kpm LeninSahra Wagenknecht zwischen Revolution und Wutbürgern

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der linke Radikalismus sei die Kinderkrankheit des Kommunismus, äußerte Lenin 1920 in seiner gleichnamigen Schrift.

Damit meinte er nicht nur die Differenzen zwischen Menschewiki und Bolschewiki in der Sowjet Union, sondern auch die Streitigkeiten zwischen der aus dem Spartakus-Bund hervorgegangenen Kommunistischen Partei Deutschlands einerseits und SPD bzw. USPD andererseits. 98 Jahre danach sind hierzulande erneut Flügelkämpfe bei den Linken zu beobachten, insbesondere bei der Partei, die diesen Namen trägt. Und auch dieses Mal geht es sowohl um die Grundsätze des Sozialismus als auch um den richtigen Weg zu einer wirklich gerechten und solidarischen Gesellschaft.

Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, plädiert vor dem Hintergrund der weltweiten Flüchtlingsströme für eine begrenzte Zuwanderung, analysiert aber Hauptursache des Elends zu wenig, nämlich den internationalen Kapitalismus. Die Mehrheit des Parteivorstands rät zu anderen Konsequenzen aus der Zuwanderung, vor allem zu einer internationalen Solidarität. Aktuell rief sie zur Teilnahme an der Demonstration #UNTEILBAR am 13. Oktober in Berlin auf, die dort und woanders für eine offene Gesellschaft eintritt. Auch die von Frau Wagenknecht initiierte Sammlungsbewegung AUFSTEHEN scheint in dieser Frage gespalten zu sein. Das könnte negative Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des als parteiübergreifend geplanten Bündnisses haben, sogar ein schnelles Scheitern wäre nicht auszuschließen.

Ich hätte Sahra Wagenknecht, die einmal die „kommunistische Plattform“ der Linken anführte, ein größeres politisches Fingerspitzengefühl zugetraut. Nicht zuletzt auch eine bessere Kenntnis der sozialistischen Theoretiker. Mit Lenins Worten kann ich sie nur auffordern „zu lernen, zu lernen, zu lernen“.

Angesichts diverser Putschversuche monarchistischer und nationalistischer Militärs in der noch jungen Weimarer Republik (Kapp, Lüttwitz) teilte Lenin die Meinung des Zentralkomitees der KPD vom Frühjahr 1920, dass die Voraussetzungen für die Errichtung einer Diktatur des Proletariats objektiv nicht vorgelegen hätten. Denn die „städtische Arbeiterschaft in ihrer Mehrheit“ sei Sozialdemokraten und Unabhängigen gefolgt. Deswegen wäre den Kommunisten kein anderer Weg übriggeblieben, als einer „sozialistischen Regierung unter Ausschluss der bürgerlich-kapitalistischen Parteien“ eine „loyale Opposition“ zu versprechen. Auf die Vorbereitung zum „gewaltsamen Umsturz“ hätte folglich verzichtet werden müssen.

Dass eine kommunistische Partei einer Regierung der so genannten „Sozialverräter“ (SPD, USPD) das Etikett „sozialistisch“ verweigern müsse, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Sowohl Scheidemann als auch Kautsky und Crispien sowie ihre jeweilige Gefolgschaft seien ohne jeden Zweifel kleinbürgerliche Demokraten. Das entscheidende Kriterium für Bündnisse und Kompromisse aber sei gewesen, dass die Kommunisten die Arbeiterschaft hätte nicht daran hindern können, den Mehrheitssozialisten zu folgen. Ja, es hätte sogar inkauf genommen werden müssen, dass die Arbeiter ihre letzten kleinbürgerlich-demokratischen Illusionen in der Auseinandersetzung mit „ihrer“ Regierung entweder überwinden oder sogar verfestigen konnten.

Ein solcher Kompromiss bedeutet nach Lenins Auffassung aber keineswegs, die tagtägliche Agitation unter den Massen aufzugeben. Und wörtlich fügte er hinzu: „Mögen solche Schurken wie die Scheidemänner und solche Philister wie die Kautsky und Crispien in der Praxis enthüllen, wie sehr sie selbst zum Narren gehalten werden und wie sehr sie die Arbeiter zum Narren halten.“

Lenin machte sich keine Illusionen vor dem Doppelcharakter der Sozialdemokratie, insbesondere über deren Loyalität gegenüber ihrem objektiven Gegner, dem Kapitalismus. Gleichzeitig verurteilte er aber die unnötige Konfrontation mit ihr. Sie und ihre Unterstützer müssten die Chance bekommen, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Während dieses Lernprozesses hätte die KPD dafür zu sorgen, dass das revolutionäre Bewusstsein der Massen quantitativ und qualitativ wachse.

Deswegen sei Sahra Wagenknecht empfohlen, sich bei der Verfolgung ihrer politischen Strategie nicht von den Phrasen des Lumpenproletariats beeindrucken zu lassen und mindestens so listig zu sein, wie es der Klassenfeind ist.
Den Umarmungsversuchen der AfD könnte sie sich rasch entziehen, wenn sie jede ihrer Bundestagsreden mit Zitaten aus Martin Walsers Schlüsselroman über Alexander Gauland begönne („Finks Krieg“). Oder indem sie Alice Weidel dadurch entlarvte, indem sie die Rolle ihres früheren Arbeitgebers, Goldmann Sachs, bei der Finanzkrise von 2008 und der Vernichtung des bescheidenen Vermögens kleiner Leute betonte. Auch die von Beatrix Amelie Ehrengard Eilika von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg, geforderte Rückgabe des Bodenreformlandes in der ehemaligen DDR an die vorherigen (vielfach adeligen) Eigentümer könnte den vorgeblich anti-elitären Anspruch der AfD tagtäglich entzaubern. Es gäbe viel zu tun.

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Lenin
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