Hans Neuenfels‘ Traviata-Vernichtung an der Komischen Oper Berlin

Alban Nikolai Herbst

Berlin (Weltexpresso) - Wieso hält sich so etwas vierundvierzig Mal seit der Premiere, und anderes, das in die neuere Geschichte der Oper dringend hineingehörte, wird nach fünfmal abgesetzt? Nur deshalb, weil man den Kleidern eines restlos nackten Kaiser die Honneurs gibt - hier heißt er Neuenfels -, um mit bei Hof im Haus zu bleiben?


Anders kann es gar nicht sein, wie ich überhaupt in den letzten Jahren nicht eine einzige Inszenierung dieses... ich k a n n Regisseur dazu nicht sagen... dieses... dieses... egal --- nicht eine einzige Inszenierung sah ich von ihm mehr, die nicht peinlich gewesen wäre. Da wirkt offenbar eine Art schon mumifizierter Pubertät, die Neuenfels selbst und seine Claquers indes für theaterrevolutionär halten wie 17Jährige den adoleszenten Motzertrotz. Bei denen gehört sich das auch so; für einen mittlerweile Siebzigjährigen ist es fatal.

Doch ginge man drüber mit Nachsicht hinweg, stellte diese losgelassene, und überdies hochdotierte, Regression nicht ein Unglück nach dem anderen an. Das, und nur das, war vorgestern Abend tragisch zu sehen, bizarr-tragisch aber und ärgerlich. Die Oper selbst war es nicht, auch wenn wir etwas anderes hörten.

Wie nämlich sich verhalten? Jeder Buh-Ruf trifft die Sänger, trifft das Orchester und den Dirigenten, die aber alle taten, was immer sie nur konnten. Der eigentlich zu Meinende sitzt längst in seinem Zuhause doch und futtert an den Honoraren; es schert ihn nicht mehr, daß er sein Ensemble hat in die Wüste geschickt, auf daß es sich so lächerlich mache wie Alfredos Vater, dem Neuenfels ein dickes Kreuz umgehängt und den er mit einem Klumpfuß ausgestattet hat, damit wir an den Teufel denken. Wann immer dieses Bühnenmensch mit einem Symbol daherwinkt, von dem wir nicht gleich wissen (weil wir‘s <i>zu</i> gut wissen), was es soll, gilt Neuenfels‘ Gesetz des jeweils billigsten Gemeinten.

So grob kann etwas gar nicht sein, daß es nicht herbeigezerrt werden müßte. Deshalb bekommen wir im vierten Akt auch Stierhoden, nackte, zu sehen, die einem Zuhälter aus dem Schritt baumeln, bevor er draufhaut und ein Altmännerschwanz draus wird, der an Berliner Currywürste ohne Darm erinnert. Ich konnte die angeödeten Seufzer gar nicht zählen, die da durchs Publikum raunten. Ganz entsprechend muß auch Alfredos Vater über die Bühne, als hätte er in die Hosen gekackt und kriegt, sie wenigstens zu wechseln, Akte durch die Zeit nicht. Charakterzeichnung? Nebbich!

Dabei, welch eine Rolle ist das eigentlich... wie sich in dem alten Germont die wirklich so empfundenen Interessen seiner Familie mit der Liebe seines Sohnes überwerfen, wie er auf dem Alten, Althergebrachten beharrt und tatsächlich dabei auch die Zukunft Alfredos im Auge hat, wie er dann aber, schon bei seiner ersten Begegnung mit der Traviata, allmählich versteht und versteht, was Tragik ist, und wie ihn dann die Reue, spät, zu spät überkommt – all das steckt in dieser Partie und kann in die sangliche Gestaltung finden; welch ein Reichtum, welch ein Konflikt und welche Not.

Das interessiert Neuenfels aber nicht. Sondern er will seine halbstarke Ideologie, halb ist sie einfach nur so dumm, daß man von dämlich sprechen muß, weiterverbreiten, egal, was in dem Werk steht und vor allem: was ein Sänger zu gestalten vermöge - ließe Neuenfels ihn denn. Der Mann ist für sämtliche Sänger:innen die reine Katastrophe und hat noch nicht mal Unterhaltungswert, so klebrig ist das alles. Tom Erik Lie jedenfalls hatte keine Chance. Deshalb mußte er sich auch, schon klar, proletisch besaufen, weil bekanntlich das die Weise ist, in der jede höhere Bourgeoisie ihre Konflikte löst; innere Kämpfe kennt sie ja nicht, vor allem aber keine Haltung. Die hat der Proletarier allein. Noch zum Sterben Violettas nimmt da Germont einen Schluck. Und w&nbsp;i&nbsp;e sie stirbt! Liegt dabei doch in den Armen Alfredos, müßte nur leicht davonsinken – alle Peinlichkeit, die wir von Sterbeszenen in der Oper kennen, wäre erlöst. Aber Neuenfels kriegt es auch da noch hin, daß es richtig einen Rums macht. Er müßte die Sterbende nur noch letztmals flatulieren lassen, um eine tiefere Publikumsergreifung zu bewirken.

