Annecy: Auf den musikalischen Spuren von Jean-Jacques Rousseau

Notker Blechner

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Vor einem Jahr hat Annecy die Schlacht um die Olympischen Winterspiele 2018 verloren. Die Niederlage hat dem Tourismus-Image der Stadt nicht geschadet. Die malerische Altstadt und der berühmte See locken zahlreiche Besucher in das "Venedig des Nordens". Selbst der bekannte schweizerisch-französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau, dessen 300. Geburtstag derzeit gefeiert wird, erlag den Reizen von Annecy… und einer Madame.

"Wussten Sie, dass Jean-Jacques Rousseau ein begnadeter Musiker war und sogar eine Oper komponierte?", fragt Fremdenführerin Eliane die Besucher und erntet ungläubiges Kopfschütteln. "Rousseau hat mehrere Jahre in Annecy verbracht und bei Madame de Warens die Musikkunst erlernt", erklärt Eliane. Weil die Ausbildung für den jungen Rousseau in Genf zu hart war, flüchtete er 1728 über die schweizerische Grenze nach Annecy in Frankreich, um dort unterzutauchen. In der Musik fand der Philosoph seine zweite Leidenschaft. Er arbeitete als freier Musiklehrer und gab Konzerte in Annecy. Die 13 Jahre ältere Madame de Warens half dem jungen Rousseau maßgeblich bei seiner Musik-Karriere und vermittelte ihm Stellen.

"Mama" und Liebhaberin

Anfangs verband die beiden eine Mutter-Kind-Beziehung. Später schließlich wird er ihr Liebhaber. "Ich wurde ganz ihr Werk, ganz ihr Kind", schilderte Rousseau. Noch heute erinnert die Rue Jean-Jacques Rousseau an den berühmten Gast der Stadt.

Rousseau war nicht der einzige Genfer, den es in die Savoyen-Metropole trieb. Als Genf protestantisch wurde, flüchteten viele Katholiken aus der Stadt und zogen bevorzugt nach Annecy. Damals hieß die Stadt "Rom der Alpen" mit Anspielung an den Vatikan. Dank der Schweizer Katholiken florierte die Stadt im 18. und 19. Jahrhundert. Sie gründeten Handwerksbetriebe und führten die Papier- und Metallindustrie am Fuße der Alpen ein.

Carnot beendete die Überschwemmungen

Am meisten aber haben die Bewohner von Annecy den Aufstieg ihrer Stadt einem französischen Präsidenten zu verdanken: Sadi Carnot. Der Ingenieur, der auch noch aus Annecy stammte, entwickelte 1810 die "Vannes du Thiou", ein System, das den Fluss Thiou kontrollierte und so die ständigen Überschwemmungen verhinderte. Denn bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Stadt hilflos den Wassermassen ausgesetzt, die von den Bergen herunterkamen.

Bis heute spielt das Wasser eine dominierende Rolle in Annecy. Kanäle schlängeln sich durch die historische Altstadt. Eine Vielzahl von romantischen Steinbrücken führen die Besucher übers Wasser. Wegen seiner Kanäle und Brücken wird Annecy auch gerne "das Venedig des Nordens" genannt, erklärt Stadtführerin Eliane.

Arkaden bieten Regenschutz

Besonders markant ist die Architektur der Altstadt mit ihren zahlreichen Gebäude-Arkaden. Sie bieten Schutz vor dem Regen. Unter den Arkaden befinden sich oft Restaurants und Cafés, in denen Einheimische und Touristen Spezialitäten wie Fondue oder Kartoffelgratin auf Savoier Art genießen. Im Sommer lässt es sich gut draußen sitzen.

Beliebtester Anlaufpunkt ist das Wasser-Schloss. "Bis 1860 war es ein Gefängnis", erzählt Eliane. "Es herrschten schreckliche Bedingungen: es war kalt und feucht, es gab Ratten, und immer wieder wurden die Zellen überflutet." 1860 wurde aus dem Gefängnis der Justizpalast. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude wieder zum Gefängnis umfunktioniert und diente der Miliz der Vichy-Regierung, die Widerstandskämpfer der Résistance zu verhören und zu foltern. Heute ist das ehemalige Gefängnis ein Museum.

Erst seit 162 Jahren gehört Annecy zu Frankreich. Der französische König annektierte anno 1860 einfach die damals zu Piermont-Sardinien gehörende Stadt. Diese geschichtliche Fügung haben die Einwohner von Annecy bis heute nicht bereut.

Internet:

Tourismus-Homepage der Stadt Annecy

http://de.annecy.eu/200-home-de.htm