KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Januar 2014, Teil 2 

 

Elisabeth Römer

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Tolles Buch, neu auf Rang 7:TROTZKIS NARR von Ulrich Ritzel, btb, das wir gleich ausführlich besprechen. Der Titel, über den man sich vielleicht erst einmal wundert, besteht völlig zu Recht. Denn auf der Linken gibt es auch so ewig Gestrige, die im Leben nicht gescheiter werden und sich Trotzkisten schimpfen, wie beleidigt wäre der in Mexiko von Stalinisten ermordete Trotzki über solche Narren, die in seinem Namen auftreten und lieber Morde zulassen, als die Polizei zu holen, weil die der Klassenfeind Nummer Eins bleiben.

 

Aber lassen wir auch hier Tobias Gohlis zu Wort kommen, der in diesem Monat die von ihm verantwortete KrimiZEITBestenliste darüberhinaus kommentiert. „In seinem zweiten Kriminalroman mit dem pensionierten Kommissar Berndorf, der sich in der Hauptstadt als Privatdetektiv tummelt, langt Ulrich Ritzel (73, Deutscher Krimipreis 2001 und 2010, Dauergast der KrimiZEIT-Bestenliste) tief in Geschichte und Korruptionssumpf. Wie ein Hund, auch wenn er alt ist, das Buddeln und Jagen nicht lassen kann, dehnt Hans Berndorf seinen Auftrag immer weiter aus. Eigentlich soll er nur herausfinden, wer die Managergattin und freie Journalistin Karen Andermatt überwacht. Am Ende hat er einen 20 Jahre alten Mord, paramilitärische, illegale Aktivitäten der Berliner Polizei und einen Bau- und Immobilienschwindel aufgedeckt. Neuerdings mit dabei: Ex-Beamtin und Detektiv-Kollegin Tamar Wegenast.“

 

Unglaublich, was hier geschieht und wie seltsam die alte Ordnung, von den Haupt- und den Nebenwidersprüchen vom Alttrotzkisten Brutus (!!) Finklin außer acht geschlagen wird, denn er läßt den Jungnazi Lutz Harlass – ja, wir sind einverstanden, daß der eigentlich kein Nazi ist, sondern ein Zukurzgekommener, der jeden wegballert, der ihm krumm kommt – ins Haus, päppelt ihn hoch, weil er erst einmal sehen will, wie er den gebrauchen kann, der eigentlich ihn gebrauchen will. Gut tun sich die beiden eh nicht. Dazu gleich mehr.

 

Denn die Hauptrolle spiet diese Karen Andermatt – sehr spezifisch die vielen Namen im Roman für die ausgesprochen umfangreiche Personenliste, die man aber gut auseinanderhalten kann und den ganzen Roman über beschäftigt ist, zu behalten, wer zu wem gehört, und wer gegen wen steht, was einem gut gelingt! Das ist einmal wirklich eine neue Frau im Krimigeschäft, die einerseits autark und selbstsicher erscheint, dann aber doch wieder – freiwillig? - das Spiel der Männer mitspielt. Richtig, um Erotik geht es auch, aber die ist in diesem Roman nur sehr schwer einzuordnen.

 

Auf jeden Fall gelingt es dem alten Haudegen Ulrich Ritzel seinem literarischen Ich, dem alten Haudegen Hans Berndorf eine so interessante Klientin unterzujubeln, daß diese den Roman über im Mittelpunkt steht und Berndorf nur als Ermittler auftritt und auch seine vielen privaten Dinge, die manchmal etwas nerven – wenigstens uns – nur in Form von einigen, zur Sache gehörenden Telefonaten mit seiner in den USA weilenden Gefährtin Professorin Barbara Stein auftreten, ja, bis er sie am Flughafen in die Arme schließt, aber das ist das Buch aus.

