armutVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 1026

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Die neue Paritätische Wohnarmutsstudie zeigt klar: Wohnkosten sind einer der entscheidenden Treiber sozialer Ungleichheit in Deutschland. 5,4 Millionen Menschen geraten allein durch die Wohnkosten unter die Armutsgrenze – ein Befund, den die bisherige Sozial- und Armutsforschung häufig unterschätzt hat. Damit sind nicht 13 Millionen, sondern 18,4 Millionen Menschen von Armut betroffen.



Wohnkosten als zentraler Treiber sozialer Ungleichheit

Die soziale Ungleichheit in Deutschland verschärft sich zunehmend – und der Wohnungsmarkt spielt dabei eine zentrale Rolle. Traditionell galt die Empfehlung, höchstens ein Drittel des Einkommens für die Miete aufzuwenden. Doch diese Faustregel ist für viele Haushalte längst nicht mehr erreichbar. Immer mehr Menschen müssen über 40 oder gar 50 Prozent ihres Einkommens für Wohnkosten ausgeben. Ursachen sind ein angespannter Wohnungsmarkt, fehlende bezahlbare Alternativen und Mieten, die vielerorts deutlich schneller steigen als die Einkommen. Selbst die Suche nach kleineren Wohnungen führt selten zu einer Entlastung, da Neuvermietungsmieten erheblich über Bestandsmieten liegen.

Wohnarmut: Ein neuer Blick auf unsichtbare Armut

Die Paritätische Forschungsstelle untersucht in ihrem aktuellen Bericht, in welchem Ausmaß Wohnkosten Haushalte in Armut bringen. Hierfür wurde die wohnkostenbereinigte Armutsquote – kurz: Wohnarmut – berechnet. Dabei werden die verfügbaren Einkommen um die tatsächlichen Wohnkosten bereinigt und eine spezielle Wohnarmutsgrenze festgelegt. Diese Methode macht sichtbar, was in herkömmlichen Armutsstatistiken unsichtbar bleibt: Wohnkosten treiben Millionen Menschen zusätzlich in Armut.

Zentrale Ergebnisse: 5,4 Millionen Menschen mehr gelten als arm

Die Analyse zeigt ein bislang stark unterschätztes Ausmaß der Armut: 5,4 Millionen Menschen gelten zusätzlich als arm, wenn Wohnkosten berücksichtigt werden. Damit leben insgesamt 18,4 Millionen Menschen – also 22,3 Prozent der Bevölkerung – in Deutschland in Wohnarmut. Viele Menschen leben dadurch unter sozial belastenden Bedingungen, mit negativen Folgen für ihre gesellschaftliche Teilhabe, Gesundheit und ökonomische Entwicklung. Der Wohnungsmarkt entwickelt sich damit zu einem systemischen Risiko für soziale Stabilität.

Die Wohnarmutsquoten liegen in allen Bundesländern über den konventionellen Armutsquoten– ein deutlicher Hinweis darauf, dass Wohnkosten bundesweit ein zentraler Armutsverstärker sind. Besonders groß ist der Abstand in Hamburg, dem Saarland und Berlin, wo die Differenz acht bis zehn Prozentpunkte beträgt. Stark betroffen sind zudem bestimmte Bevölkerungsgruppen: Unter jungen Erwachsenen (18 bis unter 25 Jahren) liegt die Wohnarmutsquote bei 31,2 Prozent, bei älteren Menschen ab 65 Jahren bei 28,8 Prozent.

Ein-Personen-Haushalte sind mit einer Wohnarmutsquote von 40 Prozent besonders belastet und weisen einen Abstand von 11 Prozentpunkten zur konventionellen Armutsquote auf. Hohe Wohnkosten bringen hier besonders viele Menschen zusätzlich in Armut – strukturell bedingt durch allein zu tragende Fixkosten und überdurchschnittlich teure kleine Wohnungen. Auch Familienformen sind stark betroffen: Paarfamilien mit drei oder mehr Kindern erreichen eine Wohnarmutsquote von 31,2 Prozent, und bei Alleinerziehenden liegt sie mit 40,1 Prozent sogar noch höher – nahezu jede zweite alleinerziehende Familie lebt damit in wohnarmutsverschärften Bedingungen.

Politische Konsequenzen: Eine neue Wohnungspolitik ist notwendig

Um Wohnarmut nachhaltig zu bekämpfen, braucht es eine langfristig angelegte, sozial orientierte Wohnungspolitik. Der Paritätische zeigt in seiner Wohnarmutsstudie zentrale Stellschrauben auf: Entscheidend sind deutlich höhere Investitionen in dauerhaft sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau sowie ein wirksames Mietrecht, das Schutzlücken konsequent schließt.

Dokumente zum Download

Die Miete schluckt zunehmend größere Teile des Einkommens. (2 MB)

Foto:
©Diakonie Rosenheim