Serie: Wandern in der Uckermark, Teil 1/4

 

Thomas Adamczak

 

Templin (Weltexpresso) - „Fünf mal siebzehn“, sagt sie und guckt mich ganz ruhig an. Sie meint ihr Alter. Soll ich ungläubig den Kopf schütteln oder anerkennend nicken? Sie nimmt mir die Entscheidung ab. Schon als junge Frau habe man ihr ihr Alter nie abgenommen. Den Ausweis habe sie zeigen müssen.

 

Ich hatte nach dem Weg zu den Hügelgräbern gefragt. Und sie: „Ach, ich begleite Sie ein Stück auf dem Weg.“

 

Dreißig Jahre lebt sie schon in dem kleinen Ort Ahlimbswalde in der Uckermark. Kommt aus Berlin. Mittlerweile sei sie im Ort akzeptiert, nach harter Arbeit. Beziehungsarbeit. In drei Vereinen ist sie im Vorstand, hat sich unentbehrlich gemacht.

 

Meine Wanderung führt mich an diesem Tag von Templin nach Ringenwalde. Zweites Teilstück des „Märkischen Landweges“ in der Uckermark. Am ersten Tag ging es von Lychen nach Templin, einen Teil der Strecke Seen entlang. Etwa 30 km, die folgenden Tage mit kürzeren Tagestouren. Unter Erlen, deren Zweige bis ins Wasser hängen, durch Kastanienalleen, ganz unterschiedliche Waldtypen, Kiefernwälder auf sandigen Boden, Buchenwälder, Mischwälder. Und dann noch die gewaltigen Linden und Eichen, riesige Solitärbäume, bei denen ich gar zu gerne wüsste, wie alt diese urwüchsigen Burschen sind. Die Linden bei der Alt Placht sind fünfhundert Jahre alt und viele andere, die den Wandernden auf dem „Landweg“ begegnen, dürften ähnlich alt sein. Auf noch keiner Fernwanderung habe ich solche beeindruckenden Baumriesen gesehen. Klasse, wie stoisch die da stehen und die zeitbedingten Aufgeregtheiten lässig überdauern.

 

Wandern bedeutet, dass die Sinne aktiviert werden. Und der Wanderer kann sich all das, was er sehend, hörend-lauschend, riechend, schmeckend und spürend in sich aufnimmt, bewusst machen. Der flüchtigen Wahrnehmung wie der gezielten Beobachtung sind keine Grenzen gesetzt. Der Wahrnehmungsapparat ist auf Empfang: Hier beobachte ich einen Vogel, dort die Bewegungen der Zweige eines Baumes. Der Gang durch den Kieferwald löst andere Empfindungen aus als der durch einen Buchen-oder Eichenwald. Hinzu kommen zufällige Begegnungen, mit knappen, gelegentlich auch sich ausdehnenden Gesprächen. Und was einem sonst noch in den Kopf kommt, steht jedem sowieso frei.

 

Bei Annenwalde ist ein von Bibern aufgestauter See zu entdecken. Ein Schlängelpfad am großen Mahlgastsee. Es ist erfreulich, wenn die Wanderwege nicht nur schnurgerade verlaufen und fuhrwerksbreit sind, sondern sich zu Pfaden verengen, mal am Hochufer, dann angeschmiegt an das Ufer oder im Dickicht des Waldes.

 

Hier eine Badestelle und da eine, die noch schöner wirkt. Doch man will ja nicht an jeder Rast machen und schnell mal ins Wasser springen, auch wenn es noch so lockt. Die Tagesetappe dauerte sonst zu lange. Und vor allem am ersten Tag sind es ja einige Kilometer. Zudem liegt das Hotel „Fährkrug“, ein paar Kilometer nach Templin, direkt am See, mit eigener Badestelle.

 

Am zweiten Tag geht’s zum „Grünen Baum“ in Ringenwalde. Treffe am frühen Nachmittag ein und stehe vor verschlossener Tür. „Dienstag: Ruhetag!“ Na prima! Handy. Anruf. Die Tür des Gasthofs öffnet ein Mädchen mit vor Anstrengung geröteten Wangen, denn die Küche wird gerade gewienert. Die Wirtsleute seien unterwegs.

 

Und mein Abendbrot?“ Der „Grüne Baum“ ist der einzige Gasthof weit und breit. Das Mädchen telefoniert. Die Wirtsleute grillen heute Abend mit Freunden in ihrem Garten und ich, der Hausgast, kann gern teilnehmen.

 

Vor dem „Grünen Baum“ ein zum Gasthaus gehörender Biergarten auf gepflastertem Platz. Drumherum der Dorfanger. Breite Rasenflächen mit prachtvollen Baumexemplaren im gebührenden Abstand. Am Ende des Platzes eine urige Dorfkirche, vor der nach einem Gottesdienst, lese ich in den Bekanntmachungen, zum Freibier geladen wird. Auf den Tischen im Biergarten hübsche Deckchen und darauf bunte Blumenpracht.