 

Also besagte Karen Andermatt wird überwacht und bemerkt dies und beauftragt Berndorf damit, herauszufinden, wer und warum dies tut. Man kann über das Buch Inhaltliches nur sehr schwer schreiben, ohne die Geschichte zu verraten, was aber das Lesen nicht fördert. Dabei fängt es schon mit den Mördern selber an. Nicht wer schießt, ist hier wichtig – na ja, wichtig bleibt es schon, aber der Leser weiß es halt - , sondern wer die Morde in Auftrag gibt, wobei sich schnell herausstellt, daß der Auftrag ein anderer war. Dennoch sind die Auftraggeber diejenigen, die der Leser mit Berndorf sucht, aber anders als dieser schon immer wieder Hinweise aufnimmt und eigentlich den Gesamtzusammenhang bald ahnt. Dennoch wird das Weiterlesen nicht langweilig,weil es verschiedene Personengruppen sind, die ihr Süppchen kochen und man erst einmal davon ausgehen kann, daß es hier denen an den Kragen geht, die in Großstädten zwischen den Belangen der Kommune und den eigenen Geschäften nicht unterscheiden können.

 

Wieso die Sauna so eine große Rolle in diesem Spiel ausmacht, wird bald klar. Man müßte schreiben, Männersauna, denn um eine gemischte geht es nicht, dort wären die leitenden Herren und ihre Zwischenträger nicht unter sich. Denn da – wo man dem nackten Mann nicht in die Tasche greifen kann – werden die mafiösen Geschäfte abgewickelt, mit dem Besuchsrussen als kleine Spitze. Beim Ausgang und Einsteigen in seinen Wagen wird dann das Exempel statuiert, aber wieso dieser Giselher Marx, hier der Strippenzieher ein Exkumpel vom treuen Alttrotzkisten Finklin ist, bleibt die Geschichte über schwer verständlich.

 

Also erstens war das Knie gemeint und nicht das Ableben dieses Marx', der überhaupt nicht marxistisch geschrieben wird, sondern Marcks heißt, was aber der Mörder nicht wissen kann, der seinen Namen nur mündliche erhielt. Genau auf diese Weise spielt in diesem Roman Ritzel mit allen anderen, was amüsant ist. Der Zusammenhang zwischen Marcks und Finklin wird dann dadurch aufrechterhalten, daß Finklin für Marcks literarische Texte zu Baugebieten schreibt, für die dieser Geldgeber sucht und sich Abgeschriebenes von Theodor Fontane über die Mark Brandenburg auch heute noch gut macht.

 

Nein, wir können die Zusammenhänge nicht einmal alle aufzählen, von der Frau Staatsanwältin, die Dagmar Wohlform-Kühn heißt angefangen (wir sagten es doch, die Namen!) und auch noch als Oberbürgermeisterin kandidiert, bis zu Windsheimer, Keith und Meusebachs, wobei ja auch Berndorfs Assistentin Tamar Wegenast eine Rolle spielt, die zudem mit Karen...ach, was, das erotische Hin und Her ist eher Nebensache und soll wohl einen Krimi würzen, dessen eigentliches Feld die Gemengelage zwischen Stadtpolitik, der Auftragsvergabe, den alten Seilschaften, einschließlich DDR-Mielke-Abteilung, aber auch der antikommunistischen Aufrüstung im alten West-Berlin ist. Und hierbei die Übersicht zu behalten, ist nicht nur dem Autor gelungen, sondern sie ist ihm so gelungen, daß auch der Leser sehr gut mitkommt, was man nicht ohne weiteres von Kriminalromanen erwarten kann, vor allem nicht von solchen, die über weite Zeiträume, Länder und Eiserne Vorhänge spielen. Ein Lesevergnügen. Fortsetzung folgt.

 

 

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste Januar 2014

 

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(3)

John le Carré: Empfindliche Wahrheit

Aus dem Englischen von Sabine Roth

Ullstein, 400 S., 24,99 €

Gibraltar/London/Cornwall. Unverwechselbar der Sound, kristallklar der Blick: Mit 82 schreibt John le Carré tough wie je. Public-private-Partnership in puncto Sicherheit: Die  Unschuldigen enden als Kollateralschäden, die Aufrechten ohne Chance. Der Terror gedeiht.

2

2

(1)

Friedrich Ani: M

Droemer, 366 S., 19,99 €

München. Der Geliebte einer Lokaljournalistin ist verschwunden. Labor Süden und seine Kollegen aus  der Detektei geraten in die Spinnennetze bayerischer Nazis. Ihre Recherche führt in einen Strudel der Vernichtung. Ungeheuer.

