Bildschirmfoto 2022 03 03 um 19.04.51Kommentar des  Ex-Mossad Chef zum RUSSLANDKRIEG GEGEN DIE UNKRAINE

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Efraim Halevy erklärt, warum Putin die nukleare Karte so rasch spielte, und wie US-Präsident Biden dem russischen Führer immer noch einen ehrenvollen Abgang offerieren kann.

Der Beschluss des russischen Präsidenten Vladimir Putin, erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges die Karte der nuklearen Bedrohung zu spielen, und dass er dies weniger als einer Woche tat nach Beginn seiner Invasion der Ukraine mit einer massiven Bodenkraft, verdient mehr als nur eine pflichtmässige Erwähnung.

Vordergründig erscheint diese Bewegung selbst-vernichtend, angesichts des klaren, massiven Vorteils, den Russland in den konventionellen Kräften gegenüber der Ukraine besitzt. Wenn die Drohung so rasch verkündet werden musste, verdient dieser Grund eine ernsthafte Analyse. Meiner Ansicht nach reflektiert er ein Element der wachsenden Verzweiflung auf Putins Seite.

Erstens und am wichtigsten weist es auf das Unvermögen der russischen Bodentruppen hin, einen spektakulären Erfolg zu erzielen. Ihnen fehlte die Erfahrung und sie waren auch kaum motiviert. Jene, die in der Ukraine zu Kriegsgefangenen wurden, erzählten eine grimmige Geschichte der kompletten Ignoranz, was die Motive für die Operation betrifft. Sie dachten, sie würden eine Trainings-Übung absolvieren und würden nicht mit der umfassenden Herausforderung belastet, einen Feind innert Tagen zu besiegen.

Darüber hinaus half ihre nach Hause zurück rapportierte Ungemach der internen Opposition in Russland, der es gelang, in verschiedenen Städten weitgefächerte Demonstrationen zu organisieren, was zu Tausenden von Verhaftungen führte. Inzwischen erlitt die russische Wirtschaft einen ernsthaften Rückschlag als Folge der harschen internationalen Sanktionen, was den internen Druck auf Putin noch weiter vergrösserte.

Auf der internationalen Szene ist Moskau isoliert und genießt herzlich wenig Sympathie. Elf der 15 Mitglieder des Uno-Sicherheitsrates unterstützten den amerikanischen Resolutionsentwurf, der Russland verurteilte. Von den sich der Stimme enthaltenden ragte China hervor – Russlands engster und mächtigster Alliierter auf der internationalen Szene. China machte auch kein Geheimnis daraus, dass sein Anführer Xi Jinping Putin geraten hatte, mit der Ukraine in Verhandlungen zu treten. Diesen Rat wies Putin gleichentags noch zurück, wobei er sich einer äußerst groben Sprache bediente.

Putin hatte versucht, die historische Natur des gegenwärtigen Streits zu unterstreichen. Effektiv aber waren Russland und die Ukraine während vieler Jahre im 20. Jahrhundert Partner in einer nationalen Einheit. Michail Gorbatschov, der letzte Präsident der Sowjetunion, war der Sohn von Russen ukrainischen Ursprungs. Nikita Chruschtschow, der US-Präsidenten John F. Kennedy während der kubanischen Raketenkrise konfrontierte, hatte seine Ursprünge in «West-Russland» und wuchs in der Donbas-Region auf. Putin hatte aber nicht realisiert dass die Uhr der Geschichte, sobald die internationale Völkergemeinschaft die Ukraine als einen Mitgliededstaat akzeptiert hatte, nicht mehr mit Gewalt zurückgedreht werden konnte.

Allein schon die Andeutung einer nuklearen Konfrontation erinnert viele an die nuklare Raketenkrise von Oktober 1962, als Russland Kampfflugzeuge nach Kuba entsendete und ein Kriegsschiff mit nuklearen Sprengköpfen, die Amerikas Ostküste in das Einzugsgebiet dieser Gefahr gebracht hatte. Es vergingen 13 atemlose Tage, bis es einem hochrangigen Team im Weißen Haus gelang, die Krise zu entschärfen. Vielleicht kann ihr damaliger Erfolg uns davon überzeugen, wie eine nukleare Katastrophe in unserer gegenwärtig eskalierenden Krise zu vermeiden ist.

Rein zufällig weilte auf dem Höhepunkt der kubanischen Raketenkrise  Isiah Berlin in einem Privatbesuch in den USA. Isaiah, ein enger Verwandter von mir, hatte im Zweiten Weltkrieg als Winston Churchills persönlicher Emissär sowohl in Washington als auch in Moskau gedient. Er wurde in beiden Hauptstädten hoch geschätzt.

An einem Abend in diesen angespannten Herbsttagen nahm er an einer Cocktail-Party in Washington teil, als die Eingangstüre sich öffnete und Präsident Kennedy hereinkam und fragte, ob Isaiah anwesend sei. Er ging auf ihn zu, schüttelte seine Hand, und verließ die Party.
Am nächsten Tag waren Isaiah und seine Frau eingeladen zu einem privaten Dinner im Weißen Haus. Der Präsident prüfte die Intelligenz seines Gastes und suchte die Antwort auf eine lebenswichtige Frage: «Was kann ich dem russischen Anführer offerieren, um ihm zu ermöglichen, seiner Gefolgschaft zu Hause zu erklären warum er nachgegeben und die nukleare Bedrohung von unseren Ufern  entfernt hat?»

Kurz danach waren das russische Flugzeug und der raketentragende Zerstörer abgezogen. Einige Monate später hatten die USA Jupiter-Raketen aus der Türkei entfernt, womit sie eine Kapazität abgebaut hatten, die in den Augen der Russen bedrohlich und beunruhigend waren.

Auf die heutige Situation angewendet ist die Herausforderung für das Weiße Haus gleichermaßen klar:  Wie kann man die tapferen und unschuldigen Bürger der blutenden Ukraine unterstützen, gleichzeitig aber Putin mit einem ehrenhaften Abgang  präsentieren? Einen Abgang, den er mit Vernunft seinen Leuten zu Hause präsentieren kann.
Der massive Schaden, den Putins Prestige bereits erlitten hat, sowohl international als auch in den eigenen Grenzen, ist immens und wird Jahre für eine Reparatur benötigen. Ein Waffenstillstand ist ein möglicher Schritt in der richtigen Richtung, doch er muss begleitet werden von einer Zusammenarbeit der USA und Russlands, um die Grundzüge einer langfristigen Lösung zu schaffen. Putin kann sich kein tschetschenisches Ende für den gegenwärtigen Krieg leisten, während Biden es sich nicht leisten kann, dass die Angelegenheiten außer Kontrolle geraten.

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©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 3. März 2022

Der Autor, Efraim Halevy, diente vier Jahrzehnte im israelischen Mossad-Geheimdienst, in den Jahren 1998-2002 als dessen Chef. Der Kommentar erschien zuerst in «Haaretz».