KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Januar 2014, Teil 1

 

Elisabeth Römer 



Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Doch, das finden wir richtig, daß John le Carré mit seinem absolut schrägen Roman, der den englischen Geheimdienst als mehr als unfähig, ja geradezu unbritisch entlarvt, auf Platz 1 steht. Wir hatten sehr viel darüber geschrieben, was Sie bitte in unseren letztmonatigen Kommentierungen nachlesen können.

 

Wichtig war uns dabei unsere Gesinnungswandel, denn über viele Seite mochten wir diesen Kriminal- ach was, Spionageroman erst einmal nicht. Aber so geht das manchmal im Leben, was man zuerst ablehnt, mag man dann besonders, was immer Gründe hat.

 

Tobias Gohlis, Jury- Vorsitzender und so etwas wie der BRD-Papst der Krimiliteratur würdigt den britischen Autor so: „1963 – vor 50 Jahren – drehte John le Carré mit dem Spion, der aus der Kälte kam die Blickrichtung der Spionageliteratur. Nicht mehr der äußere Feind, den es zu bekämpfen galt, stand seitdem im Zentrum, sondern die moralische Rechtfertigung des geheimen Handelns: Der größere, gefährlichere und problematische Feind befand sich in den eigenen Reihen. Dieser Perspektive blieb der 1931 geborene Ex-Geheimdienstler auch nach dem Ende des kalten Krieges treu.

 

Nach einigen schwächeren Büchern bekam er mit dem sogenannten Krieg gegen den Terror wieder historischen Wind unter die Schriftstellerflügel und hat mit Marionetten und Verräter wie wir ein beachtliches Alterswerk vorgelegt. In Empfindliche Wahrheit, le Carrés 23. Roman, verwendet der inzwischen 82jährige seine Meisterschaft zu Intrige und indirekter Rede, um zu zeigen, wie die unterwürfige Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit Söldnern des globalen Sicherheitsbusiness zur Ermordung Unschuldiger, zu Aktionen hemmungsloser privater Bereicherung, zu ihrer nachfolgenden Deckung und Vertuschung zugunsten privater Strauchdiebe und letztlich zum Bankrott von Moral, staatlicher Autorität und wünschenswerter Sicherheit führen. Raffiniert geschrieben, intrigant geplottet, zutiefst pessimistisch.“

 

Das haben wir doch gerne zitiert, nachdem im Weltexpress mehrere übereinstimmende Rezension in den letzten Ausgaben nachzulesen sind. Übrigens war John le Carré mit diesem Buch als einziger der diesmaligen Bestenliste auch auf der JahresKrimiBestenliste!! Diesmal sind auf der Januarliste nur drei neue Titel, wir allerdings hatten noch nicht alle sieben alten Titel besprochen. Bei Lee Childs 61 Stunden war irgendwie der Wurm drinnen. Das Buch kam und kam nicht. Wie um uns zu verhöhnen, schickte es gerade heute die Post, aber das langt nicht, denn gelesen werden muß es auch. Deshalb zur nächsten KrimiBestenListe! Und wenn es nicht mehr darauf steht, kommt eine eigene Rezension. Versprochen.

 

Von den diesmal drei neuen Titeln, sind sogar zwei deutsche dabei, was schon fast sensationell ist und ein dänischer Krimi, den wir gerade lesen...Carré hatte ja Friedrich Ani mit M aus dem Droemer Verlag vom Thron gestoßen, was dieser aushält, den M steht nun auf dem 2. Platz, was auch ehrenwert ist und ist rundherum ein interessanter Roman, der mitten ins Zentrum unserer Wirklichkeit trifft, die die meisten von uns als unwirklich wahrnehmen, weil es schwerfällt, zuzugeben, daß es solche braunen Ewiggestrigen gibt, die man zudem – lebt man in anderen Kreisen – auch nicht wahrnimmt. Daß Ani auf der richtigen Seite steht und parallel zur gesellschaftlichen Wirklichkeit schreibt, kann man dem Münchner NSU-Prozeß entnehmen, den wir aber hier nicht aufwerten wollen, geschweige denn die Hauptangeklagte mit Riesenfoto – wie die Frankfurter Rundschau gerade getan – würdigen. Im Gegenteil.

 

Auf Platz 3 vorgerutscht ist vom siebten Rang IN DER NACHT von Dennis Lehane, bei Diogenes erschienen. Da kann man sich kaum entscheiden, ob das ein Krimi oder eine Liebesgeschichte ist, denn Emma Gould greift nicht nur in das Leben von Joe Coughlin ein, sondern besiedelt künftig gemeinsam mit diesem unser Bildgedächtnis. Schließlich gehört Leidenschaft und damit Lieben zu einem Krimi genuin dazu, denn nur in Schmuggel oder Drogen oder Wirtschaftskriminalität oder auch Spionage zu schwelgen, ohne Frauen und Liebe, ist ja langweilig. Finden wenigstens wir, die wir natürlich genauso ablehnen, daß Frauen das Schmiermittel wären, das Krimis zusammenhält! Denis Lehanes Roman ist auch für diejenigen gut geeignet, die sich aus Krimis nicht viel machen. Ja, auch die gibt es.

