Zu den Schwierigkeiten der wiedergewählten brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff nach ihrem Erfolg als Objekt der globalisierten Finanzklasse

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Berichterstattung über die Präsidentschaftswahlen in Brasilien waren hierzulande in allen Zeitungen sehr umfangreich. Die Frankfurter Rundschau beäugte das Dilemma der alten und neuen Präsidentin Brasiliens mit Mißtrauen.

 

Deren Stehvermögen scheint ihr nicht ganz geheuer zu sein und daher erscheinen die Forderungen der Opposition nicht gar so unvernünftig, was immer auch vernünftig heißen mag. Ist aber gerade Stehvermögen nicht die einzige Haltung, die den Ländern der südlichen Hemisphäre zum Guten gereichen kann, wenn über einen längeren Zeitraum durchgehalten? Machen wir uns nichts vor: „Die Herausforderer der Linken kommen aus jenen Eliten, die das Volk eins abgewählt hat“. (SZ 28.10.2014)

 

 

Arm und Reich

 

Brasilien ist gekennzeichnet – wie sollte es in Südamerika anders sein – durch einen Klassengegensatz von Arm und Reich, der quasi-metaphysische Qualitäten hat und unüberbrückbar zu sein scheint. Die Schwierigkeiten südamerikanischer Länder – oft als Hinterhof für den kontinentalen Norden bezeichnet – haben sozio-ökonomisch-historische Voraussetzungen. Die Korruption sowohl, aber auch die Willfährigkeit einheimischer Eliten – welche es auch immer als selbst ernannte seien - den Einflüssen und Interessen des international agierenden Anlegerkapitals gegenüber, allen voran der IWF in Stellvertretung, mögen aus Tradition und Unbeweglichkeit auf lange Sicht – wenn auch nicht nur - auf der Südhalbkugel heimisch bleiben und kaum auszurotten sein. In den besseren Kreisen weiß man sich da wie dort auch in Einheit gegen das Volk, das eigene zumal.

 

Bevor über das, was „vernunftige Wirtschaftspolitik“ und „Wachstum“ (FR 28.10.2014) meint, räsoniert wird, sollte wieder in Erinnerung gerufen werden, dass die Strategie des globalen und industrie-gesellschaftlichen Kapitals immer war, die Länder des Südens für ihre vorherrschenden Interessen weit zu öffnen und sie auszuwringen, zu fleddern. Und zwar soweit es nur irgend möglich geht. Das heißt: so günstige Anlage- und Investitionsbedingungen wie nur möglich und möglichst null Importschranken. Das ist zugleich immer Wille auch des IWF gewesen, der stets federführend war..

 

 

Die Plage der Monokultur

 

Bereits der Erdkundelehrer hatte Anfang der Sechziger Jahre drastisch-anschaulich die zerstörerischen Erosionen, welche der Anbau in Monokultur bzw. die monotone Anbauweise schon damals verursacht hatte, der Schülerschaft mit ihren großen, auf die Erdkugelkarte gerichteten Augen nahe zu bringen verstanden, was insbesondere damals den plateauartigen Nord-Osten des brasilianischen Territoriums betraf. Sensationelle Fotos mit Gräben und ausgewaschenen Schluchten in verkarsteten Landschaften waren zu sehen. Das gehörte über all die Jahre zu den ganz wenigen erhalten gebliebenen Eindrücken aus der Schulzeit.

 

 

Neoliberale Finanzelite lauert ununterbrochen auf Beute

 

Das globalisierte Kapital, hinter dem in der Regel anonyme, geistlose Interessen stecken, will unbedingt überall rein, um sein zerstörerisches Werk auszuüben. Die Eliten der einzelnen Länder dieser Welt nehmen das von ihren Bevölkerungen Erwirtschaftete und richten es gegen die Bevölkerungen anderer Länder mit Hilfe der großen Geldsammelmaschinen. Das ist das generelle Schema. Es geht nie um Werte, nur um Mammon. In diesem Sinne sind die Interessen des regionalen, in kleineren Einheiten organisierten und der Umwelt günstigeren Anbaus ein absolut zu befeindender Gegner für jene Interessen der Megaeinheiten. Denn mit Klein und Überschaubar ist kaum Profit zu machen. Traditionelle Kleinbauern, indigene Gemeinschaften werden verdrängt, verjagt und zwangsumgesiedelt, z.B. auch bei Planung, Bau und Errichtung von Großwasserkraftwerken - sofern ihnen nicht Schlimmeres passiert. So manche Doku unseres kritischen Fernsehens hat uns schon am Reportageabend gebannt den Schirm fixieren lassen, ob des zu Erblickenden.

