Bildschirmfoto 2022 03 26 um 22.46.21Angelica Kohlmann ist die neue Präsidentin der Technion-Gesellschaft in der Schweiz und führende Medizinal-Unternehmerin – ein Gespräch über Wissenschaft, unternehmerische Verantwortung und Ethik

Yves Kugelmann

Zürich (Weltexpresso) - tachles: Sie sind erfolgreiche Unternehmerin und Verwaltungsrätin bei Lonza. Was hat Sie motiviert, das Präsidium der Schweizer Freunde der Technion-Gesellschaft zu übernehmen?

Angelica Kohlmann: Tatsächlich ist eine solche Aufgabe – sie kostet Zeit, und manchmal unterstützt man auch finanziell – an sich «undankbar», außer man sieht den Mehrwert, den man bringen kann. Und den sehe ich durchaus. Ich wurde von meinem Vorgänger Daniel Gutenberg angefragt. Nach einer ersten Ablehnung und weiterer Überzeugungsarbeit habe ich mich dazu entschlossen.


Welche Ziele peilen Sie an?

Es gibt zwei Aspekte. Einer ist das reine Fundraising, das bekanntlich in Europa viel schwieriger ist als etwa in den USA. Aber ich bin bereit, mich dafür einzusetzen. Der zweite Punkt ist alles, was nicht mit Geld zu tun hat, sondern mit der Zusammenarbeit mit Schweizer Universitäten, mit dem Austausch zwischen jungen Menschen und mit anderen schönen Dingen. Darüber hinaus bin ich seit vielen Jahren im Venture-Capital-Bereich aktiv, und die Technologien, die zum Teil am Technion entwickelt werden, sind sehr interessant. Da werde ich Türen in beide Richtungen öffnen können.


Venture Capital ist ja für viele im Moment ein Fokus. Konnten Sie erste Projekte in Zusammenarbeit mit dem Technion umsetzen?

Nein, aber das lag wirklich an der Pandemie – man konnte ja kaum Aktivitäten entwickeln oder sich persönlich treffen. Nach Israel reisen war mir ohne israelischen Pass lange nicht möglich. Das soll sich jetzt ändern, und es gibt sehr viele Felder, in denen man etwas machen kann, sei es im medizinischen, technologischen oder Cyber-Security-Bereich. Wobei solche Dinge immer über eine gewisse Zeit wachsen müssen, in der man auch verschiedene Projekte beginnen oder fortführen muss.


Sie lebten schon auf drei Kontinenten, ihre Biografie liest sich wie ein kosmopolitischer Reiseroman. Nun sind sie in Zürich gelandet und während des Lockdowns dort gewesen.

Ich habe mich in Zürich nie eingeengt gefühlt. Aber ich bin auch gereist; meine 93-jährige Mutter ist bis heute in Brasilien, während mein ältester Sohn in New York lebt. Ich habe beide besucht und mich nicht einmal durch das Virus so ganz einschränken lassen, wenn auch die Umstände erschwert waren. Aber persönlich war es für mich schon nicht die Art, wie ich gerne lebe. Das Kosmopolitische hat eben auch mit meiner Familiengeschichte zu tun. Meine Eltern flohen nach Argentinien bzw. Peru und gingen später nach Brasilien; andere der wenigen nicht in den KZ umgekommenen Familienmitglieder verteilten sich über die Welt. Sie sind heute in den USA, in Südamerika, in Europa und auch in Israel.


Was sind Ihre persönlichen Lehren aus der Pandemie?

Zum Glück ist in unserer Familie bisher niemand erkrankt, geschweige denn an Corona verstorben. Mit Skype, Zoom usw. ist es ja aber fantastisch, wie man mit allen trotzdem kommunizieren kann, wenn es auch anders ist, als wenn man sich persönlich sieht. Aber so ein Virus ist einfach ein Naturgesetz; ich habe es einerseits sehr ernst, aber andererseits so genommen, wie es ist. Die Lehre: Der Mensch ist sehr anpassungsfähig.


Lonza ist in die Produktion des Moderna-Impfstoffes involviert. Wie gehen Sie mit damit zusammenhängenden ethischen Fragen um?

