Veröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 970
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Am heutigen Tag findet im Bundestag die erste Lesung des Umsetzungsgesetzes der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) statt. Der Paritätische weist in diesem Zusammenhang auf drastische Verschärfungen für Schutzsuchende hin und fordert die Abgeordneten auf, Verbesserungen im Sinne eines fairen Asylverfahrens sowie humanen Aufnahmebedingungen zu beschließen.
Gegenstand der Lesung ist der Regierungsentwurf zur GEAS-Umsetzung, der aus Sicht des Paritätischen weiterhin eine Vielzahl von Maßnahmen vorsieht, die gravierende Rechtseinschränkungen für die Betroffenen bedeuten und durch EU-Recht nicht zwingend vorgegeben sind. Der Verband gab bereits zum Referentenentwurf eine kritische Stellungnahme ab (siehe die Verlinkung rechts). Die Abgeordneten des Bundestags müssen das parlamentarische Verfahren nutzen, um ein humanes und rechtsstaatliche Asylverfahren zu schaffen, in dem die Prüfung eines Schutzanspruchs und nicht Abschreckung und Inhaftierung im Mittelpunkt stehen.
Im Folgenden weist der Paritätische auf aus seiner Sicht besonders problematische Aspekte des Gesetzesentwurfs hin:
Aufnahmeeinrichtungen für Verfahren bei Sekundärmigration
Zukünftig soll es spezielle Aufnahmeeinrichtungen für Schutzsuchende geben, die sich nicht in dem für sie zuständigen Mitgliedsstaat aufhalten. Das dürfte den größten Teil derjenigen betreffen, die über die Binnengrenze nach Deutschland kommen und einen Asylantrag stellen. Kennzeichnend für diese Einrichtungen sind längere Wohnverpflichtungen und die Möglichkeit des Verhängens besonders gravierender Formen von Bewegungseinschränkungen, bei denen Personen die Aufnahmeeinrichtung nicht verlassen dürfen.
Der Paritätische spricht sich klar gegen die Schaffung dieser neuen Aufnahmeeinrichtungen sowie die Einführung von Bewegungseinschränkungen aus. Diese dürften sich besonders negativ auf den psychischen und körperlichen Zustand der Betroffenen auswirken und verhindern Ankommen und Integration in Deutschland. In jedem Fall muss jedoch der Zugang zu Rechtsberatung und -auskunft sowie zur Feststellung und Versorgung besonderer Schutzbedarfe gewährleistet werden.
Asylgrenzverfahren
Mit der GEAS-Reform wurden neue Asylgrenzverfahren eingeführt, die innerhalb von 3 Monaten abgeschlossen sein müssen und für deren Dauer eine „Fiktion der Nicht-Einreise“ gilt. Um dies umzusetzen, werden Personen in geschlossenen Einrichtungen festgehalten, aus denen eine Einreise nach Deutschland nicht möglich sein wird. Aus Sicht des Paritätischen konstituieren diese Verfahren de facto Haft. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird keine Einschränkung dieser Verfahren auf die durch EU-Recht zwingend vorgegebenen Fälle vorgenommen. Aus Sicht des Paritätischen sollte der Bundestag eine solche Einschränkung vornehmen.
Haft
Im Gesetzesentwurf sind zahlreiche Formen von Haft normiert, unter anderem eine „Asylverfahrenshaft“ oder Haft in den neuen Überprüfungsverfahren an den Außengrenzen sowie im Inland. Die Anwendung dieser Regelungen ist nicht zwingend durch EU-Recht vorgeschrieben. Der Paritätische plädiert dafür, jegliche Formen von Haft im Asylverfahren gesetzlich auszuschließen, da sie mit gravierenden Rechtseingriffen und negativen Folgen für die Betroffenen einhergehen.