 

Brasilien erlebte 2008 Widerstand gegen das Wasserkraftwerk Belo Monte. Marina Silva, Kandidatin für den PSB, war damals aus Protest gegen das Projekt von ihrem Amt als Umweltministerin im Kabinett Lula da Silva, PT, (Amtsvorgänger von Rousseff) zurückgetreten. Die Zerstörung am ropischen Regenwald verstärkte sich im Jahreszeitraum von 2012 bis 2013 wieder um 28%. Eine Novellierung des Waldgesetzes lockerte die Schutzzonenregelung zugunsten der Großflächeninteressen. Auch hier sind transnationale Begehrlichkeiten der Verwertung und Vermarktung der gesamten Natur der Welt am Werk.

 

Die FR titelte: „Hat Thyssen ein Gewissen?“ (18.01.2014). Im Untertitel: „Aktionäre und Menschenrechtler protestieren gegen das Stahlwerk in Brasilien“. Die Kritischen Aktionäre hatten sich vor der Hauptversammlung von Thyssen-Krupp postiert. Grund für die Proteste waren die durch den Stahlwerkbau hervorgerufenen Umweltschäden, zum Nachteil von Meer und Fischern, die ihre Arbeit verloren. „Die Fabrik am Rand von Rio wurde wegen giftiger Emissionen mehrfach zur Zahlung hoher Geldstrafen verurteilt“. Nebenbei entstand ein wirtschaftlicher Verlust. Der Werksbetrieb war aufgrund von Fehlern bei der Errichtung chronisch gestört, das Werk auch nicht zu verkaufen.

 

Die andere offene Wunde für die lateinamerikanischen Länder ist die Öffnung der Länder für ungehinderte Importe aus den preislich überlegenen Industrieländern, ja sogar für agrarische Produkte aus dem Norden. Der ungehinderte Freihandel fügt den Wirtschaften der Südländer des Globus enormen Schaden zu, wenn er keiner Regulierung unterliegt. Die traditionellen, alt-eingesessenen Erzeugerbetriebe und Handelsmärkte, vor allem der Kleinbauern und lokalen Beschicker können gegen die Produkte der intensiven, industriell-mechanisch aufgerüsteten, subventionierten Landwirtschaft der Industriestaaten und gegen die dieser folgenden multinationalen Nahrungsmittelimperien nicht konkurrieren. Soweit zu dem Allgemeinen der Problematik.

 

 

Das 'Dilemma' Rousseffs

 

Denn das Brasilien, das Dilma Rousseff in ihrer zweiten Amtszeit vorfindet, ist polarisierter denn je“. (FR 28.10.2014) „ Der Riss geht geografisch von Nord nach Süd und gesellschaftlich von oben nach unten“. Auf der einen Seite Arme, auf der anderen Reiche und „besser situierte Mittelschicht“. Die Mittelschicht plädiert für „vernünftige Wirtschaftspolitik“. Hören wir solches nicht auch bei uns von Seiten der in kurzfristigem Denken verhafteten, allein auf sich selbst bezogenen Aktionärs- und Eigner-Interessen? Dies solle „Wachstum ankurbeln“ und „der Inflation ein Ende“ machen. Es wird im
FR-Artikel auf Experten abgestellt, mit ihrer Forderung nach einer „stärkeren Hinwendung zum Freihandel und mehr Freiheit für die Notenbank“. In ähnlicher Weise ergingen doch immer Forderungen, die mit ausländischen Interessenlagen zu tun hatten, die es richten sollten. Kann das gut gehen? Nein, denn die Staaten Südamerikas gelten durchweg als offenes Gelände für geballtes Anlegerkapital, das am Wohl und Wehe der sich entwickelnden Länder nicht interessiert ist. Anderes Beispiel: EPA , das EU-Afrika-Handelsabkommen richtet sich klar gegen Afrika, da die europäischen Länder im Wettbewerb überlegen sind. Stichwort: Billigfleisch aus Hähnchenflügeln subventionierter Herstellung.

