YoutubeafVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 912

Redaktion

Berlin (Weltexpresso)  - Noch immer warten rund 2.300 gefährdete afghanische Staatsangehörige in Pakistan auf ihr Visum und ihre Einreise nach Deutschland. Ihnen wurden u.a. im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms verbindliche Zusagen gemacht. Ein aktueller Beschluss des VG Berlin bestätigt nun: Bereits erteilte Aufnahmezusagen sind rechtsverbindliche Verwaltungsakte.


Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag alle humanitären Aufnahmeprogramme, so auch das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP) für besonders gefährdete Personen „soweit wie möglich“ beenden. Derzeit wird die Umsetzung dieses Vorhabens im Hinblick auf die Aufnahmeverfahren aus Afghanistan geprüft, bis dahin sind die Einreisen ausgesetzt (Drs. 21/492 vom 13.06.2025).

Zur aktuellen Lage afghanischer Staatsangehöriger in Pakistan

Derzeit befinden sich noch 2.351 afghanische Staatsangehörige mit einer Aufnahmezusage aus den verschiedenen Aufnahmeprogrammen in Pakistan und warten seit etlichen Monaten auf ihre Ausreise nach Deutschland. Hierzu zählen 286 Personen aus dem Ortskräfteverfahren, 69 Personen über die Menschenrechtsliste, 752 Personen über das Überbrückungsprogramm sowie 1.244 über das BAP Afghanistan (BMI, Stand 23. Juni 2025). Sie leben in Pakistan unter unsicheren Bedingungen und in akuter Gefahr. Ihnen drohen Festnahmen und Abschiebungen nach Afghanistan durch die pakistanischen Behörden und in Afghanistan insbesondere Misshandlungen und Tötungen durch die Taliban.

Dies bestätigte auch Richard Bennett, UN-Sonderberichterstatter für Afghanistan, in einem kürzlich stattgefundenen Austausch am 10. Juli 2025 mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, u.a. auch mit dem Paritätischen Gesamtverband. Afghanische Staatsangehörige seien in Pakistan, aber auch im Iran aktuell nicht sicher und würden massiv diskriminiert. Viele Menschen lebten unter äußerst schwierigen Bedingungen, häufig ohne Zugang zu grundlegenden Menschenrechten und ohne jegliche Unterstützung. Zudem gäbe es kaum noch Hilfsstrukturen für Afghan*innen. Der Zugang zu humanitärer Hilfe in Pakistan z.B. sei extrem schwierig vor dem Hintergrund der rigorosen Maßnahmen und drohenden Abschiebungen. Die Situation in Afghanistan ist seit der Machtübernahme der Taliban weiterhin katastrophal und insbesondere für Frauen eine der schlimmsten weltweit.

Rechtsverbindlichkeit von Aufnahmezusagen bestätigt

Zuletzt wurde jedoch kontrovers in der Koalition über die Frage diskutiert, ob diese Aufnahmezusagen auch rechtlich zu einer Aufnahme verpflichten. Der Paritätische Gesamtverband hat in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass humanitäre Aufnahmeprogramme wie das BAP fortgesetzt und ausgebaut werden müssen. Zuletzt hatte auch Bundesaußenminister Johann Wadephul Anfang Juni 2025 betont, dass rechtlich verbindlich Aufnahmezusagen „selbstverständlich“ eingehalten würden. Doch bis heute ist völlig unklar, ob und wann die Betroffenen mit einem Visum und einer Einreise rechnen können.

Nun hat das Verwaltungsgericht Berlin mit Beschluss vom 7. Juli 2025 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entschieden, dass einer afghanischen Staatsangehörigen sowie ihren Familienangehörigen Visa zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu erteilen sind. Den betroffenen Personen waren im Rahmen des BAP Afghanistan Aufnahmezusagen nach § 23 Abs. 2 AufenthG erteilt worden.

Zwar könne die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich bestimmen, ob und ggf. unter welchen Bedingungen sie das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan fortführen oder beenden möchte. Auch darf die Bundesregierung während dieses Entscheidungsprozesses von der Erteilung neuer Aufnahmezusagen absehen. Jedoch gilt für bereits erteilte, bestandskräftige, nicht widerrufene Aufnahmebescheide: An diese hat sich die Bundesregierung rechtlich zu Aufnahmen gebunden. Diese rechtliche Verpflichtung besteht fort – und kann nicht dadurch aufgehoben werden, dass derzeit über eine mögliche Beendigung des Programms beraten wird.

Aus Sicht des Paritätischen Gesamtverbandswird damit deutlich: Die Umsetzung der Aufnahmezusagen ist nicht nur eine Frage der Humanität, sondern auch eine rechtliche Verpflichtung.

Es handelt sich um den ersten Fall dieser Art, über den bislang eine gerichtliche Entscheidung ergangen ist. Der Beschluss wird rechtskräftig, sofern keine Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt wird. Der Beschluss könnte wegweisend für weitere Verfahren sein: Aktuell sind etwa 40 Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin anhängig. Ziel ist es, die Erteilung von Visa und die Einreise für Personen mit einer gültigen Aufnahmezusage in Pakistan durchzusetzen.

Jetzt muss die Bundesregierung umgehend handeln, um zu verhindern, dass in den kommenden Wochen Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden, wo ihnen höchst wahrscheinlich tiefgreifende Menschenrechtsverletzungen bevorstehen.

Menschen aus Afghanistan trotz erteilter Aufnahmezusagen kein Visum auszustellen, könnte darüber hinaus auch strafrechtlich relevant werden. Dies zeigt ein aktuelles von PRO ASYL und dem Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte e.V. in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten vom 08. Juli 2025: Wenn gefährdete Afghan*innen, die von Deutschland bereits eine Aufnahmezusage erhalten haben, aus Pakistan nach Afghanistan abgeschoben werden, könnten sich die Verantwortlichen der deutschen Bundesregierung strafbar machen. Vorzuwerfen wäre ihnen vor allem, dass sie die Abschiebungen nicht verhindert haben – obwohl sie es hätten tun können. Dabei war absehbar, dass den betroffenen Menschen schwerste Menschenrechtsverletzungen drohen – von Folter und Misshandlungen bis hin zu sexualisierter Gewalt und Tötungen.

Das Rechtsgutachten bietet neben der juristischen Abhandlung auch eine aktuelle Informationssammlung zur Situation gefährdeter Personen in Afghanistan.

Foto:
©YouTube