David Grossman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“, Hörbuch Hamburg

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Den israelischen Schriftsteller David Grossman muß man in Deutschland nicht mehr vorstellen, weder literarisch, noch als Friedensaktivist. Beidem verdankt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den er 2010 erhielt. Heute aber geht es nur um die Hörspielfassung seines Buchs „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“, das auf Deutsch im Herbst 2009 erschien und von dem man in Erinnerung hat, daß Grossman während des Niederschreibens seinen zweiten Sohn im Libernon-Krieg verlor.

 

Da weht einen mehr als der Schauer der Gleichzeitigkeit und die Schauder der Geschichte an. Denn just diese ist die Nachricht, vor der die Frau flieht, daß einer ihrer beider Söhne gefallen sein könnte, vor allem der eine, der gerade loszog. Von daher ist eine gewisse Atemlosigkeit und auch erhöhte Stimmenlage im aus dem Buch entstandenen Hörspiel für den Hörenden durchaus einsichtig. Auch hysterische Anwandlungen sind so erklärbar und sogar notwendig wie nur was, wenn man den Kontext der Geschichte erfährt, was beim Hören durchaus schwieriger genau mitzuverfolgen ist als beim Lesen, wofür man dann aber durch die akustische Vielfältigkeit der menschlichen Stimmen entschädigt wird. Wir sind mit dieser Frau zusammen im Krieg und was Krieg bedeutet, ist uns nur noch Geschichte, hier aber in Israel tägliche Gegenwart.

 

Aber erst zur eigentlichen Geschichte, die zwar reale Personen hat, in der aber doch viel mehr Grundprobleme des Lebens ihre Figuren finden wie die, wie nah ich jemandem kommen darf, ohne unterzugehen, wenn dieser sich abwendet oder sogar stirbt, wie distanziert ich bleiben muß, um dem anderen einen Spielraum zu geben, was sich als Konsequenz in der Mutter, die ein Kind aus und von sich geboren hat, es aber frei lassen muß, damit es alleine leben kann, bündelt, eine gegebene Freiheit, die auch zu dessen Tod führen kann. Alles also sehr philosophische Fragen und wir geben zu, daß wir die Geschichte, das heißt im Ablauf und Zuhören die CD immer wieder auf Pause gedrückt hatten, weil wir uns die Konsequenzen des soeben Gehörten für das Leben durchdenken mußten.

 

Aber nun wirklich zur Geschichte. Ora (Martina Gedeck) ist die Frau, die Mutter, die soeben ihren Sohn Ofer zum Sammelplatz geleitet hat, von dem aus die Soldaten in den Krieg ziehen. Der Junge hat sich freiwillig gemeldet und wird den militärischen Einsatz im Westjordanland erleben. 'Erleben'? Hoffentlich wird er leben und ihn überleben, denn in der gleichen Sekunde, wo der Junge geht, stellen sich bei Ora schon die Ängste ein, die seinen Tod so sicher werden lassen, daß sie deutlich das Klopfen an ihrer Türe hört, dem die Nachricht von seinem Tode folgt. Ihre Gedanken sind assoziativ. Dort liegt ein Buch. Was war der letzte Satz, den er las? So räsoniert sie vor sich hin, was uns mehr und mehr verstört, denn wir erleben es mit, wie sie sich selbst ein emotionales Gefängnis errichtet, aus dem sie keinen Ausweg sieht, sich immer weiter in Gedanken und Gefühlen verbarrikadiert.

 

Gegen ihre Ohnmachtsgefühle, die tiefen Verlustängste tut sie dann doch etwas. Sie geht einfach. Sie geht einfach auf eine Wanderung, einen mehrtägigen Ausflug. Denn, wenn sie nicht erreichbar ist, kann sie auch keine potentielle Nachricht vom Tod des Sohnes erfahren. Sie tut ein Zweites. Sie erzählt sich und uns ihr Leben. „Ora auf der Flucht“ ist dessen Thema, denn da spielen nicht nur die zwei Söhne eine Rolle, sondern auch die zwei Männer ihres Lebens. Der letzte, Ilan, ist mit einem Sohn in den USA, sie flieht vor der potentiellen Realität des Todes von Ofer mit dem ehemaligen Geliebten Avram in die Berge. Immer aber redet und denkt und fühlt sie, ihre Erinnerungen aber werden oft von den handelnden Personen eingenommen, so daß wir viele Stimmen hören.

Die Handlung bleibt zwar ganz auf Ora und Ofer konzentriert, aber da das Vergangene so polyphon ertönt, erreichen uns die Erinnerungen des Avram besonders intensiv. Er erzählt von seinem jungen Soldatenleben, als er im Yom-Kippur-Krieg mit seinem Sprechgerät eine Überlebensstrategie einging. Anders als die Kriegsberichte und politischen Spannungssituationen, die in den Fernsehnachrichten zu sehen oder in den Zeitungen zu lesen sind, hören wir hier das Individuum selbst, das gequält von Angst sich selbst durch Reden lebendig hält. Der Mensch, seine Sprache, seine Erinnerungen sind deshalb ein Subthema dieses Romans, das nicht in erster Linie vom Krieg handelt, sondern davon, mit welchen Phantasieflügeln der Sprache sich Menschen in für sie aussichtslosen oder zumindest totgefährlichen Situationen am Leben und lebendig halten.

 

Das erschütternde Hörspiel, das Norbert Schaeffer zusammen mit den Sprechern Martina Gedeck, Michael Evers und Christian Redl produzierte, läßt einen noch lange nach dem Hören nicht los.

 

 

 

David Grossman, Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Hörspiel, Regie: Norbert Schaeffer, Musik: Martina Eisenreich

Stimmen: Martina Gedeck, Michael Evers, Christian Redl

3 CDs, Laufzeit ca. 2023 Minuten, Juni 2012