Marco Arturo Marelli inszeniert Verdis „Don Carlo“  an der Deutschen Oper Berlin

Foto: Barbara Aumüller

von Alban Nikolai Herbst



Solide, ja, 'solid‘. Aber nicht aufregend. Wenn es in der Deutschen Oper Berlin >>>> gestern abend Höhepunkte gab, dann waren sie den Sängern zu verdanken, allen voran dem Philipp Roberto Scandiuzzis, der besonders den Klagegesang am Anfang der dritten Aktes zu Minuten höchster Intensität ausgestaltete: wie er da Phrasierungen zog und zugleich mit welcher Souveränität er da Höhen und besonders die Tiefen mit seiner Seele füllte, griff unmittelbar in die unsren. „Irgendwann hört Technik auf, von Bedeutung zu sein“, hat der große Rostropovitch einmal gesagt: dann nämlich, wenn man sie nicht mehr merkt und ganz andere Hindernisse der künstlerischen Gestaltung ins Zentrum rücken.

 

Aber auch, was die Venezolanerin Lucrezia Garcia, die Elisabeths Partie sang und ausgesprochen kurzfristig, mit nur einer Woche Probezeit, für Anja Harteros einsprang, ist bemerkenswert. So beginnen bisweilen Weltkarrieren. Dummerweise - da haben Persönlichkeiten wie Waltraud Meier unterdessen neue Maßstäbe gesetzt; Netrebko indes bloß als Erscheinung (das ist die andere Seite diese Medaille: stimmlich nur „befriedigend, - setzen!“) - dummerweise also füllt ihre Erscheinung das Vorurteil der allzu gewichtigen Operndiva allzu wörtlich aus, was wiederum zu einem inszenatorischen Problem führt. Man mag Don Carlo, mit Massimo Giordano nicht nur sängerisch eine Idealbesetzung dieser Partie, einfach nicht abnehmen, daß er sich in ein solches Riesenweib verliebt: James Dean jagt nach anderer Beute.

 

Wenn man aber Kierkegaards Forderung ernstnimmt, daß eine Schauspielerin so gut sein müsse, daß ihre Erscheinung über der Kunst restlos vergessen werde, dann reicht diese Stimme eben doch nicht ganz hin. Mir selbst hat sich Kierkegaards Forderung freilich erst ein einziges Mal eingelöst: bei Margaret Price. Ob sich Frau Garcia zu deren Stimm- und Gestaltungsgröße eines Tages noch erheben wird, jedenfalls, bleibt abzuwarten – wobei diese Forderung in keiner Weise menschlich ist; das weiß ich selbst. Kunst fragt aber nicht nach Humanität, so wenig wie Genie. Dieser Stachel wird uns für immer im Fleisch steckenbleiben, er läßt sich ohne weitere, und oft schwere, Verwundungen nicht ziehen. Da war Anna Smirnovas Erscheinung in der Partie der Eboli ein, sozusagen, Kompromiß; auch sie tadellos im Gesang. Was für ein Haus wie die Deutsche Oper Berlin erwartet werden muß, musikalisches Weltniveau, löste sich denn auch ein. So brandete nachher der Jubel eines Publikums auf, das in diesem Haus mehr als in anderen Häusern der Stadt ein durchweg großbürgerliches genannt werden muß; vor einem Jahrhundert hätte sich draus der Kaufadel regeniert. Es war wirklich auffällig, wie sehr die jungen Leute fehlten, die nicht nur die Komische, sondern auch die Linden-Oper längst anzuziehen weiß.

