Schostakowitsch „Lady Macbeth in Mzensk“ in Berlin

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Es müssen nicht immer die üblichen Verdächtigen sein. Die Deutsche Oper Berlin beauftragte für ihre jüngste Produktion einen bislang kaum bekannten Regisseur. Und siehe da: Der Norweger Ole Anders Tandberg mischt die Opernszene in der Hauptstadt sympathisch auf, findet mit sparsamen Mitteln zeitgemäße, kraftvolle Bilder und Metaphern, ohne zu verhunzen, entwickelt mit dem gebotenen Fingerspitzengefühl für die Musik Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ zu einem packenden Opernkrimi.

 

In einer felsigen, grauen Landschaft mit schmucklosem Haus, spartanisch angedeutet mit nur einem Winkel von Frontseite und Seitenfassade (Bühne: Erlend Birkeland), beginnt das Drama um die unglückliche Kaufmannsfrau Katerina Ismailowa, die nacheinander den sie drangsalierenden Schwiegervater und den abgestumpften Ehemann ermordet, sich in ihren Arbeiter Sergej verliebt und sich am Ende als verbannte Gefangene, noch vom Liebsten verspottet, in einen Fluss stürzt.

 

Atmosphärisch kann man sich zu Beginn in eine kleine Hafenstadt auf der Krim versetzt fühlen oder auch in ein norwegisches Fischerdorf. Jedenfalls schleppen die Arbeiter keine schweren Getreidesäcke herbei, sondern tonnenweise Fische.

 

Es ist die einzige, leichte Abweichung von Libretto (Alexander Preis) und literarischer Vorlage (Nikolai Leskow) und eine verzeihliche, sind doch die eigens in den Werkstätten der Deutschen Oper hergestellten glibberigen Plastikdorsche in dieser Inszenierung eine starke Metapher für die das Drama determinierende Sexualität.

Besonders in jener Szene, in der eine Köchin vergewaltigt wird, kommen die Attrappen abstrus-aberwitzig als Phallussymbole zum Einsatz. Da wedeln und wackeln die Flossen von allen Seiten.

 

Stark aber auch, wenn die sexuell ausgehungerte, einsame Heldin endlich den Mann findet, der sie befriedigt: Zu den grellen, fratzenhaften-, den exzessiven Liebesakt begleitenden Orchesterklängen (in Hochform am Dirigierpult: Donald Runnicles) drängt sich eine rot uniformierte Damen-Blechblaskapelle dicht um das Paar. In solchen Momenten gleitet die symbolisch aufgeladene Inszenierung überzeugend ins Surreale.

 

In den Schauerszenarien wird sie aber auch beklemmend naturalistisch. Wenn etwa der sadistische Schwiegervater den Liebhaber fast zu Tode peitscht oder ein scharfer Aufseher mit Schäferhund über die spärlich bekleideten Gefangenen auf der Verbannteninsel wacht.

 

Das Premierenpublikum feierte indes nicht nur eine mitreißende Regiearbeit, sondern auch großartige, phänomenale Sängerdarsteller, allen voran Evelyn Herlitzius in der Titelpartie. Dass sie für derartige dramatisch-hysterische Partien geradezu prädestiniert ist, hatte die Sopranistin schon vor einem Jahr als „Elektra“ in Dresden bewiesen. Toll, wie sich diese, vom Timbre ein wenig an die junge Gwyneth Jones, erinnernde Stimme entwickelt hat! Sie ist im Laufe von Jahren deutlich schlanker und kräftiger geworden und von einer stupenden Leuchtkraft in der Höhe.

Zu beklatschen gab es aber auch das sensationelle Comeback eines großen Wagnersängers: Als Wotan in Wagners „Walküre“ ist John Tomlinson unvergessen, aber als fieser Haustyrann Boris macht er eine mindestens ebenso starke Partie mit einem mächtigen Bass, der einem geradezu Angst einflößte.

 

Foto: (c) Marcus Lieberenz, die Lady einmal im Disput mit ihrem gemeinen Schwiergervater Bors (John Tomlinson), einmal beim Liebesakt mit ihrem Arbeiter Sergej (Maxim Aksenov), begleitet von der Damenkapelle