Eine besorgniserregende Kürzung der Kulturellen Bildung steht in Hessen an,  Teil 1/2

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Protestieren reicht nicht, eine Regierung, die an der kulturellen Bildung sägt, muss dekuvriert werden. Wenn Julia Klöckner sagt: 'Der Mensch werde nicht erst dann zum Menschen, wenn er Abitur habe', dann redet sie plattes Zeug.

 

Umgekehrt gedacht wäre richtiger: zwar muss der Mensch nicht unbedingt Abitur haben, aber sich zumindest nahe an dieses Niveau herangearbeitet haben, denn eine höhere Bildung - die sich nicht jeder junge Mensch ohne weiteres im Selbstverfahren angedeihen lassen kann -, ist die entscheidende Wehrmauer gegen Vorurteile und Ressentiments, gegen wütend-menschenfeindliches Handeln und In-der-Welt-Herumfuhrwerken. Im Gewebe der Kultur handelt es sich um eine Ebene, die Begünstigung braucht, die nicht ganz ohne Überzeugungsarbeit erfolgreich sein kann.

 

Wer sich in der Bildung nicht genügend hocharbeiten konnte, hierzu keine Anleitung und Förderung erlebte - wofür es einige Jahre braucht -, ist herrschenden unguten und zunehmend verhängnisvollen Entwicklungen und Zuständen ausgelieferter (denn je) und damit im Ich schwächer. Die kulturelle Schwäche aufgrund des geminderten Ichs ist das Problem der modernen Kultur. Der Mensch als Herr und Meister der Natur (Descartes) leidet gleichwohl an einer Ich-Schwäche. Das macht diesen Menschen zur Gefahr für sich selbst, für andere und auch für die Natur. Sollte die oft beschworene Wahlmündigkeit des offiziellen Diskurses nicht also wenigstens gehalten werden, wenn nicht ausgebaut?

 

Die Hessische Landesregierung  ist nun angetreten, die Kulturelle Bildung einer Kürzung zu unterziehen. Sie 'strukturiert um', 'baut um', 'lenkt um', 'schichtet um'. Das sind verhüllende Tuwörter für eine Demontage des ursprünglich am Humanum orientierten Bildungsauftrags. Sind wir einerseits von Banausen angezählt, andererseits von offenen Barbaren? Antizvilisatorische und kulturfeindliche Bewegungen wie der IS massakrieren Kulturschaffende als erste, das Kultusministerium kürzt ausgerechnet an Fächern wie Musik und Kunst (von Theater nicht mal zu reden), an Lebens- und Erfahrungsräumen, die Menschen am stärksten zusammenführen und gewaltfreies Leben begünstigen, denn Künstler verstehen sich unschwerer, können sofort miteinander, wenn aus zwei Kulturen heraus eine Partitur zu schaffen ist, als ein gegebener und ersehnter Auftrag, wie von Seiten kultureller Institutionen und Initiativen bei Gelegenheit angeregt und begünstigt. Kunst und Kultur heilen viel mehr und besser als Politik und Turboökonomie es je könnten.

 

Die hessischen Mitbetreiber der Finanzmarktderegulierung haben aber nach dem Crash selbst kein Geld, Bouffier sprach sich wiederholt unverdrosssen-unrealistisch gegen eine Finanztransaktionssteuer aus - obwohl jeder Kaugummi und jede Semmel einer Steuer unterliegt – und beraubt sich damit der Finanzierung infrastruktureller und kulturbildender Aufgaben und Notwendigkeiten. Die enthemmte Finanzszene durfte aber zwischen 2000 und 2008 den wirtschaftlichen Erfolg aus der Gesellschaft abziehen und im Geldcasino spielen gehen; jetzt fehlt es an den Mitteln für die Bildung einer aufstrebenden Generation.

 

Der Fachverband für Kunstpädagogik, der Bundesverband Musikunterricht und der Landesverband Schultheater trafen sich in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Frankfurt, um als zusammengeschlossene Dreiheit dem geladenen Fachpublikum die Kürzungspolitik der Hessischen Landesregierung zu kommunizieren.

