lokalpresseAm 11. Mai 1952 schoss die Polizei erstmals mit scharfer Munition auf Demonstranten, Teil 1/8

Kurt Nelhiebel

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am 10. Juni 1952 kamen die Essener Vorfälle abermals im Landtag zur Sprache. Tags zuvor war der CDU-Politiker Franz Meyers als neuer Innenminister vereidigt worden. Während der Debatte über dessen Etat erklärte der SPD-Abgeordnete Menzel: »Wir sind heute nicht mehr völlig davon überzeugt, dass von der Leitung alles getan worden ist, um den Gebrauch der Schusswaffe zu vermeiden.

Daher erwarten wir alsbald den Bericht, der uns im Hauptausschuss zugesagt worden ist.« Der kommunistische Abgeordnete Josef (Jupp) Angenfort sagte unter Hinweis auf die verletzten Demonstranten und den tödlich getroffenen Philipp Müller, alle diese Leute »haben die Wunden im Rücken; sie sind von hinten angeschossen worden. Die Untersuchung und Überprüfung der Kleider und die Überprüfung der Betroffenen hat das ergeben«.

Am 25. Juni 1952 stand der zugesagte Bericht des Innenministers auf der Tagesordnung einer Sitzung des Hauptausschusses, aber der Innenminister war laut Protokoll »nicht in der Lage, abschließend über die Vorgänge zu berichten, da im Augenblick die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen liefen und in schwebende Verfahren nicht eingegriffen werden könne«. Zur Klärung der Vorwürfe gegen die Polizei sei der Justizminister gebeten worden, »unverzüglich ein Verfahren gegen Unbekannt wegen Körperverletzung einzuleiten und durchzuführen«. Der SPD-Abgeordnete Menzel war mit der Stellungnahme des Ministers nicht zufrieden. Er formulierte zusammen mit seinem Fraktionskollegen Heinz Kühn, später selbst Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, eine Reihe von Fragen, »auf deren Beantwortung Wert gelegt werden müsse«. Unter anderem wollte er wissen, welche Beweise für die Behauptung vorlägen, »dass von den Demonstranten zuerst geschossen worden sei« und ob sich »die Wunden der Verletzten bzw. die Einschüsse auf der Vorder- oder auf der Rückseite der betreffenden Personen« befänden. Der Ausschuss vertagte die Beratung »bis zur Beantwortung der gestelltenFragen«.

Nachdem sieben Monate vergangen waren, ohne dass der Innenminister die Fragen beantwortet hatte, erinnerte der SPD-Abgeordnete Kühn im Landtag an die Zusage, die Regierung werde über diese Fragen und die ganzen Hintergründe Auskunft erteilen, wenn »die prozessuale Erledigung des Falles gegeben sei. Am 20. Oktober ist das Urteil (gegen elf angeklagte Demonstranten, d. V.) vor dem Landgericht gesprochen worden. Wir glauben«, insistierte Kühn, »dass der Bericht der Landesregierung nunmehr mehr als fällig ist«. Das Protokoll über die Landtagssitzung vom 27. Januar 1953 vermerkt an dieser Stelle den Zwischenruf des Innenministers: »Erst kommt noch die  Revisionsinstanz! « Am nächsten Tag erläuterte Meyers, das Dortmunder Urteil sei noch nicht rechtskräftig geworden, da die Angeklagten Revision eingelegt hätten. »Nach Abschluss der Verhandlungen in dieser Instanz werde ich dem Wunsche des Hohen Hauses entsprechend entweder vor dem Hauptausschuss oder vor dem Plenum Rechenschaft über die Vorgänge ablegen.«

Am 15. Mai 1954 verwarf der Bundesgerichtshof die Revision gegen das Dortmunder Urteil, das damit rechtkräftig wurde. (BGH Aktenzeichen 6 StR 19/54). Entgegen seiner Zusage kam der Innenminister von Nordrhein-Westfalen auf die Essener Vorgänge nie mehr zurück. Meine Anfrage beim Presse- und Informationsamt der Landesregierung rund 50 Jahre später landete bei der Landeszentrale für politische Bildung und schließlich beim Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie, das mein »Anliegen« an das Archiv des nordrhein-westfälischen Landtages weiterleitete. Am 5. Juli 2001 antwortete der Präsident des Landtags: »Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass sich im Archiv des Landtags kein Hinweis über eine abschließende Äußerung der Landesregierung über die Vorgänge in Essen auffinden 
lässt.« Das Schweigen hatte seinen Grund. Im Urteil des Dortmunder Landgerichts findet die Behauptung, die Polizei habe das Feuer als Antwort auf Schüsse der Demonstranten eröffnet, keine Stütze.
Fortsetzung folgt

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