Bernhard Haitink dirigierte die Berliner Philharmoniker am 6. und 7. Oktober

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Die Riege der Altmeister unter den großen Dirigenten hat sich sehr gelichtet. Nachdem die Musikwelt 2014 Claudio Abbado und Lorin Maazel, 2015 Kurt Masur und in diesem Jahr Pierre Boulez und Nikolaus Harnoncourt verloren hat, ist wohl Bernard Haitink der älteste unter den noch verbliebenen.

Die Leistungen des mittlerweile 87 Jährigen beeindrucken schon alleine physisch, bewältigt er doch die drei aufeinander folgenden Abonnementkonzerte am Pult der Berliner Philharmoniker wie im Vorjahr noch ganz im Stehen.


Vor allem hinter ein Berufsgeheimnis würde man bei dem gebürtigen Amsterdamer gerne kommen: Wie er das Orchester zu einem derart nuancierten, sensitiven, berührenden Musizieren bewegt, wo er doch kerzengerade wie eine Eins und ziemlich steif auf seinem Podest steht und minimalistische Zeichen gibt.


Jedenfalls hoben die tiefen Streicher knisternd leise und geheimnisvoll die „Unvollendete“ von Schubert an, die folgenden schwelgerischen Melodien und Themen hätten gesanglicher und liebreicher nicht ausfallen können, konnten sich auch wunderbar in moderaten Tempi entfalten. Und die dramatischen, bedrohlichen Eruptionen dazwischen gingen einem durch Mark und Bein. Wunderbar dann auch das lichtere Andante, das wunderbar elastisch daher kam und auch das Majestätische in den entsprechenden Fortestellen exponierte.


Die ganze Wiedergabe erinnert mich somit sehr an Claudio Abbados letzte Interpretation dieses Werkes 2013 in Luzern mit dem Luzern Festival Orchestra, Abbados letztes Konzert überhaupt. Wiewohl Abbado sich mit der Zeichensprache seiner Hände und seiner Mimik schon wie in anderen ätherischen Gefilden zu bewegen schien, war der Höreindruck hier ein sehr ähnlicher. Dies auch im Hinblick auf die jeweils großartigen Bläsersolisten: Bei den Berlinern waren es allen voran Albrecht Mayer (Oboe), Andreas Ottensamer (Klarinette) und Emanuel Pahud (Flöte), die ihre Kantilenen mit balsamischem Schmelz herrlich erstrahlen ließen.


Noch einmal bescherten sie Sternstunden in Gustav Mahlers anschließendem „Lied von der Erde“, hier in der Besetzung mit Tenor und Bariton zu erleben.
Um den Abschied vom Leben und den Sinn des menschlichen Daseins geht es in diesen sechs Liedern. Es ist ein Spätwerk mit stark autobiografischen Zügen: Der Diphterie-Tod von Mahlers älterer Tochter Maria spielt ebenso in den Schaffensprozess hinein, wie die Dia­gnose eines schweren Herzklappenfehlers beim Komponisten.


Die Texte nach Gedichten aus Hans Bethges „Die chinesische Flöte“ gestaltete vor allem Christian Gerhaher sehr berührend und bei weitem überzeugender als die Lieder Robert Schumanns vor wenigen Tagen. Sehr intim, introvertiert und leise unter klugem Einsatz seiner Kopfstimme gestaltete er  Verse wie „Ich weine viel in meinen Einsamkeiten“ oder „Ich suche Ruhe für mein einsam Herz“. Und die letzten Worte „ewig“ im „Abschied“ tönten schon geradezu jenseitig.
Eben diese Technik der Kopfstimme scheint Christian Elsner leider weniger zu beherrschen, höchst angestrengt, wenn auch mit imposantem Volumen, stemmte er sich durch die Höhen seiner Tenorlieder.


Der den gesamten Abend subtil dynamisierende Bernard Haitink stand am Ende zu Recht im Mittelpunkt des herzlichen Beifalls. Mag er uns noch weitere Jahre erhalten bleiben!


Foto: Berrnhard Haitink (c) berliner-philharmoniker.de