 

Auch die Nächstplazierten Martin Cruz Smith mit TATJANA, veröffentlicht von C. Bertelsmann, auf Platz 4 und Garry Dishers DIRTY OLD TOWN, bei Pulp Master, die ihre letztmonatigen Plätze tauschten, letzterer also jetzt auf dem 5. Rang, sind in den bisherigen Kommentierungen ausführlich besprochen worden bitte nachlesen, während wir nun zu den Neuen kommen, vorher aber noch feststellen, daß M von Friedrich Ani, DIRTY OLD TOWN von Garry Disher und 61 STUNDEN von Lee Child das dritte Mal dabei sind. Fortsetzung folgt.

 

P.S. Unser Titelbild ist der Abdruck des Hörbuchs von Hörbuch Hamburg, was wir sehr empfehlen können. Sehr oft kommen zeitgleich zu den Büchern auch die Hörbucher heraus, worauf wir aufmerksam machen werden, wenn wir davon wissen und sie gehört haben. Denn die Qualität eines Buches ist sehr oft von der Sprechleistung abhängig.

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste Januar 2014  

  

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(3)

John le Carré: Empfindliche Wahrheit

Aus dem Englischen von Sabine Roth

Ullstein, 400 S., 24,99 €

Gibraltar/London/Cornwall. Unverwechselbar der Sound, kristallklar der Blick: Mit 82 schreibt John le Carré tough wie je. Public-private-Partnership in puncto Sicherheit: Die  Unschuldigen enden als Kollateralschäden, die Aufrechten ohne Chance. Der Terror gedeiht.

2

2

(1)

Friedrich Ani: M

Droemer, 366 S., 19,99 €

München. Der Geliebte einer Lokaljournalistin ist verschwunden. Tabor Süden und seine Kollegen aus  der Detektei geraten in die Spinnennetze bayerischer Nazis. Ihre Recherche führt in einen Strudel der Vernichtung. Ungeheuer.

3

3

(7)

Dennis Lehane: In der Nacht

Aus dem Englischen von Sky Nonhoff

Diogenes, 592 S., 22,90 €

Boston/Ybor, Florida. Joe Coughlin kann keiner was. Denkt er. Dann fickt ihn Emma Gould, er landet im Knast, und wäre er nicht doch recht clever, hätte er es danach nicht zum  Alkoholschmugglerkönig gebracht. Prohibitions-Panorama: Gangster bauten die Nation mit.

4

4

(5)

Martin Cruz Smith: Tatjana

Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle

C. Bertelsmann, 320 S., 14,99 €

Kaliningrad/Moskau. Journalistin Tatjana wurde vom Dach gestürzt. Ihre Leiche ist weg. Arkadi Renko, Leitender Ermittler wie schon in Gorki Park, stöbert ganz rücksichtslos in Putins Gier- und Geierparadies Monströses auf.

5

5

(4)

Garry Disher: Dirty Old Town

Aus dem Englischen von Ango Laina u. Angelika Müller

Pulp Master, 332 S., 13,80 €

Melbourne. Erneut hat sich Profi-Verbrecher Wyatt mit Angebern und Gierschlünden eingelassen. Ein simpler Überfall auf einen Juwelier wird zum Kampf um Beute, Rache und eine starke Frau. Der hartgesottene Wyatt verblüfft durch Empfindsamkeit.

6

6

(2)

Lee Child: 61 Stunden

Aus dem Englischen von Wulf Bergner

Blanvalet, 448 S., 19,99 €

Gefängnisstadt Bolton, South Dakota. Schneesturm, tödliche Kälte. Jack Reacher beschützt eine Kronzeugin. Die lokale Polizei ist durch Ausbrecher abgelenkt. Ziel aller Umtriebe: ein geheimes Lager der Air Force. Bizarr, doppelbödig, hoher Suchtfaktor.

7

7

(-)

Ulrich Ritzel: Trotzkis Narr

btb, 462 S., 19,99 €

Berlin/Crammenow. Ein Bauamtbeamter erschossen, eine Managersgattin bespitzelt, Hauptstadt-Alltäglichkeiten. Privatdetektiv Berndorf gerät beiläufig ins politische Intrigengewirr Berlins: Immobilien und Verbrechen. Subtil erzählt, mit bösem Blick kalt serviert.

8

8

(-)

Zoë Beck: Brixton Hill

Heyne, 382 S., 8,99 €

London. Als Kollegin Kimmy in Panik aus dem Fenster springt, kriegt Emmas stabile Welt aus Facebook-Kontakten und SMS einen Knacks. Das, was ihr sicher schien, wird Instrument der Verfolgung: Social Media. No way out? Wahnsinn bricht durch, offline wie online.

9

9

(-)

Jesper Stein: Unruhe

Aus dem Dänischen von Patrick Zöller

KiWi, 478 S., 12,99 €

Kopenhagen 2007. Der Tote auf dem Friedhof ist als Autonomer drapiert. Er wurde erwürgt, als Straßenschlachten um ein Jugendzentrum tobten. Lokalreporter Jesper Stein schickt  mit Kommissar Steen einen kranken Mann zwischen die Fronten. Interessantes Debüt.

10

10

(8)

 

Jo  Nesbø: Koma

Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob

Ullstein, 624 S., 22,99 €

Oslo. Im zehnten Band des Harry-Hole-Epos erwacht ein Mann aus dem Koma. Und stirbt doch. Derweil mahnt ein fanatischer Mörder Polizei-Versagen an. Er kopiert ungelöste Mordfälle und killt die Ermittler, die sie verbockt haben. Überbös.

 

INFO:

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 9. Januar 2014 mit Tobias Gohlis gegen 8.10 Uhr im Nordwestradio Journal

sowie später in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter

http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

 

- in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 9. Januar 2014 und unter

www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.