Vom Mut, richtig alt zu werden

Zum 95. Geburtstag unseres verehrten Autors Kurt Nelhiebel

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das ‚richtig‘ hat’s in sich. Es ist eigentlich gar nicht bewertend gemeint, daß Kurt Nelhiebel auf die richtige, die rechte Weise alt wird und nicht auf die falsche, nein, es soll ausdrücken, daß er nicht nur älter wird, sondern mit 95 Jahren schon ‚richtig alt‘ ist. Stimmt aber schon, er macht es auch richtig, denn er gibt trotz aller Blessuren und Mißlichkeiten des Altwerdens nicht auf, unserer Welt über seine Artikel den Spiegel vorzuhalten.

Was das bedeutet, in einem Alter, das die meisten gar nicht erreichen, die Männer seiner Generation schon gar nicht, täglich am Rechner seine Gedanken, Meinungen, Interpretationen, Fragen in Artikel zu gießen, kann nur ermessen, wer weiß, welche Disziplin dazu nötig ist, wo doch die meisten schon in jungen Jahren von sich sagen müssen: »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach«. Doch von unserem politischen Beobachter K.N. will ich gar nicht sprechen, das kann man in WELTEXPRESSO nachlesen.

Ich will davon erzählen, was die andere Seite, die anderen Seiten des Kurt Nelhiebel sind. Daß seine Leidenschaft dem Modellfliegen galt und eigentlich gilt, nur sind seine Freunde weggestorben und deshalb baut er keine Modellflugzeuge mehr, ist für mich ja eher kurios, war für ihn aber echt wichtig und darum habe ich mich vor Jahren kundig gemacht, wie man mit dem Balsaholz – ja, da staunst Du nun, Kurt, daß ich so was überhaupt weiß - , mit Stryropor und Sperrholz solche Flugzeuge baut, damit sie auch in der Luft bleiben und nicht abstürzen oder gar nicht erst losfliegen. Und daß Du zu Ostern auch dieses Jahr noch Ostereier gemalt hast, spricht für sich. 

Daß wir fast täglich, manchmal täglich mehrfach uns gegenseitig Mails schicken, - mal regt sich der eine auf, mal die andere, mal tröstet die eine, mal der andere, mal fordert der eine, mal die andere, mal hilft die eine, mal der andere, mal klagt der eine, mal die andere, mal erzählt die eine von früher und von Österreich, mal der andere von dem Land, das heute Tschechien heißt und seine emotionale Heimat bleibt, das alles hat unser fleißiger Autor ja längst in Buchform gebracht, wie er eben auch ein kundiger, ja optimaler Verwerter seiner selbst ist,- will ich auch nicht weiter erwähnen. Und auch nicht, wie lieb uns die Gänseblümchen sind, die Du links so strahlend fotografiert hast.


Ich will nur auf zwei Dinge eingehen, die ich Dir, lieber Kurt, auch für die nächsten Jahre wünsche:

Deine Liebe zu Deinem Garten, zu den Pflanzen, zu dem, was wächst, worüber Du erst jetzt in Deinem Alter schreibst, was man auch in WELTEXPRESSO nachlesen kann und die schönsten Fotos dazu lieferst, die ja die Artikel sinnenfroh machen und man mit Dir durch den Garten zu spazieren glaubt,

und Deine Gedichte und Deine Karikaturen.

Letztere hast Du lange nicht mehr geschickt, fällt mir dabei auf. Schau doch mal nach, welche wir noch nicht veröffentlicht haben.

Und die Gedichte bleiben bisher bei mir, die lese ich nachts, wenn zwischen 3 und 4 Uhr das Zeitungsmachen müde macht, aber Deine Gedichte meine Gedanken und Gefühle ein wenig spazieren gehen lassen.

Das war das letzte von Dir geschickte Gedicht:

Alte Liebe

Ich sehe die Wolken
im Blau über mir
und denke, sie wollen
mich grüßen von dir.

Ich sehe die Welle
verrinnen im Sand
und denke, du reichst mir
von fern her die Hand.

Ich sehe die Möwen
und denke dabei,
so schnell wie sie fliegen
war alles vorbei.

Doch eins ist geblieben,
das ruht tief in mir
wie Glut in der Asche,
die Sehnsucht nach dir.

2009

Muß sich jetzt noch jemand fragen, warum ich vom Mut spreche, richtig alt zu werden. Du gibst in der Regel nur die schönen Dinge weiter, die vielen Schwierigkeiten, die Schmerzen, das Gefühl vom Nachlassen der Kräfte, vom Nimmerseinwollen, das Gefühl der Vereinsamung angesichts des Todes der Freunde um Dich herum, Deines Sohnes, eine sich nie schließende Wunde, erwähnst Du kaum. Aber all das gehört eben zum Leben auch, Ehrlichkeit sich selbst gegenüber und seine Gefühle leben zu lassen, sich dennoch nicht nur ihnen zu überlassen, sondern das schwache Fleisch zu überwinden und weiterzumachen mit Sinn und Verstand.

Ach Kurt, Du bist einfach ein großes Vorbild für uns alle. Und das soll so bleiben!
Herzlichen Glückwunsch zu Deinem 95. Geburtstag!

Fotos:
Kurt und Nicole Nelhiebel