Theresa Prammer, WIENER TOTENLIEDER, Marion von Schröder Verlag und Hörbuch Hamburg, Interview mit der Verfasserin, Teil 3

 

Marion von Schröder

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Theresa Prammer wurde 1974 in Wien geboren. Sie hatte Engagements als Schauspielerin unter anderem am Burgtheater, den Festspielen Wunsiedel und an der Volksoper. Seit sieben Jahren arbeitet sie außerdem als Regisseurin. 2006 gründete sie mit ihrem Mann das Sommertheater "Komödienspiele Neulengbach". Theresa Prammer lebt abwechselnd in Wien und in Reichenau an der Rax.

 

Carlotta, Ihre Protagonistin, ist auf den ersten Blick eine klassische Anti-Heldin: beruflich gescheitert und mit Problemen beladen, von denen der Alkohol nur eins unter vielen ist. Alles lässig überspielt mit einem lockeren Mundwerk und Coolness. Doch hinter dieser unerschütterlich scheinenden Fassade steckt eine sensible und verletzliche junge Frau. Wer oder was hat Sie zu dieser Heldin inspiriert?

 

Meine Liebe zu Antihelden. Ich habe schon immer Menschen bewundert, die trotz ihres Scheiterns nicht aufgeben, jedes Mal wieder aufstehen und etwas wagen.

 

 

Was mögen Sie selbst an Carlotta?

 

Sie ist eine Kämpferin. Für mich ist sie eine wahre Heldin, denn sie kehrt an den Ort ihres größten Versagens zurück. Ihre Mutter, eine weltberühmte Operndiva, beging den schlimmsten Tabubruch, als sie mit Carlottas Verlobtem schlief. Sie begegnet ihm nun wieder bei den Proben und hält es aus, dass die alten Wunden erneut aufreißen. Ihr Verhältnis zu Männern ist seit dem erlebten Vertrauensbruch so zerstört, dass ihre Beziehungen über Sex nicht mehr hinausgehen. Carlotta ist wie ein Mosaik, das im Ursprung ein hübsches Bild war und dann in hunderte Scherben zerbrochen ist. Sie ist so tief verletzt, dass sie nicht in der Lage ist, das Ausgangsbild wieder herzustellen. Sie hat sowohl als Sängerin als auch als Polizeianwärterin versagt. Aber trotzdem gibt sie nicht auf.

 

 

Ihr zur Seite gestellt haben Sie Konrad Fürst, einen geschassten Polizeikommissar, der besessen ist von dem Ziel, seine Tochter zu finden, die vor über 20 Jahren verschwunden ist. Auch er ist alles andere als ein strahlender Held. Wie funktioniert dieses Paar zusammen?

 

Beide haben auf sehr unterschiedliche Art gelernt, ihr Leben zu meistern. Konrad haben die Tiefen seines Lebens ruhig und besonnen werden lassen. Er kocht zum Beispiel, wenn er nachts nicht schlafen kann, seit er nicht mehr trinkt. Lotta dagegen ist ein Temperament-bündel und greift lieber zur Flasche. Doch selbst sie bemerkt zu Beginn ihrer Beziehung, dass beide ein unausgesprochenes Verständnis füreinander verbindet: 'Wir Geheimnisträger erkennen einander'.

 

Im Laufe des Schreibens habe ich mich in dieses Gespann immer mehr verliebt. Darum war es auch mein größtes Vergnügen an ihren gemeinsamen Szenen zu arbeiten – besonders, wenn sie unter sich sind.

 

 

Warum haben Sie die Wiener Staatsoper als Schauplatz für eine Mordserie gewählt?

 

Ich habe mich im Roman absichtlich für die fiktive Bezeichnung „Wiener Oper“ entschieden und nicht Staatsoper, da ich in meiner Erzählung frei genug bleiben wollte, was die Gegebenheiten betrifft. Trotzdem spielt sich das Geschehen in einem der bedeutendsten deutschsprachigen Opernhäuser ab (was für mich als Wienerin einfach die Staatsoper sein muss, mögen mir Berlin, Dresden, München und Bayreuth verzeihen). Und die Wiener Oper ist viel mehr als ein Schauplatz, sie ist eine weitere Heldin, wenn man so will, die Mutter der Geschichte, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Mit dem Image dieser traditionsbewussten heiligen Hallen zu spielen, genau das ist es, was mich daran gereizt hat.

 

 

Wie haben Sie recherchiert? Konnten Sie aus Ihrem eigenen Erfahrungsfundus als Darstellerin an einer Oper schöpfen?

 

Ich kenne die Staatsoper als Besucherin und war auch schon im Haus unterwegs. In der Volksoper in Wien habe ich als Darstellerin in drei Operetten mitgespielt, mein Mann war ebenfalls dort beschäftigt, weshalb ich zu der Zeit etliche Vorstellungen, Generalproben, Feierlichkeiten, etc., in beiden Opernhäusern besucht habe. Außerdem war ich drei Monate mit einer Operettenproduktion in halb Europa auf Tournee an den verschiedensten Häusern, da lernt man einiges. Und die Zeit am Burg-, bzw. Akademietheater war für mich auch prägend.

