AZAV WissenVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 1006

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Nach dem Willen der Bundesregierung sollen zentrale Elemente der Bürgergeldreform wieder rückgängig gemacht werden. Dazu hat das zuständige Bundesministerium einen Referentenentwurf zur Änderung insbesondere des SGB II vorgelegt. Der Paritätische hat zu dem Reformvorhaben ausführlich und kritisch Stellung genommen. Die Reform begrenzt soziale Rechte, belastet einseitig Leistungsberechtigte und nimmt erhebliche soziale Folgekosten in Kauf. Eine positive Perspektive für mehr Unterstützung und nachhaltige Beschäftigungspolitik fehlt hingegen weitgehend.


Der Paritätische hat zu dem Referentenentwurf umfassend Stellung bezogen. Die Gesamtbewertung wird eingangs wie folgt zusammengefasst:

Der Paritätische erkennt und kritisiert im vorliegenden Referentenentwurf massive Verschärfungen zulasten der Leistungsberechtigten bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II. Der vorliegende Entwurf versteht sich als Abschaffung der Bürgergeldreform. Dies wird durch die Namensänderungen symbolisch zum Ausdruck gebracht. 

Die Bürgergeldreform hat im Grundsatz die richtigen Ziele verfolgt. Respekt im Umgang und eine Kooperation auf Augenhöhe mit den Leistungsberechtigten durch die Jobcenter sowie die Ausrichtung der Arbeitsförderung auf eine nachhaltige Qualifizierung und Integration in Erwerbsarbeit sind unverändert sinnvolle Perspektiven. Der Paritätische Gesamtverband hat die Bürgergeldreform kritisiert, weil die Änderungen noch nicht ausreichend waren, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Insbesondere fehlte eine finanzielle Untersetzung bei der Arbeitsförderung und eine strukturelle Anpassung bei den Regelleistungen.  

Die vorgelegte Reform nimmt die Fortschritte der Bürgergeldreform zurück. Im Kern fokussiert der Gesetzesentwurf auf die Erhöhung von Druck und Auflagen für die Leistungsberechtigten. Damit geht auch eine Schuldzuweisung an die Betroffenen einher. Die gesellschaftliche Wirkung ist eine verschärfte Stigmatisierung der Leistungsberechtigten. Eine Perspektive für mehr Unterstützung und nachhaltige Beschäftigungspolitik fehlt hingegen.  

Der Paritätische Gesamtverband kritisiert am Entwurf insbesondere:  

  • Die Abschaffung der Karenzzeit und Reduktion der Freibeträge bei Vermögen und 
  • die Verschärfungen der Sanktionen bei Meldeauflagen und Pflichtverletzungen: Zwar ist die Stärkung der Mitwirkung ein geteiltes Ziel, die vorgeschlagenen Maßnahmen bestehen aber im Kern aus einer massiven Verschärfung von Sanktionen. Möglichkeiten der kompletten Leistungseinstellung werden geschaffen. Diese Änderungen nehmen erhebliche soziale Verwerfungen bis hin zu Wohnungslosigkeit in Kauf. Dies ist völlig unverhältnismäßig, normativ nicht zu rechtfertigen und – wie im Folgenden ausführlich begründet – auch funktional nicht zielführend.  
  • Ein dogmatisches Verständnis von Vermittlungsvorrang: Die vorgesehene schnelle Vermittlung in irgendeine Arbeit um jeden Preis wird zu Lasten der nachhaltigen Arbeitsförderung durch Qualifizierung und Weiterbildung gehen. 
  • Verschlechterungen bei den Kosten der Unterkunft: Das strukturelle Marktversagen beim Grundrecht auf Wohnen wird durch die Vorschläge auf die Leistungsberechtigten abgewälzt. Es bedarf der Begrenzungen der Mietpreise und des Einsatzes gegen Mietwucher für alle Mieter*innen statt Begrenzung der Mietkostenerstattungen allein für SGB II-Leistungsberechtigte. Die vorgeschlagenen Instrumente in dem Referentenentwurf schwächen im Ergebnis die Marktposition der Betroffenen. Sie werden zukünftig noch schlechtere Chancen auf dem Wohnungsmarkt haben und noch häufiger Wohnkosten aus dem Regelbedarf begleichen müssen. Infolgedessen drohen Mietschuldenspiralen, Zwangsräumungen und Wohnungslosigkeit. 
  • Die Änderung der Zumutbarkeitskriterien: Die neuen Zumutbarkeitsregeln fügen sich in das allgemeine Bild der Verschärfung der Auflagen für die Leistungsberechtigten. Insbesondere die regelhafte Absenkung der Erwerbsobliegenheit für Erziehende nach Vollendung des ersten Lebensjahrs des Kindes ist abzulehnen.  

Die Reform begrenzt soziale Rechte und belastet einseitig die Leistungsberechtigten. Die Bundesregierung scheint zudem selbst keine positiven Beschäftigungseffekte aufgrund der Reform zu erwarten. In den Abschnitten zu den fiskalischen Auswirkungen fehlen jegliche Hinweise auf Einsparungen durch eine verbesserte Vermittlung in Arbeit. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden für 2028 insgesamt Minderausgaben in Höhe von 193 Millionen Euro erwartet, die sich wie folgt zusammensetzen: 75 Millionen Euro aufgrund der restriktiveren Regelungen zu den Vermögen sowie jeweils ca. 60 Millionen an Einsparungen aufgrund von Sanktionen und bei den Wohnkosten. Den Einsparungen bei den Wohnkosten stehen 33 Millionen Euro Mehrausgaben für die Administrationen der Wohnkosten gegenüber. Somit wird hier mit Einsparungen bei den Leistungsberechtigten der Aufbau eines bürokratischen Kontrollapparates finanziert. 

Allein die Namensänderung kostet den öffentlichen Haushalt 5 Millionen Euro. In der Summe sind es minimale Einsparungen in den Jahren 2026 und 2027 (zweistellige Millionenträge), die in den Folgejahren noch geringer veranschlagt werden. 

Der vorliegende Referentenentwurf nimmt auch mehrere Weichenstellungen im SGB III vor: Sie betreffen eine wirksame Unterstützung und Beratung junger Menschen im Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf sowie eine starke Kooperation der Rechtskreise in den Jugendberufsagenturen. Der Ausbau der Maßnahmen und die Kooperation mit anderen Rechtskreisen sollten die Situation junger Menschen insgesamt verbessern. Dabei ist wichtig zu bekräftigen, dass die grundsätzliche Erweiterung des Auftrags der Bundesagentur für Arbeit und infolgedessen der Agenturen für Arbeit nicht die bestehende Beratung, Betreuung und Unterstützung junger Menschen durch die Jugendsozialarbeit und andere Rechtskreise verdrängen oder ersetzen darf. Sie ist als Ergänzung zu verstehen.  

Neben der Stellungnahme fügen wir den Referentenentwurf sowie eine Synopse der Änderungen im SGB II an, die die Änderungen des Status quo durch den Referentenentwurf leichter erkennbar machen.

Dokumente zum Download

Stellungnahme SGB II Reform (509 KB)

Referentenentwurf 13. SGB II-ÄndG (1 MB)

Synopse (647 KB)

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