E2 E4.Manue Gttsching 2Manuel Göttschings Werk E2-E4 besticht durch die nüchterne Linie

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ohne neuerlich eine hymnische Besprechung aufs Elektronische Genre und den Ernst der Musik anstimmen zu wollen, kommt E2-E4 doch ziemlich klassisch daher. Es hebt sich damit von dem Gewummer des überwiegenden Techno wohltuend ab, dem die Kompositionseigenschaft vielfach abgeht, bzw. weil diese Kompositionen zu kurzatmig angelegt sind. Der Techno steigt dann abwärts in die Musikalität des Alltagskopfs.


Vom Nachleben der Sechziger und Siebziger im Techno


Als Besonderheit des in Rede stehenden Werks erweist sich, dass in E2-E4 die flirrenden 60er und 70er jederzeit anklingen, also mit Flower-Power, San Francisco, „to put some flowers in your hair“. Derart gestimmt durchs besuchte Dorf zu gehen, war ehedem gewagt. „Du Sau“, meinte ein bäuerischer Handwerker, nur weil die Haare einen Zentimeter länger waren als damals üblich. Der Friseurgang war ein Gang wie zum Metzger, der die Haare von der Sau schabte, nachdem sie geschlachtet worden war.

Die durchweg elektrisierenden Techno-Begleit-Klänge in der kürzlichen Fernsehsendung unter dem Etikett ‚Techno-House Deutschland‘ werden immer ihre Faszination behalten. Techno musste kommen. Der 80er-Techno hat sofort gezündet, auch wenn die 18 längst überschritten waren. Talla 2XLC war in Frankfurt/Main sogleich ein Durchzieher. Technos neue Zeit war gekommen. Das entsprach jugendlicher Konsequenz und konterkarierte die Sechziger, die halt nun mal ihre Zeit hinter sich hatten. Ein Davor der Entwicklung wird immer abgestoßen.


Und plötzlich ist die Wendung da

Es gibt die Wendungen in der Zeit. Jugendliche Wendungen gegen das Herkömmliche sind das Salz in der Suppe der alten Welt. Eine jede hat nur ihre Zeit. Aufarbeitungen und Rückbesinnungen sind aber jederzeit legitim. Worin liegt nun der Unterschied des Techno? E2-E4 besticht durch Konstruktion. Spannung wird sukzessive aufgebaut. So wie eindringlich mal über lange nächtliche Stunden inszeniert auf der Frankfurter Zeil, als diese vor Jahren für die Jugend an Wochenenden für den Rave freigegeben wurde; erinnere mich in diesem Kontext noch an eine aktuelle AC/DC-Cover-Band im Eckbereich des Karstadt-Kaufhauseingangs, die ebenso auf Zuspruch rechnen konnte; bei vollem Haarschmuck all ihrer Band-Mitglieder, obgleich die Haare inzwischen kürzer geworden waren

E2-E4 meint ohne Drang und Druck Spannung aufbauen. Nach einer halben Stunde geht es in die Wendung, die konsequent dem schlussendlich erlösenden Ruhepunkt zuarbeitet. Dies Nachzuvollziehende hat es in sich, denn es ist kein Mechanisches, sondern entwickelt sich aus der Werkarbeit des komponierenden musikalischen Subjekts. Der Oberbegriff des Genres lautet Elektronische Musik. Als Manuel Göttsching vor ein paar Jahren in Berlin auftrat, bekam ich nachher die Visitenkarte eines Vereins für Elektronische Musik zugesteckt. Es handelt sich dabei um eine übernationale Gemeinde, die weiß, worum es geht und ihr zu tun ist. Der Verein macht sich um die Entwicklung, Analyse und kommunizierende Verbreitung dieses Musikgenres verdient. Unabhängig von der professionellen Ebene. Er ist eine ernstzunehmende Fan-Angelegenheit. Im Übrigen sei noch angemerkt: Kraftwerk sind das Seitenstück zu Manuel Göttschings Ashra. - Nur zur Orientierung.


Rückgebunden an die Sechziger Jahre

Die Elektronik nahm Fahrt auf. Jugend geht voraus, Kommerz läuft hinterher. Der ursprüngliche Impuls reicht bis ins Burg Herzberg Open Air und was in Fahrzeug-Reihen außerhalb des Geländes da gehört wird, reicht auch bis ins Jahr 1967 zurück, das ein super/ober-produktives Jahr für die aufgekommenen Strömungen der faszinierend neuen Jugend-Musik war. Sie verästelte sich mehr und mehr, blieb aber auch ein gemeinsam in Szene gesetztes Handwerk. Die Sechziger Jahre waren mit einer optimistisch aufsteigenden Zeitenwende verbunden. Wer damals dabei war, darf sich als privilegiert betrachten.

So wie einstmals zunächst unscheinbar hervorgetreten arbeitet noch jeder Techno. Techno ist keine Musik des Maschinenzeitalters. Er ist ein Phänomen der Ernüchterung im Verhältnis zu 1967 und die Zeit davor. Adorno hätte das als Mimesis ans Verdinglichte bezeichnet. Aber leider war er am Schluss zu verbohrt, um sich vorurteilslos einem Neuen zu stellen, das jugend-geschichtlich notwendig hervortrat. Notwendig, weil jede Jugend selbst ihr eigenes Zeitalter ist und hat. Wie die Sechziger ohnehin ein neues Zeitalter anstießen. Der drachenhafte Begriff Geschichte sollte aber nicht überstrapaziert werden.

Die im ehemaligen Osten von Funktionären und Fesseln befreite junge Welt übernahm düstere Stätten, die zuvor als Fabriken und Lager fungierten. Das war in der Breite der Besetzung und Übernahme eine hochgradig effektive Sache. Allein aus diesem speziellen Grund war der Ost-Techno die Gestehung einer immens breit gefächerten eigenen neuen Bewegung. Eine befreite junge Welt konnte sich endlich auf dem neuesten Stand kundtun und versammeln, nachdem die politische Polizei entlassen worden war. Jugend ist immer auch geschichtliche Bewegung, ähnlich dem jeglicher gesellschaftlicher Illusionen abgeneigten späteren Heavy Metal, aber der Geschichtsbegriff sollte, wie gesagt, nirgendwo überstrapaziert werden. In gewisser Weise sind Techno und Metal zweieiige Zwillinge. Zeitlich liegen sie gar nicht weit voneinander.

Foto:
Umschlagabbildung

Info:
E2-E4, Manuel Göttsching, David Elliott, Sounds June 16 1984, GB