m semperoperNachlese zu zwei Silvesterkonzerten in Dresden am 30./31.12.

Kirsten Liese

Dresden (Weltexpresso) - Die Idee ist super gut! Wir feiern 100 Jahre Ufa. Warum also nicht einmal ein Silvesterkonzert mit Filmmusik aus den 30er und 40er Jahren? Abgesehen davon, dass die leichte Muse zu dieser Zeit in einem eigenen Genre der Tonfilmoperette florierte, entstanden in diesen Jahrzehnten herrliche Songs und Schlager, von denen sich einige bis heute großer Beliebtheit erfreuen.

Aber wenn ein konservativer Dirigent wie Christian Thielemann mit seiner Sächsischen Staatskapelle ein solches Konzert ankündigt, ist ein solches Programm offenbar sofort ein Politikum.

Jedenfalls kam es, ausgelöst von einem Artikel in der „Welt“, im Vorfeld schon zu einer Aufregung in den Medien. Sie mag einem übertrieben erscheinen: Abgesehen davon, dass nur noch wenige die alten Propagandafilme aus der NS-Zeit, die die Ufa freilich auch produzierte, kennt, bewegt sich die Rezeption dieser Unterhaltungsmusik schon seit Jahrzehnten auf einem ganz anderen Level. So erlebte gerade Zarah Leander, die mit den Titeln „Davon geht die Welt nicht unter“ und „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“ aus dem Propagandafilm „Die große Liebe“ (1942) zwei besonders belastete Lieder auf ihrem Konto hatte, Jahrzehnte nach ihrem Tod – vor allem in Schwulenkreisen - eine Renaissance. Zahlreiche Szene-Künstler sangen ihre Lieder nach. Die Fans delektieren sich an der androgynen, dunklen Stimme des Ufa-Stars und der mal schwungvoll-kulinarischen, mal melancholisch-sentimentalen Musik selbst. Warum auch nicht? Zu Propaganda wurde die Musik ohnehin nur im Kontext des Films. Die Musik per se ist weder rechts noch braun. Ohnehin gibt es nur gute oder schlechte Musik.

Vermutlich war der mediale Aufruhr aber doch der Grund, warum sich die Interpreten des Silvesterkonzerts mühten, zu den alten Leinwandstars, insbesondere zu Zarah Leander, verstärkt auf Distanz zu gehen. Menschlich lässt sich das verstehen. Wer will schon eine schlechte Nachrede, und das ausgerechnet an Silvester!

Musikalisch haben mich die Neuinterpretationen indes weniger überzeugt, weil der ursprüngliche Charme dieser Lieder auf der Strecke geblieben ist. Das zeigte sich ganz besonders an den Darbietungen der Mezzosopranistin Elisabeth Kulman, die den Schlager „Davon geht die Welt nicht unter“ in ihrer Neuinterpretation dem Original fast bis zur Unkenntlichkeit entfremdete. Die schwungvolle Ohrwurm-Melodie war nur einmal dem Orchester vergönnt, danach hörten wir seltsame atonale Klänge, die mehr nach dem Zwölftöner Arnold Schönberg anmuteten.

Ohnehin oblag der Mezzosopranistin Kulman mit den bekanntesten Titeln von Zarah Leander - darunter auch „Kann denn Liebe Sünde sein“ und „Nur nicht aus Liebe weinen“ - und dem Evergreen, das Marlene Dietrich berühmt machte, der schwierigste Part an diesem Abend.

Marlene Dietrich hat Friedrich Hollaenders Evergreen „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ unzählige Male gesungen, auch nachdem sie aus Nazi-Deutschland in die USA emigriert war, sie präsentierte es später in ihren umjubelten Konzerten auch in der englischen Version „Falling in love again“, stets mit sehr tiefer Stimme und viele Wörter sprach sie mehr als dass sie sang. Ihre Interpretation ist einem regelrecht ins Gedächtnis eingebrannt.

Wenn es nun von einer Opernsängerin vorgetragen wird, klingt es unweigerlich anders, die Singstimme hat mehr Gewicht, tönt voluminöser, weniger verruchter und vor allem opernhafter.

