zu den Vorgängerregierungen - Armut in Erwerbslosigkeit an. Mit dieser Umdeutung wird Armut zu Arbeitslosigkeit. Damit hilft auch aus der Perspektive der Bundesregierung nur die Bekämpfung von Erwerbslosigkeit bzw. die Ausweitung des Umfangs von Erwerbsarbeit im Kampf gegen Armut. Viele einkommensarme Personen stehen aber dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung (etwa Erwerbsgeminderte oder Altersrentner*innen). Diese Gruppen fallen bei der Problemdefinition der Bundesregierung systematisch durch das Raster. Die  Notwendigkeit Sozialleistungen auf ein armutsfestes Niveau anzuheben, wird bei dieser Problemsicht, nicht einmal als eine Option ersichtlich. Im Ergebnis ist eine nennenswerte Reduktion der Einkommensarmut nicht von dem Handeln dieser Bundesreigerung zu erwarten. Der aktuelle Fokus auf die Vermeidung von Erwerbsarmut - also Armut trotz Erwerbstätigkeit - durch die spürbare Anhebung des Mindestlohns ist zu begrüßen, er reicht aber nicht aus um umfassend Armut zu bekämpfen. Dafür müssen auch die Sozialleistungen deutlich angehoben werden.

Sowohl die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege als auch die Nationale Armutskonferenz haben in einer Stellungnahmen die Ziele der Bundesregierung kommentiert und - insbesondere mit Blick auf die Armutsziele - als wenig ambitioniert kritisiert. Auf diese Stellungnahmen wird hier ergänzend verwiesen.

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