 

Nachhaltige Entwicklung der Ökonomie, Umwelt eingeschlossen, kann nur im Gemeinschaftswerk der jeweiligen Gesellschaften gelingen, durchaus entwicklungspolitisch gefördert, kann nicht aber aus der Vorgehensweise eines von außen aufs Land gerichteten Kapitals hervorgehen; mit geöffnetem Binnenmarkt, attraktiven Zinsen und Sicherheiten für Kapitalinteressen aus der Ferne - durch die Notenbank ermöglicht. Wie oft hat die so zuschlagende Geld- und Kapitallösung schon in die Katastrophen der Länder der Südhalbkugel geführt. Das sind Forderungen aus vergangenen Schlünden. Ein Land muss sich selbst, eigenverantwortlich, in einem gesellschaftlichen Prozess ein gedeihliches Entwickeln bereiten, ansonsten kann kein dauerhaft stabiler Zustand erlangt werden.

 

 

Wer bezahlt?

 

Bezahlen müssen die Fehler durchgesetzter mächtiger Interessen immer die kleinen
Leute mit gravierenden Einschnitten bei der Lebenshaltung, mit Lohnkürzungen, Entlassungen, Deindustrialisierung, Ausverkauf von Unternehmen (in der Krise sind sie billig), Erhöhung der Mehrwertsteuer (diese Art Erhöhung ist stets ein Raubzug, in jeglichem Land), Einsparungen bei Gesundheit und Vorsorge, Armutshunger auch, insbesondere von Kindern und Alten. Das sind die Geißeln auch Lateinamerikas. Inflation kommt in der Regel, wenn Anleger-Märkte spekulativ überfragt sind, wenn die Krise oder auch nur das Gerücht darum Panik, Unsicherheit gebiert - Flucht in den Aktionismus. In den Krisen flüchtet das einheimische Kapital in Offshore-Oasen und Finanzplätze der Steueroptimierung. Griechenland war ein aktuelles Beispiel hierfür. Inzwischen dürfte das Geld, das dieser Staat nicht bekommen hat, komplett außer Landes sein. Richtig wäre, alles feste Gut dieser antisozialen Kreise zu konfiszieren, pauschal.- Für neu angediente Kredite müssen unter Umständen 40%ige Risikoaufschläge gezahlt werden. Dies Kredite Eintreiben und gleich neue Vergeben, dann Einschnitte oktroyieren, ist das übelste Spiel dieser Welt, vollzogen unter Führung des IWF.

 

 

Die Konzessionseinnahmen aus den Prè Sal-Feldern

 

Einen günstigen Schub ergab die Rohstoffgewinnung aus dem Tiefseemeeresgrund Brasiliens, es fand sich Öl, aber es ist auch nicht die Lösung. Zu sehr auf Rohstoffe basierte Wirtschaft reicht nicht lange hin und nicht ewig vor. „Kommendes Jahr rutscht die größte Volkswirtschaft sogar in die Rezession“. „Zugleich frisst die Inflation den Geringverdienern das Gehalt weg“. Auch Rohstoff ist letztlich ein Stück Monokultur, Putin wird`s wissen. Wir kennen das auch aus anderen Gegenden, die sehr despotisch regiert werden – mit weiteren Nachteilen. Einem Gesetz wurde vom brasilianischen Parlament zugestimmt, wonach die Einnahmen aus den Feldern in die Bildung und in das Gesundheitswesen fließen sollen.