Ebenso überhöhten auch die Sopranistin Angela Denoke und der Tenor Daniel Behle unwillkürlich mit ihren Opernstimmen ihre ausgewählten Filmschlager ins Opernhafte in Liedern wie „Ich steh’ im Regen“, „Frag nicht, warum ich gehe“ (Denoke) oder „Ein Freund, ein guter Freund“ (Behle), aber insgesamt wirkte die Auswahl ihrer Titel stilistisch etwas besser abgestimmt auf ihre schönen lyrischen, kultivierten Stimmen. Besonders gelangen ihnen die Melodien, die ein wenig ins Operettenhafte tendieren, allen voran Werner Richard Heymanns Duett „Liebling, mein Herz läst dich grüßen“ und das Duett „In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine“ von Franz Grothe. Die beste, schwungvolle Vokalnummer dieses Abends aber hatten sich die drei Sänger als Zugabe aufbewahrt: „Wir machen Musik“ aus dem gleichnamigen Revuefilm von Helmut Käutner. Mit viel Augenzwinkern und Schalk stürzte man sich da in den Refrain, und der Humor setzte sich bis ans Dirigentenpult fort, wo auch ein best aufgelegter Christian Thielemann mit lustiger Gestik für Stimmung sorgte.

Die schönsten Darbietungen des offiziellen Programms aber bescherten aus meiner Sicht- weil stilsicher und ganz dem alten Dixie-Sound verhaftet- das verschlankte Salonorchester der Sächsischen Staatskapelle, das zwischen den vokalen Darbietungen rein instrumentale Einlagen brachte, darunter „Die ganze Welt ist himmelblau“ aus dem „weißen Rössl“ von Robert Stolz.

Und die größte Entdeckung offenbarte für mich eine Musik von Erich Wolfgang Korngold, von dem die meisten wohl nur seine Oper „Die tote Stadt“ kennen. Hier eröffneten Christian Thielemann und seine Sächsische Staatskapelle ihr Konzert mit Themen aus dessen Musik zu dem Film „Unter Piratenflagge“. Einfach Klasse!

Eine Super Idee für Silvester hatte auch der 2017 neu eröffnete Dresdner Kulturpalast. Zu ungewohnt später Stunde, wo vergleichsweise in der Hauptstadt Berlin alle Silvesterkonzerte längst verklungen sind, bis kurz vor Mitternacht gab es dort ein Orgelkonzert mit einer überzeugenden Mischung aus weltlicher und geistlicher Musik. Der Franzose Olivier Latry brachte hier sein königliches Instrument in allen Facetten zum Leuchten. Mal dröhnte es da mächtig durch den Saal, wenn Latry im wahrsten Sinne des Wortes alle Register zog wie in der Toccata aus der Orgelsinfonie Nr.5 von Charles-Marie Widor, im Feuertanz von Manuel de Falla in einer Eigenbearbeitung von Latry oder auch in Bachs majestätischem Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“.

Aber auch der intimere Ton des Andachtsvollen und Heiligen kam zu seinem Recht, insbesondere in den wunderbar leisen Weihnachtsliedern „Joseph est bien marié“ und „Si c’est pour oter la vie“ von Jean-Francois Dandrieu, bei denen das Schwellwerk der Orgel besonders eindrucksvoll zum Einsatz kam.

Latry ist ein großer Könner seines Instruments, schlafwandlerisch sicher bewegt er Hände und Füße über die unterschiedlichen Manuale und Pedale der neuen Palastorgel, Noten braucht er keine, alle Stücke durch das bunt gemischte Programm hat er sicher im Kopf.

Ein Stück, bei dem weitgehend nur die Füße zum Einsatz kommen, die Variationen über ein Thema von Paganini von George Thalben-Ball, beeindruckte mich persönlich ganz besonders. In Blitzesschnelle huschten da die Füße mitunter über die Pedale, als sei es ein Kinderspiel. Wie es möglich ist, eine solche Virtuosität zu erreichen – sagenhaft!

Eine schöne Idee war es auch, im Anschluss an das Konzert einen Sektempfang zum Jahresausklang im Foyer der Dresdner Philharmonie anzubieten. Der Sekt war dabei in der Eintrittskarte schon inbegriffen. Die dazu angebotenen Snacks, unter denen sich leider nichts Vegetarisches, geschweige denn Veganes fand, muteten indes nicht nur rückständig, sondern seltsamerweise auch etwas unappetitlich an. Wie kann das nur sein an einem solch erlesenen, modernisierten, neueröffneten schönen Ort?

Zu einem kuriosen Silvesterausklang wurde dieser Abend dann allerdings auch noch um Mitternacht, als sich alles erwartungsvoll vor den großen Glasscheiben in den Foyers versammelte und auf den Dresdner Altmarkt schaute. Denn dort gab es kaum Feuerwerk! Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich persönlich lege darauf keinen großen Wert, freue mich sogar, wenn weniger Geld in die Luft gepulvert und weniger Tiere mit dem Geböller gestresst werden. Aber dass in einer Stadt, in der schon Stunden zuvor viele Raketen in die Luft gingen, just an diesem zentralen Ort zur entsprechend Stunde so gar nichts los war, das hat sicher so manchen überrascht.

Foto: Staatskapelle Dresden © Staatskapelle Dresden