Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Seit der Verkündung des Urteils im Auschwitz-Prozess sind mehr als fünfzig Jahre vergangen. Wie verhielt es sich in dieser Zeit mit dem Interesse an Auschwitz? Als mir vor Jahren die Idee kam, meine Berichte vom Auschwitzprozess als Buch der Jugend von heute zugänglich zu machen, ahnte ich nichts von den Schwierigkeiten, mit denen ich zu tun bekommen sollte.
Sechs Jahre dauerte meine Suche nach einem Verlag. Dabei machte ich die Erfahrung, dass alle gern von der Notwendigkeit des Erinnerns reden, aber ungern in diese Notwendigkeit investieren. Schließlich griff der PapyRossa Verlag in Köln die Idee auf. Umgesetzt werden konnte sie, weil die Bundeszentrale für politische Bildung das Projekt unterstützte.
Der Kampf gegen das Vergessen war stets mühsam. Mitte der siebziger Jahre, als die Wiederverwendung alter Nazis kein Thema mehr war, wohl aber die Jagd auf Kommunisten und so genannte Radikale im öffentlichen Dienst, zu jener Zeit arbeitete ich als Redakteur und Kommentator bei einer als liberal geltenden deutschen Rundfunkanstalt. Zum 30. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch sowjetische Truppen bot ich dem zuständigen Kollegen einen Fünf-Minuten-Beitrag an. Der war von dem Thema wenig erbaut. Mit diesen alten Geschichten müsse doch endlich mal Schluss sein, meinte er. Nach einer kurzen Diskussion wurde der Beitrag dann doch gesendet.
Seit 1996 wird der Jahrestag der Befreiung von Auschwitz offiziell als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Es genügt aber nicht, einmal im Jahr die Vergangenheit als Mahnung für die Zukunft zu beschwören. Einer der wenigen, der frühzeitig vor einem Rückfall in frühere Denkweisen gewarnt hat, war der Initiator des Auschwitzprozesses, der hessische Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer. Er hat eindringlich geschildert, wie es dazu kommen konnte, dass die erste deutsche Republik in den gewalttätigen Rechtsextremismus der Nationalsozialisten abgerutscht ist. Seine Analyse ist aktueller denn je:
„Statt einer ‘Bewältigung der Vergangenheit’, die auch damals notwendig war und die einen harten Willen zur Wahrheit erforderte, zog man den Betrug und Selbstbetrug eines angeblichen Dolchstoßes vor und suchte krampfhaft nach Sündenböcken. Man fand sie bald in ‘Marxisten’, bald in Juden. Jeder Sündenbockmechanismus erwächst aus Charakterschwäche; er ist ein infantiler Zug und alles andere als eine männliche Reaktion. Je schwächer die Leute sind und je mehr sie von Minderwertigkeitskomplexen geplagt werden, desto mehr rufen sie nach Härte und desto gewalttätiger und brutaler treten sie auf, um ihr eigenes Ungenügen und das Fiasko ihres Daseins zu verbergen. Die Kraftmeierei des Nazismus, sein Geschrei, seine Demonstrationen, seine Verbrechen, waren die Maske von neidischen Schwächlingen.”
Dieser Sündenbockmechanismus hat die Nazizeit überlebt. Als Ende der siebziger Jahre Hakenkreuz-Schmierereien wieder einmal für peinliches Aufsehen sorgten, machte der CSU-Vorsitzende Strauß kommunistische Geheimdienste für die Schändung jüdischer Friedhöfe verantwortlich. Das rechtslastige „Deutschland-Magazin” behauptete, der „angebliche Neonazismus sei in Wahrheit eine Waffe Moskaus”. Das war ein bequemer Weg, die Krankheit am eigenen Leibe zu leugnen und sich der Auseinandersetzung mit den wahren Ursachen zu entziehen.
Inzwischen gibt es keine DDR und keine Sowjetunion mehr, aber noch immer werden Hakenkreuze auf Grabsteine geschmiert und jüdische Einrichtungen angegriffen. Als die rechtradikale NPD vor Jahren zu einer Demonstration gegen den Bau einer Synagoge in Bochum aufrief und die örtliche Polizeibehörde den provozierenden Aufmarsch verbot, machte das Bundesverfassungsgericht den Unbelehrbaren den Weg frei. Das Recht der Neonazis zu demonstrieren wurde höher bewertet als das Recht der Überlebenden des Holocaust, vor der Verhöhnung der Opfer des Naziterrors geschützt zu werden. (Beschluss des Ersten Senats vom 23. Juni 2004, Aktenzeichen 1 BvQ 19 / 04).
Nicht von ungefähr, so scheint es, verlangte zu Beginn des neuen Jahrtausends der damalige Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, beim Kampf gegen die Neonazis, nicht bestimmte Entwicklungen in der Mitte der Gesellschaft aus dem Blickfeld zu verlieren; dort gebe es immer noch hartnäckige Vorurteile gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, anderer Herkunft und anderer Religion.