 

Korruption ist das immer währende Thema in vielen Ländern – man wagt kaum zu
denken wie hoch die direkte oder indirekte Bestechlichkeit wohl im eigenen Lande ist. Korruption ist ein Indiz dafür, dass legitime Möglichkeiten nicht in genügendem Maße offenstehen, aber es ist immer auch ein Versagen individueller Charaktere. In- und ausländische Seilschaften ziehen an einem Strang, wenn bei Auftragsvergaben ein Bakschisch abzuholen ist. Der Mensch ist wohl korrupt und kleingläubig. Daran scheitert ohnehin vieles, was möglich wäre. Die andere, bessere Lösung wird immer umgehend angefeindet und zerredet. Auf Brasilien hin gesehen: Es gab in der teilstaatlichen Ölgesellschaft Petrobas Korruption in allergrößtem Ausmaß. „Geständige Kronzeugen und Schmiergelder von geschätzt 10 Mrd. Dollar könnten die Zeit bis zu Rousseffs zweitem Amtsantritt am 1.Januar sehr unruhig werden lassen“. (FR 28.10.2014) Das Ende Januar 2014 in Kraft getretene neue Antikorruptionsgesetz ging auf den Druck der Massenproteste zurück. Hier war die Mittelschicht tätig geworden.

 

Die teilweise gewaltsamen Proteste in 2013, dem Jahr der Weltmeisterschaft, sind noch in lebendiger Erinnerung. Robuste Volksteile forderten, Prestigeprojekte zurückzufahren und mehr Geld in Bildung und günstige Busverkehre zu stecken. Ärztemangel war auch der Grund.

 

Der Skandal um die ungehemmte Überwachung fremder Staatengebilde durch den NSA betraf auch Brasilien. Das Land hat sich mit seiner Präsidentin selbstsicher und unabhängig gezeigt und distanzierte sich in dieser Angelegenheit vom großen Zampano im Norden. In einer Rede vor der UN-Generalversammlung warf Dilma Rousseff den USA einen Bruch des Völkerrechts vor.

 

Der Unsicherheitsfaktor für Brasilien ist die Tatsache der gespaltenen Gesellschaft.
Es gilt: Rette sich wer kann! Wie fast überall haben die Eliten wenig Empathie für eine Gesellschaft des Zusammenhalts, des Zusammengehörens, kaum Geist für einen kooperativen Gesellschaftsentwurf. Regungen wie Hochmut und Eitelkeit, der Prestigekult um die eigene Gesellschaftsklasse, der erlesenen und hochwohlgeborenen, sind das Gift für das jetzt global vorherrschende Konzept des Nicht-mehr-Zusammengehörens. Einer hat es vorausgedacht:„...wir gehören mit denen zusammen, mit denen wir nicht zusammengehören“. ('Im selben Boot', Peter Sloterdijk, 1993)

 

Es gibt Leute, die müssen dauernd im beschränkten Eigeninteresse an allem, was sich ihnen bietet, herumreißen, um es schließlich in die Knie zu zwingen. Ein Opfer des Terrors des bloßen Eigeninteresses könnte auch die brasilianische Präsidentin werden. Für sie dürfte eine Alternative nicht leicht zu halten sein. Nicht-“Eliten“, vereinigt Euch gegen diese Zerstörer.

 

Selbst wenn Präsidentin Rousseff dem Machismo nicht ganz abhold zu sein scheint, hat sie bei allen üblichen Turbulenzen auf dem lateinamerikanischen Kontinent besser das Zeug, die Gesellschaft durch die Fährnisse zu lotsen, als ihre Rivalen, bei denen das Ego naturgemäß eine viel größere Rolle spielt. Immerhin war sie eine Kämpferin gegen die Diktatur und hat sich nicht im Kuschelmilieu verbarrikadiert. Ihr in Anbetracht der sozialen Spaltung des Landes den Vorwurf „fortgesetzte Alimentierung“ aufs Brot zu schmieren, wie es die FAZ tut (28.10.2014), ist abscheulich. Hierin sind sich die überheblichen Kreise wieder mal einig. Die Unkalkulierbarkeit in Anbetracht der vererbten Mißverhältnisse ist in ganz Südamerika das tradierte Problem, das unablässig fortwirkt. Lateinamerika ist immer noch Spielball des Nordens. Die Hyänen lauern.