 

Auf dem zweiten Teilstück der Wanderung durch die Uckermark muss ich morgens ein kurzes Stück, vielleicht 800 Meter, eine Landstraße entlang gehen, zum Glück die Ausnahme während der gesamten „Landrunde“. Kein Seitenstreifen. Autos von vorn, von hinten. Wenn man die Stille des Waldes gewohnt ist, und an die hatte ich mich bereits am ersten Tag gewöhnen können, ist das Gehen an einer Landstraße eine Tortur. 800 Meter genügen, um die Stimmung zu beeinträchtigen.

 

Endlich stoße ich auf den Waldweg, der zum Forsthaus Laatz führt. Bei dem Forsthaus werde ich von wild bellenden Hunden empfangen. Zwar rasen die hinter einem Zaun neben mir her, aber immerhin an die 100 Meter. Wieder eine Störung. Ich verspüre Gesprächsbedarf. Gehe ein paar Schritte zum Forsthaus zurück. Ob ich mit jemandem sprechen kann? Tatsächlich tritt der Förster heraus. Der hat vermutlich gesehen, dass ich zurückkomme. Bei dem, was heutzutage so alles passieren kann, sei es schon gut, dass solch ein alleinstehendes Haus bewacht werde. Ich solle mir mal „keine Gedanken machen“. Dieser Empfehlung werde ich natürlich nicht folgen. Ich bin ja unter anderem gerade deswegen unterwegs, um mir Gedanken zu machen.

 

Wieder bestätigt sich für mich auf dieser Wanderung, was Kierkegaard über das Gehen sagt: „Ich habe mir meine besten Gedanken angelaufen, und ich kenne keinen Gedanken, der so schwer wäre, dass man ihn nicht beim Laufen loswürde.“

Du kannst beim Gehen bei einem bestimmten Gedanken verweilen, ihn drehen und wenden, Gedachtes von verschiedenen Seiten umkreisen, es hin-und herwenden und du hast, wenn du dir bei passender Gelegenheit auch noch einige Notizen machst, den Eindruck, dieses oder jenes Problem gründlich durchdacht zu haben. Wandern erschwert dogmatisches Denken, die Bewegungen der Füße, des Körpers unterstützen die Bewegung des Denkens. Rousseau meint, Wandern befeuere die Gedanken und sei belebend. „Genau so isses Rousseau!“

 

Wandern hat zudem etwas Demokratisches. Jeder Wanderer, der vorbeikommt, kann vor diesem Baumkoloss, an dieser Stelle des Sees stehen bleiben und sich erfreuen. Schönheit der Natur ist jedem Menschen zugänglich. Fortsetzung folgt.

 

Foto:

Mohnblütenlandschaft bei Angermünde

 

 

Info I:

Die Uckermark liegt zwischen Oder und Havel im nördlichen Brandenburg. Mit 3.058 Quaadratkilometern und ca. 122 000 Einwohnern gehört sie zu den am dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands. Typisch für die Uckermark sind die zahlreichen Dörfer und die Vielzahl der Seen (über 500), die Wälde, Felder, Wiesen, Flüsse und Moore. Fortsetzung Teil 2

 

Die Reise wurde organisiert vom

Tourismusverein Angermünde e.V.

Brüderstraße 20

16278 Angermünde

Tel.: (0 33 31) 29 76 60

Fax.:(0 33 31) 29 76 61

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www.angermuende-tourismus.de


Wir sind für Sie da:
01. April bis 31. Oktober: Mo bis Fr 9.00-18.00 Uhr,
Sa, So und feiertags 10.00-13.00 Uhr
01. November bis 31. März: Mo bis Fr 9.00-16.00 Uhr

 

Die Fernwandwerung "Märkischer Landweg" führt über 8 Tage mit 9 Übernachtungen. Er beginnt in Lychen und endet in Mescherin an der Oder.

Weitere Stationen sind: Templin, Ringenwalde, Angermünde, Stolpe, Schwedt/Oder, Heinrichshof bei Hohenselchow/ Groß-Pinnow.

Die Etappen sind zwischen 10 und 27 km lang. Gepäcktransfer ist im Angebot enthalten. Das Gepäck wird, eine pfiffige Idee der Organisatoren, mit dem Bus zum nächsten Hotel oder der Ferienwohnung ("Schweizer Haus" in Stolpe, denkmalgeschützt und historisch bedeutsam) transportiert und ist dort pünktlich bei Ankunft des Wanderers in dessen Zimmer.

 

Kosten: pro Person im Doppelzimmer ab 610 € und ab 969 pro Person im

Einzelzimmer; buchbare Zusatzleistungen:Lunchpaket, Stadtführungen, Verlängerungsnacht bei Anmeldung möglich

 

 

 

Info II:

 

Der Verfasser erwandert seit einigen Jahren besonders eindrucksvolle Gegenden von Deutschland. Er bevorzugt Fernwanderungen, bei denen vom Veranstalter Gepäcktransfer angeboten wird.

Bislang ist der Verfasser im Erzgebirge, Vogtland, Odenwald und auf dem "Malerweg" in der Sächsischen Schweiz unterwegs gewesen. Im "Weltexpresso" erschienen bislang die Berichte zum "Kammweg" (Erzgebirge) und dem "Alemannenweg" (Odenwald).

 

Zitate in der Serie entstammen dem Buch vonDavid Le Breton, Lob des Gehens, Berlin 2015, Matthes & Seitz

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Das Buch wurde vom Verfasser dieses Artikels rezensiert in

 

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