Serie: DIE ELBPHILHARMONIE IN HAMBURG, Teil 4

Helmut Marrat

Weltexpresso (Hamburg) - Bernd Alois Zimmermanns (1918 – 1970) "Photoptosis / Prélude für großes Orchester" von 1968 brachte einen dann wieder in die dissonanten Klänge einer Studio-Aufnahme zurück. Solo-Instrument war hier die Orgel des Konzert-Saales, die ziehend, zischend, röhrend und kräftig klangvoll sich bemerkbar machte; gespielt von Iveta Apkalna (*1976 in Lettland).


Ein weiterer Spiel- und Aufführungsraum wird durch das Ensemble Praetorius vorgestellt, das von Jacob Praetorius (1586 – 1651) "Quam pulchra es" ('Wie schön bist du') von 1606 darbietet. Diese Vortragsebene lag etwas tiefer als die der beiden Renaissance-Sänger/-Spieler; aber es lassen sich fast unendlich viele räumliche Variationen hier vorstellen. Überall können die Sitze abgeschraubt und herausgenommen und so neue Spiel- und Vortragsräume geschaffen werden.

Interessant fand ich das "Furioso" von 1947 von Rolf Liebermann (1910 – 1999), dem früheren Intendanten der Hamburger Staatsoper, das klar, hell und strahlend beginnt, zielgerichtet und bis zu einem markanten Absatz, der sich etwa im ersten Viertel des Stückes befindet; danach aber verzettelt sich die Komposition, unterbrochen nur von dem Klavierspiel der Pianistin Ya-ou Xie.

Nun ist noch einmal das Duo Harfe – Altus auf der kleinen Bühnenfläche mir gegenüber zu hören, diesmal mit "Amarilli mia bella" aus "Le nuove musiche" von 1601 von Giulio Caccini (1551 – 1618). Der in Rom geborene Caccini wurde ebenfalls früh nach Florenz an den Hof der Medici geholt. Dort war er bald auch Mitglied der von Giovanni de' Bardi um 1575 ins Leben gerufenen Camerata Florentina, einem Kreis von wissenschaftlichen Musikern, die sich mit der Erneuerung der italienischen Musik befassten, in der Idee, die Musik der griechischen Antike wieder beleben zu können. Daher auch die Hinwendung zur Monodie, dem Sologesang der antiken Schauspieler, dessen Erwähnung man zuerst in Aristophanes' Komödie "Die Frösche" (Uraufführung um 405 v. Chr.) entdeckte. Aristophanes (zwischen 450 und 444 v. Christus – 380 v. Christus, Athen) lässt in diesem Theaterstück seine älteren Kollegen Aischylos (525 – 456 v. Chr.) und Euripides (485/484 oder 480 – 406 v. Chr.) auftreten, die dort erstmals von einer Monodie sprechen. - Der Titel "Le nuove musiche" ist programmatisch zu verstehen und war von großem Einfluss auf die Musikgeschichte.

Oliver Messiaens (1908 – 1992) "Turangalila-Sinfonie" von 1948 ruft die Hörer dann wieder gnadenlos in die Gegenwart, die ja aber auch wiederum schon fast 70 Jahre alt ist. Ya-ou Xie spielt wieder Klavier, gekonnt, virtuos; und Thomas Bloch (*1962) die Ondes Martenout, ein monophones elektronisches Instrument, das auch für mehrere Film-Musiken verwendet wurde.

- PAUSE -

Das Licht erleuchtet wieder den ganzen Saal, dessen reizvolle, ja schöne Architktur man nun wieder in vollen Zügen genießen kann. Die Architekten der Elbphilharmonie heißen offiziell Jacques Herzog (*1950) und Pierre de Meuron (*1950); in Wirklichkeit stammt die Grundidee natürlich von Hans Scharoun (1893 - 1972), dessen Berliner Philharmonie von 1956 - 1963 unzweifelhaft Pate gestanden hat. Herzog und de Meuron haben diese Grundidee aber sehr wirkungsvoll auf den Sockel des Kallmorgenschen Tortenbodens gesetzt.

Es ist ihnen gelungen, in dem hohen Aufsatz mit seinem zeltförmigen oder auch wellenförmigen Dach, den manche wegen seiner für manchen gewöhnungsbedürftigen Eistruhen-Ästhetik mit einem schwimmenden Eisberg vergleichen, in diesem, um bei dem Bild zu bleiben, lockeren Torten-Aufbau zwei Konzertsäle unterzubringen mit je 2.100 und 550 Sitzplätzen, ein Hotel mit 244 Zimmern (auf der Rück- oder Ostseite) und 45 Eigentumswohnungen (auf der begehrteren West- und Sonnen-Seite); dazu im Sockel ein großes Parkhaus, den Spa-Bereich des Hotels sowie Probe- und Verwaltungsräume für den Musikbetrieb. Ihre Leistung ist also ganz entscheidend eine raumorganisatorische, planerische, logistische Leistung, die es zu würdigen gilt.

Fortsetzung folgt

Foto: (c) Thies Raetzke