Schluss folgt
Fotos:
Kurt Nelhiebel 1964 zur Zeit des Auschwitz-Prozesses und als ältester Teilnehmer der Lesung des Dramas „Die Ermittlung“ von Peter Weiss 2016 im Plenarsaal der Bremischen Bürgerschaft
Der Kampf gegen das Vergessen war stets mühsam. Mitte der siebziger Jahre, als die Wiederverwendung alter Nazis kein Thema mehr war, wohl aber die Jagd auf Kommunisten und so genannte Radikale im öffentlichen Dienst, zu jener Zeit arbeitete ich als Redakteur und Kommentator bei einer als liberal geltenden deutschen Rundfunkanstalt. Zum 30. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch sowjetische Truppen bot ich dem zuständigen Kollegen einen Fünf-Minuten-Beitrag an. Der war von dem Thema wenig erbaut. Mit diesen alten Geschichten müsse doch endlich mal Schluss sein, meinte er. Nach einer kurzen Diskussion wurde der Beitrag dann doch gesendet.
Seit 1996 wird der Jahrestag der Befreiung von Auschwitz offiziell als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Es genügt aber nicht, einmal im Jahr die Vergangenheit als Mahnung für die Zukunft zu beschwören. Einer der wenigen, der frühzeitig vor einem Rückfall in frühere Denkweisen gewarnt hat, war der Initiator des Auschwitzprozesses, der hessische Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer. Er hat eindringlich geschildert, wie es dazu kommen konnte, dass die erste deutsche Republik in den gewalttätigen Rechtsextremismus der Nationalsozialisten abgerutscht ist. Seine Analyse ist aktueller denn je:
„Statt einer ‘Bewältigung der Vergangenheit’, die auch damals notwendig war und die einen harten Willen zur Wahrheit erforderte, zog man den Betrug und Selbstbetrug eines angeblichen Dolchstoßes vor und suchte krampfhaft nach Sündenböcken. Man fand sie bald in ‘Marxisten’, bald in Juden. Jeder Sündenbockmechanismus erwächst aus Charakterschwäche; er ist ein infantiler Zug und alles andere als eine männliche Reaktion. Je schwächer die Leute sind und je mehr sie von Minderwertigkeitskomplexen geplagt werden, desto mehr rufen sie nach Härte und desto gewalttätiger und brutaler treten sie auf, um ihr eigenes Ungenügen und das Fiasko ihres Daseins zu verbergen. Die Kraftmeierei des Nazismus, sein Geschrei, seine Demonstrationen, seine Verbrechen, waren die Maske von neidischen Schwächlingen.”
Dieser Sündenbockmechanismus hat die Nazizeit überlebt. Als Ende der siebziger Jahre Hakenkreuz-Schmierereien wieder einmal für peinliches Aufsehen sorgten, machte der CSU-Vorsitzende Strauß kommunistische Geheimdienste für die Schändung jüdischer Friedhöfe verantwortlich. Das rechtslastige „Deutschland-Magazin” behauptete, der „angebliche Neonazismus sei in Wahrheit eine Waffe Moskaus”. Das war ein bequemer Weg, die Krankheit am eigenen Leibe zu leugnen und sich der Auseinandersetzung mit den wahren Ursachen zu entziehen.
Inzwischen gibt es keine DDR und keine Sowjetunion mehr, aber noch immer werden Hakenkreuze auf Grabsteine geschmiert und jüdische Einrichtungen angegriffen. Als die rechtradikale NPD vor Jahren zu einer Demonstration gegen den Bau einer Synagoge in Bochum aufrief und die örtliche Polizeibehörde den provozierenden Aufmarsch verbot, machte das Bundesverfassungsgericht den Unbelehrbaren den Weg frei. Das Recht der Neonazis zu demonstrieren wurde höher bewertet als das Recht der Überlebenden des Holocaust, vor der Verhöhnung der Opfer des Naziterrors geschützt zu werden. (Beschluss des Ersten Senats vom 23. Juni 2004, Aktenzeichen 1 BvQ 19 / 04).
Nicht von ungefähr, so scheint es, verlangte zu Beginn des neuen Jahrtausends der damalige Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, beim Kampf gegen die Neonazis, nicht bestimmte Entwicklungen in der Mitte der Gesellschaft aus dem Blickfeld zu verlieren; dort gebe es immer noch hartnäckige Vorurteile gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, anderer Herkunft und anderer Religion.
Schluss folgt
Fotos:
Kurt Nelhiebel 1964 zur Zeit des Auschwitz-Prozesses und als ältester Teilnehmer der Lesung des Dramas „Die Ermittlung“ von Peter Weiss 2016 im Plenarsaal der Bremischen Bürgerschaft