 

 

 

Zudem bedeutet, daß sich etwas einlöst, eben noch nicht, daß es gleich aufregend wäre; für solche Aufregung sorgten allein, vor allem ab dem dritten Akt, Scandiuzzis Baß und Giordanos Tenor, sowie Donald Runnicles Stabführung, der ich noch viel mehr Eigenwilligkeiten wünschte, Übertretungen, Schärfen. Die können sich aber auch nur dann aus dem Regelgerechten lösen, wird eine Szene von Visionen angefeuert. Das ist >>>> dieser Inszenierung n i c h t zu konzedieren. Im Gegenteil ist sie, ecco, solide und konventionell – was diesem Publikum selbstverständlich entgegenkam. Dabei ist gerade Verdis Don Carlo eine enorm politische und darin auch gegenwärtige Oper. Aber Marelli hält das möglichst schmerzfrei, man möcht ja den Genuß nicht stören – auch nicht durch eine öffentliche Ketzerverbrennung, bei der hier am Bühnenhintergrund drei oder vier Statisten am, danach sieht es aus, Kreuz hängen; dazu wird ein bißchen mit Lichtfeuer gespielt und mehrfach die unumgängliche Nebelmaschine recht tüchtig eingesetzt.

 

Kein Gedanke an das Völkerschlachten auf dem Balkan oder an die historischen Pogrome von Moskau bis Auschwitz, an die 500.000 Kinder im Irak oder die wahlweise kürzeren und längeren Ärmel von Sudan bis Sierra Leone. All das liegt dem Don Carlo aber nicht nur nahe, sondern es ist einer modernen Inszenierung dieses Stoffs geradezu abzufordern – und da auch beginnt erst die inszenatorische Frage: "Wie vermittle ich das, ohne daß es gleich selbst ein Klischee wird?" Doch gleichsam vornehm dranzugehen, in Andeutungen und halben Provokatiönchen, damit man sich auch wohlfühlt im Schrecken, macht Oper und in ihr die Opfer zu gehobenen Jahrmarktereien auf dem politisch korrekten Niveau eines in Rente gegangenen Mittelstands.

 

 

Wie oft also wünschte ich mir gestern abend, >>>> Bieito wäre über diese Partitur hergefallen! Zu welchem Temperament das dann auch Runnicles hingerissen haben könnte und mit ihm sein Orchester! – Aber nein. Sondern Marellis Interpretation begnügt sich imgrunde mit dem Bühnenbild - denn auch für dieses steht er ein -, begnügt sich mit metallartigen Quadern, die, unten zusammengeschoben und oben zusammengedreht, zweifach die Lichtspalts eines Kreuzes ergeben, zweifach, weil das vorne und hinten geschieht, wodurch sich stets die Imagination eines geschlossenen Raumes herstellt, sei es Kirche, sei es Kerker. Zu einem solchen wird auch der Königspalast-selbst, und auseinandergeklappt, bzw. auseinandergedreht steht man vor brutalen Mauern und - im Querspalt jetzt, wie auf Hitlers Tribünen, das Volk – monumentalen Repräsentanzbauten faschistischer Architekturen.

 

Das ist Schillers und Verdis Thema absolut angemessen und malt sehr genau die beengende Bedrohung durch die Inquisition aus, in deren Machtbereich sich das Geschehen in gegenseitiger Abhängigkeit von der Krone gegen die zu Ketzern gewordenen flandrischen Rebellen vollzieht – geradezu schicksalhaft, weil den politischen Belangen die persönlichen, ja intimen der Handlungsträger unlösbar eingewunden sind. Das macht sehr vieles klar: etwa, daß Philipp, wiewohl vor keiner Grausamkeit, ja selbst der Opferung des eigenen Sohnes nicht zurückschreckend, sehr wohl lieben kann, sehr wohl seinerseits unglücklich sein kann und, davon in ständige Zweifel gestürzt, vom Großinquisitor immer wieder ideologisch gefirmt werden muß. Es vergißt aber die Gegenwärtigkeit der Geschehen und läßt dann obendrein, eine sowieso überkommene, in Italien noch beliebte Unart, von der Rampe singen.