Als die Pandemie begann und Moderna mit einer möglichen Lösung auf uns zukam, haben wir im Verwaltungsrat ohne Wissen, was es kosten und wie es zu finanzieren sein würde, aus ethischen Gründen beschlossen, es sofort zu machen. Auf diese einstimmige Entscheidung bin ich sehr stolz. Es geht im Leben nicht immer alles nur um Geld, und mir ist es wichtiger, dass Menschen auch ein Herz haben, nicht nur Verstand alleine – insbesondere auch zur jetzigen Zeit mit dem neuen Krieg in Europa.


Ist dieser Krieg die noch größere Herausforderung als die Pandemie?

Der Krieg ist menschengemacht. Beim Virus war es vielleicht menschliche Schuld, dass es sich so verbreiten konnte, aber man konnte die Ärmel hoch krempeln und sagen, jetzt müssen wir was tun. Die Anzahl Todesopfer durch Covid ist dramatisch, doch es hätte auch viel schlimmer kommen, tödlicher sein können. Dagegen kann man etwas tun, und im Großen und Ganzen hat die Weltgemeinschaft zusammengearbeitet. Beim Krieg hingegen ist das anders, da stellt sich schon die Frage, ob man das so nehmen muss, wie es kommt. In meinen Augen ist es unglaublich, barbarisch und nicht hinzunehmen, dass heute in einem Krieg Menschen getötet werden. Wir sollten doch eigentlich darüber hinweg sein, dass einzelne Diktatoren es so weit treiben. In so einer Welt möchte ich weder meine kleine Enkeltochter noch die ganze nächste Generation aufwachsen sehen. Es gibt viele andere Themen denen man sich stattdessen widmen sollte.


Wie betroffen macht es Sie demgegenüber, wenn durch Sanktionen Menschen gerade etwa medizinische Hilfe vorenthalten wird, die sie eigentlich brauchen?

Das betrifft mich alles sehr. Bei Medikamenten bin ich der Meinung, dass man sich mit Sanktionen zurückhalten soll, wobei man dabei ja auf Gewinne verzichten kann. Die medikamentöse Versorgung und jene mit Lebensmitteln ist natürlich sehr wichtig und sollte weiter gewährleistet sein. Aber ich wäre bereit, mich bei Strom, Gas und Heizung persönlich zurückzuhalten, weil die Europäer und insbesondere die Deutschen damit diesen Krieg finanzieren. Das ist nicht hinzunehmen.


Das Technion hat schon früher durch die Alija von russischen, vielleicht sogar ukrainischen Wissenschaftlern Erfolge gefeiert. Gibt es derzeit diesbezügliche Pläne?

Im Moment gibt es nur Notfallpläne – man hilft, wo man kann, etwa mit Wohnraum und bei entsprechender Ausbildung mit Arbeitsstellen. Mehr kann man derzeit nicht machen, aber diese erste Notaufnahme ist sehr wichtig. Und wie oft ist es so, dass die ersten, die gehen, auch solche mit guter Ausbildung sind. Aber die Flüchtlinge hoffen ja, bald wieder zurückkehren zu können, und machen wohl auch nicht sofort Pläne für die nächsten 20 Jahre in Israel oder woanders.


Sie stammen selbst aus einer Familie mit Fluchtvergangenheit. Wie weit hat dies punkto Ethik auf Ihre beruflichen Aktivitäten einen Einfluss?

Bekanntlich werden heute ethische Werte sehr genau beobachtet – sie sind es, davon abgesehen, ja auch, die dem Leben einen Sinn geben. Auch große Investoren beachten mittlerweile, wie man mit der Umwelt und der Gesellschaft umgeht. Entweder man bringt das Gespür dafür selber mit, oder es wird einem diktiert. Und das ist bis zu einem gewissen Maß gut so.


Wie gehen Sie persönlich in Ihrem Berufsalltag an diese Themen heran?

In meinem Tätigkeitsbereich ist es ja nicht so schwer, weil es um Gesundheit und Menschenleben geht. Bei Lonza entwickeln wir als Vertragshersteller und -entwickler beispielsweise die neuesten Technologien für die Krebsbekämpfung mit, z. B. durch neue Produktionstechnologien, wie es auch die großen Pharmakonzerne tun. Die Produktionsmethoden werden in Zukunft eine größere Rolle spielen, weil es immer mehr um personalisierte Medizin geht. Wir sind dadurch jeden Tag mit ethischen Fragen konfrontiert, wenn wir uns für oder gegen ein Projekt entscheiden. Die Nachfrage ist indessen riesig, viele Unternehmen entwickeln Neues, unsere Kapazitäten sind aber begrenzt. Die Frage ist also, was die vielversprechendsten Projekte für den Patienten und somit auch für das Unternehmen sind. Aus dieser ethischen Sicht finde ich die Arbeit bei Lonza nicht wirklich schwierig.