 

Aus meinem eigenen Erfahrungsfundus habe ich aber trotzdem und absichtlich kaum geschöpft, denn erstens liebe ich es viel zu sehr, mir etwas auszudenken und zweitens habe ich alles Carlottas Perspektive untergeordnet, aus der die Geschichte erzählt wird. Sie ist eine, die am Nimbus ihrer weltberühmten Mutter und an dieser Institution gescheitert ist, weswegen ihr ein „neutraler“ Blick auf die Opernwelt nur sehr selten gelingt.

 

 

Eine Institution ist immer auch ein Mikrokosmos mit eigenen Bedingungen, Verhaltensregeln und Sanktionen. Was ist das Spezifische an einem Opernhaus?

 

Das wirklich Interessante an jedem Opernhaus oder Theater ist für mich die Spannweite zwischen dem, was auf und dem, was hinter der Bühne passiert. Die heilige Opernwelt bietet einen perfekten Schauplatz, um mit dieser Ambivalenz zu spielen. Frei nach dem Motto: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“ Und in meiner Wiener Oper glänzt halt sehr viel...

 

 

Wie Carlotta haben auch die meisten anderen Figuren ein Geheimnis in ihrer Biografie. Niemand ist nur das, was er auf den ersten Blick scheint. Kann man das wie ein untergründiges Motto des Romans lesen?

 

Auf jeden Fall! Die Geheimnisse, die Menschen mit sich herumtragen, haben mich schon immer fasziniert, ihre Themen, die oft viel mehr verraten als ihre Worte. Und für das Genre des Krimis ist es ideal, man findet im realen Leben ja oft genug bei Verbrechen dieses ungläubige Erstaunen: „Aber er war doch immer so nett und hilfsbereit“, wenn ein unauffälliger Nachbar als Mörder überführt wurde.

 

 

Die Geschichte spielt in der Geburtsstadt der Psychoanalyse. Reiner Zufall, dass es in Ihrem Roman auch um verdrängte Geheimnisse der Vergangenheit geht?

 

Wenn man wie ich in Wien lebt, kann man wahrscheinlich gar nicht anders, als in irgendeiner Weise davon infiziert zu werden. Aber ich glaube, noch mehr hat es mit meiner Schauspiel-ausbildung zu tun. Denn um eine Rolle spielen zu können, muss man in sie hineinkriechen, sie in ihrer Vielschichtigkeit begreifen und dazu gehört, unter anderem, auch alles Vergangene und Verdrängte.

 

 

Gibt es darüber hinaus etwas spezifisch Wienerisches an Ihrem Roman?

 

Das Morbide und das Sarkastische, beides Attribute, die sehr gut zu Wien passen. Und es gibt in Wiener Totenlieder noch etwas ganz typisch Wienerisches, ich nenne es mal die „Das sitzen wir aus“- Mentalität. Was sicher auch ein Aspekt der viel gepriesenen Wiener Gemütlichkeit ist, wenn man die positive Seite davon betrachtet. Und dann natürlich der Wiener Schmäh, die Fähigkeit, etwas zu sagen, dabei aber das Gegenteil zu meinen – und das im Idealfall auch noch auf sehr charmante Weise.

 

 

Was war zuerst da: der Schauplatz oder das Genre? Anders gefragt: Wollten Sie von Anfang an einen Krimi schreiben?

 

Der Krimi war zuerst da. Ich habe immer so viele Ideen, dass ich oft gar nicht weiß, für welche ich mich entscheiden soll. Der Krimi bietet mir von vorherein eine wunderbare Struktur, an die ich mich halten kann. Es gibt die Opfer und den Täter – und am Schluss muss man wissen, wer es war. Dazwischen ist genügend Platz, um den Figuren auf ihren Wegen zu folgen.

 

 

Es deuten einige offene Fäden darauf hin, dass weitere Romane mit Carlotta Fiore folgen werden. Wie weit haben Sie die Geschichte jetzt schon im Kopf?

 

Das ist für mich nicht leicht zu beantworten, da ich jemand bin, der gerne plant, verwirft, neu plant und wieder verwirft. Denn die Figuren haben ja ihr Eigenleben, sie entwickeln sich während des Schreibens und das gestehe ich ihnen auch zu – und meine Lektorin zum Glück auch. So viel sei gesagt: Ich bin bei der Hälfte des zweiten Teils und es wird für Carlotta nicht leichter. Insgesamt wird Carlotta Fiore drei Mal ermitteln, so ist es jedenfalls bisher geplant.

 

 

INFO:

 

Theresa Prammer,Wiener Totenlieder, Marion von Schröder Verlag, Erscheinungsdatum 6.3. 2015, vorverlegt auf den 20. Februar 2015

 

Theresa Prammer, Wiener Totenlieder, gekürzte Fassung, gelesen von Vanida Karun, Hörbuch Hamburg . Erscheinungsdatum Februar 2015