 

Und es gibt kaum einen dramatischen Einfall, der über Fasching hinausginge. Ja selbst dort, wo Marelli solch einen Einfall einmal hat, muß er ihn auf Geschmack moderieren: Eine Frau aus dem Volk, die ein Baby im Arm trägt, klagt – woraufhin ihr das Kind entrissen wird. Statt aber, wie es geschehen wäre - deutsche Soldaten haben das in Rußland sehr gerne so gemacht -, den Kinderkopf an der metallenen Mauer zu zerschlagen oder das Kleine ins Feuer zu werfen, wird es einem der roten Popen überreicht, der es nun, als wäre es ein Findelkind, in seinen Händen fast sorgend beschaut. Genau so funktioniert Verharmlosung. Aber vielleicht bin ich ein bißchen ungerecht, weil dieser Don Carlo wie der Simon Boccanegra zu meinen favorisierten Verdi-Opern gehört und eigene inszenatorische Vorstellungen die hier angebotenen überblenden, so daß diese einfach nicht mithalten können. Übrigens sang die Mutter, von der ich eben erzählte, nicht nur enorm schön, sondern von allen Frauenstimmen war sie die allermenschlich innigste: jenseits jeder „Divigkeit“; ich wüßte den Namen der Sängerin gern, denn der Besetzungszettel nennt sie nicht.

 

So sei den musikalischen Hochleistungen des gestrigen Abends geklagt, daß der Erinnerung unterm Strich ein schaler Geschmack von Müßigkeit bleibt, von Veranstaltung – und das bei einem Stück, das nach dem Aufruhr s c h r e i t. So etwas hat sich in einer Inszenierung widerzuspiegeln, ja die Inszenierung hat er zu sein. Dabei war nicht einmal die französische Fassung gespielt worden, die manche Konzessionen an die Pariser Wohlbetuchtheit gemacht hatte – die ich aber dennoch der italienischen, späteren und sozusagen gebändigten, vorziehe: einmal wegen des anderen, kompositorisch ziemlich sperrigen Sprachmelos‘, und zum zweiten, weil die fünfaktige Fassung für Regietheatler sowieso ein inszenatorischer Leckerbissen wäre. Allein schon das banale, an der Opéra seinerzeit obligate Ballett, das Verdi für die italienische Version wieder gestrichen hat, ließe sich zu einer ungeheuerlichen Szene formen, zumal im scharfen Aufeinandertreffen mit der Massenverbrennung. Andererseits entspricht Marellis Auffassung dem schillerschen Unternehmen der Klassizierung seines eigenen Stücks und damit auch Verdis Bändigungen – sie setzt sie geradezu fort. Bis man im endlich Schmerzfreien ankommt, egal, was da erzählt wird. Musikalisch lohnt sich der Besuch, das will ich wiederholen, allerdings. Und mit welch entschiedener Größe Runnicles sein Orchester in jeden Zwischenapplaus einfallen und es rigide weiterspielen läßt, um in die Konzentration aufs Eigentliche zurückzuzwingen, das muß man in jedem Fall erleben.

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http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/49590749/#49592909

Giuseppe Verdi

D O N  C A R L O
Oper in vier Akten. Libretto von Joesph Méry und Camille Du Locle nach Friedrich Schillers Tragödie.

Musikalische Leitung  Donald Runnicles. Inszenierung, Bühne, Licht Marco Arturo Marelli.

Kostüme Dagmar Niefind. Dramaturgie Andreas K. W. Meyer. Chöre William Spaulding.


Roberto Svandiuzzi - Massimo Giordano – Boaz Daniel – Ante Jerunica – Anna Smirnova – Lucrezia Garcia – Kathryn

Lewek – Ryan McKinny – Matthew Pena – Martina Welschenbach.


Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin.

 
Weitere Vorstellungen:

26., 29. Oktober 2011

02., 09., 12. November 2011

08., 14., 29. April 2012


>>>> Online-Karten: € 28,- | 48,- | 69,- | 86,--

[zuzüglich € 2,- Service-Gebühr]