 

Gefährdete PROSÜM-Projekte (Projekte und Schulübergreifende Maßnahmen)

 

'Zum kommenden Schuljahr 2015/16 sind die Abordnungsstunden für die Fachberatungen Kulturelle Bildung laut Stellenzuweisungserlass 2015/16 um mehr als 50% reduziert worden. Grund für diese Umschichtung von insgesamt zwei Stellen in Hessen sei die Stärkung der Generalia Inklusion und Integration. Gleichzeitig wurden massive Kürzungen/Umschichtungen zulasten der verschiedenen vom Kultusministerium über die sog. PROSÜM-Stunden geförderten Projekte der Kulturellen Bildung für das darauf folgende Schuljahr angekündigt.' (aus dem Ruf 'Besorgniserregende Kürzung der Kulturellen Bildung' der Trias an den Kultusminister vom 13.07.2015).

 

Die Projekte der Kulturellen Bildung entstanden aus einer 'beispielhaften Kooperation aus ehrenamtlichem Engagement' der Verbände und 'deren hochengagierten Lehrkäften'. Möglich wurden 'deren überzeugende Projektideen...durch Abordnungen im Umfang von 300 bis 400 Lehrerstunden'. (aus der gemeinsamen Forderung der Trias: 'Das ist ja wohl der (Kultur-) Gipfel – Kunst, Musik und Theater in hessischen Schulen im freien Fall', dem Thema des Tages in der Erläuterung der augenblicklichen Situation)

 

Das also begibt sich, während man sich in Höhe U-Bahnhaltestelle Grüneburgweg nahe der Frankfurter Musikhochschule verwundert, dass qualifizierte junge Studierende wohl eher über das Ausland kommen als aus dem Land, in dem die kulturelle Bildung schleichend marginalisiert wird, während sie durch Tradition gesellschaftliche Potentiale hat. In Bayern gibt es für die Musik 400 Fachlehrer/innen-Kräfte, in Hessen gerade mal 30.

 

Die kulturelle Bildung hat im übrigen auch 'einen eigenen Auftrag in ihrer Verantwortung für kulturelle Teilhabe geflüchteter Kinder und Jugendlicher und für eine vielfältige Einwanderungsgesellschaft'. - 'In einer noch fremden Umgebung, in der sprachliche Verständigung schwerfällt, können künstlerische Ausdrucksformen Wege der Auseinandersetzung mit dem Unbekannten sein, aber auch mit dem Erlebten, mit den eigenen Gedanken und Gefühlen'. ('Das ist ja wohl der (Kultur-) Gipfel ')

 

Das  Antwortschreiben des Kultusministeriums auf ein Schreiben der Initiative hin verstärkte die Besorgnisse um das geregelte Arbeiten der vielen Beteiligten: 'Im Zuge der Stellenzuweisung für das kommende Schuljahr wird es daher zu Änderungen der Stellen- bzw. Stundenkontingente bei allen Beratungsangeboten und in den PROSÜM-Projekten kommen. [...] Dies hat zur Folge, dass Abordnungen geändert, reduziert oder teilweise beendet werden'. - Das Ministerium begeht also den 'strategischen Rückzug...aus seiner Verantwortung für die kulturelle Bildung in Hessen...'. ('Das ist ja wohl der (Kultur-) Gipfel ')

 

Sekundarstufe II – Verödung ist absehbar

 

Die künstlerische und musikalische Bildung und Praxis würde, wenn die Kürzung voll durchschlagen würde, um 150 LehrerInnenstunden reduziert werden, von 3 auf 2 Stunden, die Grundkurse würden zu einem Wenigeren verdichtet, der Nachwuchs trockengelegt, fachpraktische Anteile nicht genehmigt. Wie soll das Lernziel ohne angemessene Praxis erreicht werden, wenn die Ausrichtung rein auf das Schriftliche und Analytische reduziert werden soll. Wie auch im Sport braucht es immer wieder eine Praxisphase, die sich seit 20 Jahren bewährt hat. So heißt es im Papier der gemeinsamen Initiative: 'Wir fordern, dass die Fächer Kunst und Musik in der Sekundarstufe II den gleichen Stellenwert wie alle übrigen Schulfächer erhalten, also drei Wochenstunden für die künstlerischen Grundkurse in der Sekundarstufe II.' - 'Diese kulturelle Bildung kann nur „flächendeckend“ in den allgemeinbildenden Schulen stattfinden'. ('Das ist ja wohl der (Kultur-) Gipfel ')

Fortsetzung folgt.