Das geht bei den Massen-, bzw. Chor- und Tanzszenen aber schon los. Wo Verdi an die Stimmung der Cancans denkt und sie musikalisch imaginiert, wird bei Neuenfels gestolzt, gestelzt, gepinguint und, logisch, rumgemickymaust – fast alle seine Choreografien reiten in über die Jahre immer ausgedörrterer Manier auf seinem Triumphmarsch von 1980 herum, deren Aida eine Putzfrau gewesen. Seither putzfraut er sich durch, immer für Skandälchen gut, die ihn in den Medien halten – etwa bei dem musikalisch wunderbaren, inszenatorisch indes unsäglichen Idomeneo an der Deutschen Oper, 2003 hier in Berlin. In Frankfurtmain hat er sogar, was Achilles mißlang, <a href="http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/wie-ein-sturmwind-othmar-schoecks-penthesilea-in-frankfurt-die-premier/" target="_blank">&gt;&gt;&gt;&gt; Penthesilea vernichtet</a>.

Es wäre deshalb nicht minder grober Unfug, als seine Inszenierung sind, über dieses Menschen „Arbeits“versuche auch nur noch ein einziges Wort zu verlieren, gäbe es nicht doch eine nennenswerte Tragik dabei. Wie nämlich Brigitte Geller versucht, mit welcher Intensität und Liebe zum Charakter, den sie darstellt, mit welch einem herzrührenden Sangesklang mitunter, - wie sie bemüht ist, vielleicht doch noch dieser Oper alles Recht zu ersingen, das sie hat, - wie sie sich freimacht von Neuenfels‘ Unerträglichkeiten, alleine noch auf sich als Violetta Valéry konzentriert, welche Würde sie noch da verstrahlt, als Alfredo längst zum Holzfäller wurde, Neuenfels‘ sensiblen Griffen ganz ein Bild, - wie sie dann gegenüber dem hosenvollen Harlekin, als den man seinen Vater gibt, zu klagen weiß, nicht nur um ihrer selbst, sondern auch um seinetwillen, des Sängers wegen, dem der alte Germont derart grob verweigert wurde, - ja b&nbsp;e&nbsp;i&nbsp;d&nbsp;e Rollen will sie singen und gestalten, die Geller, a&nbsp;l&nbsp;l&nbsp;e Rollen, wenn es sein muß, allen die Intensität zurückerstattet, für die der Regisseur vielleicht zu blau gewesen ist... - das, und wirklich, war tragisch an diesem Abend.

Daß so etwas gelingen ja doch nicht kann. Aber dadurch, genau solch einer <i>praktischen</i> Vergeblichkeit halber, schien doch noch mal ein weniges Traviata auf. Und als der Geller an einer heikelsten Stelle, im vierten Akt, dann zweimal kurz die Stimme brach, kamen mir die Tränen. Welch eine Liebe zu ihrer Rolle, sogar dieses zu riskieren! Und daß sie es dann abbekommt, wie die... wie <i>sie</i>.... - so sehr ist sie Traviata da geworden. Auch die mag keine Stimme gehabt haben, deren Druckkraft Häuser wie das der Deutschen Oper füllte, doch die Geller gleicht das mehr als aus – mit einer, nämlich, unendlichen Kunst der Tongestaltung und melodischer Einfühlung, vermittels der Gestaltungsschönheit also, die man grad auch auf Großen Bühnen selten findet. Für ein Haus wie die Komische Oper ist diese Sängerin ideal: Ihretwegen geht man hin. Und zeigte einmal mehr, warum und wie zu recht. Nur mangelt‘s ihr vielleicht an Partnern.
Großartig nun aber das Orchester auch,  für das der Weggang StClairs das große Glück bedeutet hat, Patrick Lange zu bekommen. Man kann nur hoffen, er bleibe dem Hause lange erhalten. Dann könnte das, zu beiderseits und unserem Gewinn, musikalisch für den Anfang eines Kurses stehen, von dem man eines Tages als von eine Ära spräche.

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Oper in drei Akten von Giuseppe Verdi
Libretto von Francesco Maria Piave.
Deutsche Textfassung von Walter Felsenstein.

Inszenierung ... Hans Neuenfels Bühnenbild ... Christof Hetzer
Kostüme ... Elina Schnizler Dramaturgie ... Bettina Auer Chöre ... André Kellinghaus
Licht ... Franck Evin Regiemitarbeit ... Susanne Øglænd.

Brigitte Geller - Karolina Gumos, Elisabeth Starzinger - Caren van Oijen - Timothy Richards - Tom Erik Lie - Joska Lehtinen - Hans-Peter Scheidegger - Adam  Cioffari - Rosen Krastev - Matthias Siddhartha Otto - Matthias Spenke - Christian Natter.

Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin.
Patrick Lange.


Die nächsten Vorstellungen: 20., 22., 28., 30. Jan.,14. Feb.

http://www.komische-oper-berlin.de/spielplan/la-traviata/online-kartenkauf/la-traviata/16652