Stander der Bundesregierung...dann würde ich regieren. Vor allem in Zeiten einer Pandemie

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Dann würden Zaudern und Zögern nicht gestattet und das Äußern verfassungsrechtlicher Scheinvorbehalte zöge Entlassungen aus Ministerämtern nach sich.

Die FDP als neoliberaler Appendix der Koalition und darum stets ein unsicherer Kantonist, müsste gegebenenfalls abgemahnt werden. Denn an einem Advocatus Diaboli, der wie ein Dorfköter kläfft und lediglich Lärm verursacht, besteht kein Bedarf. Schließlich will die Regierung gemäß ihrem verlautbarten Motto den Fortschritt wagen und nicht den Rückzug in Bequemlichkeit, Desinteresse und Verantwortungslosigkeit. Angesichts von Corona steht zu viel auf dem Spiel. Blieben an den Weihnachtstagen die traditionellen Familienzeremonien (vom Saufen über das Fressen bis zur häuslichen Gewalt) ohne wirksame Einschränkungen erlaubt, könnte ab Silvester manchem der Covid-Tod drohen.


Die Lage war noch nie so ernst.

Die CDU als stärkste Oppositionspartei formuliert ihre Kritik an den ergangenen und nicht ausreichenden Regierungsbeschlüssen etwas zurückhaltender, ist jedoch in der Sache eindeutig. „Kurz zusammengefasst: zu wenig, zu spät", sagte Ralph Brinkhaus, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion. „Ich nehme das sehr ernst, was das RKI sagt, was Herr Wieler sagt. Deshalb hätte ich mir gewünscht, mehr und früher, also keine Weihnachtspause bei den Restriktionen." Das Robert Koch-Institut hatte am Dienstag dieser Woche maximale Kontaktbeschränkungen empfohlen. Diese sollten sofort eingeführt und zunächst bis Mitte Januar beibehalten werden. Sinngemäß hatte sich wenige Tage zuvor auch der Expertenrat der Bundesregierung geäußert. Der CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger bezeichnete die Maßnahmen ebenfalls als völlig unzureichend. „Wir bräuchten jetzt einen scharfen Lockdown vom 27. Dezember bis zum Neujahrstag, ähnlich wie in den Niederlanden." Denn die Beschlüsse reichten nicht aus, um Deutschland auf die drohende Omikron-Welle vorzubereiten oder eine solche nach Möglichkeit abzuschwächen.

Die beschlossenen Maßnahmen laufen darauf hinaus, dass ab dem 28. Dezember Clubs und Diskotheken bis auf Weiteres geschlossen werden. Fußballspiele müssen ohne Publikum stattfinden, Geimpfte und Genesene dürfen bei privaten Zusammenkünften höchstens zu zehnt sein. An Silvester und Neujahr gelten Versammlungsverbote, ebenso wird der Verkauf von Feuerwerkskörpern untersagt. Für Ungeimpfte bleiben die Beschränkungen, die bereits jetzt schon gelten, in Kraft: Private Treffen sind für sie nur mit einem Haushalt und zwei zusätzlichen Personen erlaubt.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zeigte sich davon überzeugt, dass diese Mittel schnell Wirkung zeigen würden. Aber er schloss nicht aus, dass über einen harten Lockdown diskutiert werden müsse, wenn es die Fallzahlen erforderten. Es gebe keine rote Linie, nur „zum jetzigen Zeitpunkt sind wir da nicht." Lauterbach setzt zur Eindämmung der Omikron-Welle auf Auffrischungsimpfungen. „Ich würde mir wünschen, dass wir den allergrößten Teil der Bevölkerung bis Ende Januar geboostert haben", so der Mann, der bislang als scharfer Kritiker einer zu langsamen und inkonsequenten Pandemieabwehr galt. Und bei dem man jetzt den Eindruck hat, ihm seien Beruhigungsmittel verabreicht worden.

Auch einige Bundesländer sind unzufrieden. So gehen Baden-Württemberg und Sachsen die Anordnungen „nicht weitgehend genug", da sie „keine ausreichende Handlungsfähigkeit gewährleisten, um schnell auf eine sich zuspitzende Lage reagieren zu können", ließen die beiden Länder in einer Protokollnotiz festhalten. In Hamburg und Niedersachsen sind bereits Verschärfungen angekündigt.

Um eine weitere Verbreitung der Omikron-Variante zu verhindern, stuft Österreich ab sofort Großbritannien, Dänemark, die Niederlande und Norwegen als Virusvariantengebiete ein. Die Einreise aus diesen Staaten ist damit in der Regel mit einer zehntägigen Quarantäne verbunden. Ausnahmen gibt es für Menschen mit einer Auffrischungsimpfung plus einem negativen PCR-Test. In Berlin, aber auch in Brüssel, ist man hingegen wie üblich unentschlossen.

Es scheint, als hätten einige europäische Länder aus den Katastrophen von 2020 gelernt. Deutschland hingegen, das vor 1 ½ Jahren noch Vorreiter eines überlegten Handelns war, tut sich schwer. Die neue Regierung vermittelt zwei Wochen nach Amtsantritt ein Bild der Überforderung. Allen voran der Kanzler, der die Richtlinien der Politik bestimmen soll. Nimmt sich Olaf Scholz gar Joe Biden zum Vorbild, der in den USA nach einem Amtsjahr als „lame Duck“ gilt?

Wer auf ein baldiges Zerbrechen der Ampel-Koalition setzt, könnte nicht völlig daneben liegen.

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Stander der Bundesregierung
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