Wobei die öffentliche Debatte um die Ethik der Pharmabranche recht lebhaft geführt wird.

Geschäftsleitung und Verwaltungsrat müssen natürlich eben auch dafür sorgen, dass am Ende die Zahlen stimmen. Aber darin sehe ich keinen Widerspruch, denn das meiste wird doch reinvestiert. Und wenn man mit den 15 000 Mitarbeitenden bei Lonza spricht, stellt man fest, dass praktisch alle das Ziel haben, den Menschen durch ihre Arbeit helfen zu wollen. Und die Menschen – abgesehen von abstrusen Verschwörungstheorien zur Pharma – wollen bzw. nehmen diese Hilfe ja auch.


Sie haben die Medtech-Firma Bloom Diagnostics gegründet, die durch Corona-Tests florierte. Was kommt nach der Pandemie?

Die Firma wurde schon zwei Jahre vor der Pandemie gegründet, und die Covid-Tests waren nur ein Nebenprodukt, das wir inzwischen eingestellt haben. Wir konzentrieren uns nun wieder auf die Zukunft. Das ist erstens: Wenn jemand regelmässig beispielsweise einen Blutwert kontrollieren lassen soll, sollte er oder sie dafür nicht ständig zum Arzt gehen müssen. Wir können inzwischen schon so viel zu Hause machen – weshalb nicht auch das? Und zweitens: Wenn ein Pharmaunternehmen eine klinische Studie machen will, muss es Hunderte Menschen zusammentrommeln und endlos medizinische Daten sammeln, Tausende Formulare müssen ausgefüllt und ausgewertet werden. Bloom hat für beides Systeme entwickelt, mit denen man sofort fachlich hochqualifizierte Rückmeldungen auf die Blutwerte inklusive weiterer medizinischer Informationen erhält und respektive völlig anonymisiert medizinische Daten analysieren kann. Daraus haben sich schon heute Ansätze für die Entwicklung neuer Therapien ergeben.


In der Schweiz wird sehr viel Geld für israelische Universitäten gesammelt, obwohl Israel doch eine erfolgreiche Wirtschaftsmacht ist. Wieso ist das nötig?

Es gibt zwei Seiten. Die eine ist, dass solche Institutionen, auch die reichsten unter ihnen, einfach immer Geld brauchen. Auch die Oper in New York oder Harvard sammeln Geld. Andererseits ist es natürlich so, dass man dort helfen soll, wo die Not am größten ist. Persönlich habe ich lange auch Krankenhäuser in Brasilien und Afrika unterstützt, weil es mir ungerecht vorkam, nur den tollen, glänzenden Häusern zu helfen. Aber das heißt nicht, dass das Technion und die Universitäten in Israel das Geld nicht auch brauchen.


Da stellt sich aber natürlich auch die Frage, wie «Big Pharma», welche Medikamente für eine Elite herstellt, mit der Verantwortung für den Rest der Welt umgeht. So ging es ja kürzlich auch um die Aufhebung der Patente für die Corona-Impfungen.

Ich sehe eine riesige Verantwortung, bin aber eine überzeugte Kapitalistin. Nur das, was finanziell funktioniert, hat auch dauerhaft eine Zukunft. Patente freigeben ist nicht der richtige Weg, denn Unternehmen müssen den Anreiz haben, mit einem Patent auch zurückzuverdienen, was sie investiert haben. Für die armen Länder gibt es nur eine einzige Möglichkeit, nämlich dort die Wirtschaft und die Politik in Gang zu bringen und die Korruption in den Griff zu bekommen.


Wie macht man das?

Für eine Demokratie braucht man ein Minimum an Erziehung, sprich schulischer Bildung, um das mittragen zu können. Das ist in vielen Ländern nicht gegeben, und so muss man mit Bildung schon im Kindesalter beginnen. Man muss Korruption bekämpfen, Universitäten bauen und dann Geschäfte ermöglichen, die auch funktionieren. Das ist eine Jahrhundertarbeit, und man darf nie aufgeben. Denn nur so kann man auch nachhaltig helfen. Spenden ist gut, es muss sein, aber es ist nicht die Lösung.

Foto:
Angelica Kohlmann setzt neue Massstäbe für die Technion-Gesellschaft
©tachles

Info:
https://www.technion.ch/