mdr.demelnykWarum ein Botschafter seinen Hut nehmen muss

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – Wer die Geschichte des Massenmordes an den europäischen Juden auch nur halbwegs im Gedächtnis hat, für den  war die Abberufung des Botschafters der Ukraine in Berlin, Andrij Melnyk, längst überfällig.

Nun ist es also geschehen. Melnyk hat sein Konto überzogen. Den Anstoß gab nicht sein anmaßendes Auftreten gegenüber der Bundesregierung, sondern seine Lobhudelei gegenüber einem Mann, den die Überlebenden des Holocaust als Beteiligten am Massenmord an den europäischen Juden in Erinnerung haben – Stepan Bandera, den Anführer jener nationalistisch gesinnten Ukrainer, die Nazideutschland unterstützt haben.

Aus den USA dürfte vermutlich der Wink an die Adresse des ukrainischen Präsidenten Selenskij gekommen sein, sich Melnyks als Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland zu entledigen. Seine Abberufung war keine ilsolierte Aktion. Zur selben Zeit wurden auch die ukrainischen Botschafter in Norwegen, Tschechien, Ungarn und Indien abgelöst.

Ungeachtet der Tatsache, dass die von Bandera angeführten Organisationen Zehntausende Polen und Juden ermodet haben, bezeichnete Melnyk ihn in einem Interview als „Freiheitskämpfer“. Bereits ein Jahr vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion stellten sich nationalistisch gesinnte Ukrainer für eine Spezialeinheit zur Verfügung, die unter dem Namen „Bataillon Nachtigall“ zu trauriger Berühmtheit gelangte.

Aufgestellt wurde die Einheit von der Auslandsabwehr im Oberkommando der Wehrmacht. Zusammen mit deutschen Soldaten rückte die Einheit kampflos in die Stadt Lemberg ein, wo noch am selben Tag ein Pogrom stattfand, dem nahezu die gesamte Intelligenz der Stadt zum Opfer fiel. So geschehen am 30. Juni 1941. Angeführt wurde das „Bataillon Nachtigall“ unter anderem von Theodor Obrrländer, einem Ostexperten der Nazipartei, der später der Bundesregierung unter Konrad Adenauer als Vertriebenenminister angehörte.

Ich veröffentlichte darüber am 26. September 1959 einen Artikel in der antifaschistischern Wochenzeitung „DIE TAT“. Ein halbes Jahr später schrieb die Schweizer Zeitung „Der Bund“: „Es fing damit an, dass das wöchentlich erscheinende Organ der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes behauptete, Theodor Oberländer stehe unter dem  Verdacht, im letzten Weltkrieg an Massenmorden in Lemberg beteiligt gewesen zu sein.“

Der Minister erwirkte die Beschlagnahme der gesamten Auflage und löste damit eine Lawine von Veröffentlichungen aus, die ihn ein halbes Jahr später zum Rücktritt zwang. Der gerichtliche Streit endete 1973  mit der  Festsetzung eines Schmerzensgeldes für Theodor Oberländer in Höhe von 15.000 Mark. Im öffentlichen Bewusstsein spielt die Affäre Oberländer keine Rolle. In Lemberg (ukrainisch Lwiw) wird Bandera mit einem riesigen Denkmal geehrt.  Insgesamt wurden seit der Unabhängigkeits-Erklärung der Ukraine 46 Denkmäler und 14 Gedenktafeln zu Ehren von Stepan Bandera errichtet.

Die israelische Botschaft in Berlin hatte dem geschassten Diplomaten „ein Verzerrung der historischen Tatsachen, eine Verharmlosung des Holocaust und eine Beleidigung derer, die von Banderas Leuten ermordet wurden“ vorgeworfen. Melnyk rechtfertigte sich mit den Worten, er habe den Holocaust stets auf das schärfste verurteilt. Das Wort vom „Freiheitskämpfer“ nahm er nicht zurück.

Foto:
©mdr.de