3

3

(7)

Dennis Lehane: In der Nacht

Aus dem Englischen von Sky Nonhoff

Diogenes, 592 S., 22,90 €

Boston/Ybor, Florida. Joe Coughlin kann keiner was. Denkt er. Dann fickt ihn Emma Gould, er landet im Knast, und wäre er nicht doch recht clever, hätte er es danach nicht zum  Alkoholschmugglerkönig gebracht. Prohibitions-Panorama: Gangster bauten die Nation mit.

4

4

(5)

Martin Cruz Smith: Tatjana

Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle

C. Bertelsmann, 320 S., 14,99 €

Kaliningrad/Moskau. Journalistin Tatjana wurde vom Dach gestürzt. Ihre Leiche ist weg. Arkadi Renko, Leitender Ermittler wie schon in Gorki Park, stöbert ganz rücksichtslos in Putins Gier- und Geierparadies Monströses auf.

5

5

(4)

Garry Disher: Dirty Old Town

Aus dem Englischen von Ango Laina u. Angelika Müller

Pulp Master, 332 S., 13,80 €

Melbourne. Erneut hat sich Profi-Verbrecher Wyatt mit Angebern und Gierschlünden eingelassen. Ein simpler Überfall auf einen Juwelier wird zum Kampf um Beute, Rache und eine starke Frau. Der hartgesottene Wyatt verblüfft durch Empfindsamkeit.

6

6

(2)

Lee Child: 61 Stunden

Aus dem Englischen von Wulf Bergner

Blanvalet, 448 S., 19,99 €

Gefängnisstadt Bolton, South Dakota. Schneesturm, tödliche Kälte. Jack Reacher beschützt eine Kronzeugin. Die lokale Polizei ist durch Ausbrecher abgelenkt. Ziel aller Umtriebe: ein geheimes Lager der Air Force. Bizarr, doppelbödig, hoher Suchtfaktor.

7

7

(-)

Ulrich Ritzel: Trotzkis Narr

btb, 462 S., 19,99 €

Berlin/Crammenow. Ein Bauamtbeamter erschossen, eine Managersgattin bespitzelt, Hauptstadt-Alltäglichkeiten. Privatdetektiv Berndorf gerät beiläufig ins politische Intrigengewirr Berlins: Immobilien und Verbrechen. Subtil erzählt, mit bösem Blick kalt serviert.

8

8

(-)

Zoë Beck: Brixton Hill

Heyne, 382 S., 8,99 €

London. Als Kollegin Kimmy in Panik aus dem Fenster springt, kriegt Emmas stabile Welt aus Facebook-Kontakten und SMS einen Knacks. Das, was ihr sicher schien, wird Instrument der Verfolgung: Social Media. No way out? Wahnsinn bricht durch, offline wie online.

9

9

(-)

Jesper Stein: Unruhe

Aus dem Dänischen von Patrick Zöller

KiWi, 478 S., 12,99 €

Kopenhagen 2007. Der Tote auf dem Friedhof ist als Autonomer drapiert. Er wurde erwürgt, als Straßenschlachten um ein Jugendzentrum tobten. Lokalreporter Jesper Stein schickt  mit Kommissar Steen einen kranken Mann zwischen die Fronten. Interessantes Debüt.

10

10

(8)

 

Jo  Nesbø: Koma

Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob

Ullstein, 624 S., 22,99 €

Oslo. Im zehnten Band des Harry-Hole-Epos erwacht ein Mann aus dem Koma. Und stirbt doch. Derweil mahnt ein fanatischer Mörder Polizei-Versagen an. Er kopiert ungelöste Mordfälle und killt die Ermittler, die sie verbockt haben. Überbös.

 

 

INFO:

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 9. Januar 2014 mit Tobias Gohlis gegen 8.10 Uhr im Nordwestradio Journal sowie später in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 9. Januar 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur

 



 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.

 

JahresBestenliste 2013

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2343-leichendieb-der-brasilianerin-patricia-melo-von-tropen-bei-klett-cotta-auf-platz-1