Vulnerable Personen und Kinder
Ein besonderes Anliegen ist dem Paritätischen auch die Situation von vulnerablen Personen und insbesondere Kindern. Von entscheidender Bedeutung sind hierbei gute Verfahren zur Identifizierung von Schutzbedarfen und deren Berücksichtigung im Rahmen der Unterbringung. Der Paritätische spricht sich in diesem Kontext für eine gesetzliche Festlegung aus, dass die Durchführung von Vulnerabilitätsprüfungen und Gesundheitskontrollen stets durch geschultes Personal zu erfolgen hat. Darüber hinaus bedarf es einem bundesweit einheitlichen, systematischen und flächendeckenden Verfahren zur Identifizierung von Schutzbedarfen. Bewegungseinschränkungen müssen so ausgestaltet werden, dass sie die Feststellung und Versorgung von Schutzbedarfen nicht verhindern.
Zur besonderen Situation von Kindern hat der Paritätische gemeinsam mit anderen Organisationen ein Gutachten zu kinderrechtlichen Aspekten der GEAS-Reform in Auftrag gegeben und ein Positionspapier mit zehn zentralen Forderungen erstellt (siehe die Verlinkungen rechts). Hierzu zählt u.a. der Ausschluss von Haft und haftähnlichen Bedingungen für Kinder sowie die verbindliche Identifizierung von Schutzbedarfen und eine kindgerechte Unterbringung. Hierbei braucht es auch eine Absenkung der Höchstverweildauer in Erstaufnahmeeinrichtungen. Bei unbegleiteten Minderjährigen muss die Erstzuständigkeit der Jugendämter gesetzlich festgelegt werden und die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates für das Asylverfahren nur dann gelten, wenn diese nachweislich dem Kindeswohl dient. Schnell- und Grenzverfahren sollen im Falle von Kindern nicht durchgeführt und das Familienasyl beibehalten werden, um die Familieneinheit zu wahren.
Asylbewerberleistungsgesetz
Geplant sind darüber hinaus auch verschiedene Verschärfungen im Asylbewerberleistungsgesetz, darunter Sanktionen bei ausfälligem Verhalten in der Aufnahmeeinrichtung, beim Verstoß gegen Bewegungseinschränkungen oder in verschiedenen Stadien des Verfahrens, insbesondere bei ablehnenden Bescheiden. Auch der von zahlreichen Gerichten als rechtswidrig eingestufte Leistungsausschluss bei Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaats bleibt erhalten.
Die positive Regelung, minderjährigen Kindern eine Gesundheitsversorgung im Umfang der Regelsysteme zu gewähren, wird nach wie vor auf Kinder im Asylverfahren begrenzt. Die Regelung sollte aus Sicht des Verbandes jedoch für alle Kinder im AsylbLG-Bezug gelten, wie es u.a. auch die UN-Kinderrechtskonvention vorschreibt.
Arbeitsverbote
Im Gesetzesentwurf werden die geltenden Arbeitsverbote für bestimmte Gruppen zeitlich verkürzt. Von einer allgemeinen Reduzierung der Dauer des Arbeitsverbots, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, kann jedoch kaum die Rede sein. In der Praxis werden sich weiterhin viele Asylsuchende lange ohne Arbeitserlaubnis in Deutschland aufhalten. Zudem drohen nun bspw. zukünftig nachträgliche Arbeitsverbote im Klageverfahren, auch wenn während des Asylverfahrens gearbeitet werden durfte.
Der Paritätische hat sich seit je her gegen Arbeitsverbote ausgesprochen. Sie hindern Ankommen und Integration, fördern Frustration und psychische Belastung und sind überdies angesichts des Fach- und Arbeitskräftemangels auch gesellschaftlich nicht zielführend. Durch die nun vorgesehenen Änderungen dürften Arbeitgeber angesichts der Unsicherheit beim Fortbestehen der Arbeitserlaubnis zusätzlich von einer Anstellung abgeschreckt werden.
Dokumente zum Download
POSITIONSPAPIER_KR_GEAS_SEPTEMBER_2025-1.pdf (323 KB)
Weiterführende Links
Gutachten zu kinderrechtlichen Aspekten der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
Paritätische Stellungnahme zu den Referentenentwürfen zur GEAS-Reform
Foto:
©