f liebeerfunden1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. Mai 2018, Teil 7

N.N.

Berlin (Weltexpresso) - WER HAT EIGENTLICH DIE LIEBE ERFUNDEN? ist Ihr erster Spielfilm. Wie kam es zu diesem Projekt?

Während meines Regiestudiums in Zürich wurde bei meinem Vater eine schwere Krankheit – es handelte sich aber nicht um Alzheimer wie im Film – diagnostiziert, eine der Krankheiten, bei denen es nur noch schlimmer und nie mehr besser wird. Natürlich verschieben sich in einem solchen Moment die Fragen, die man dem Leben stellt. Sie werden existentieller; der Geschmack der Endlichkeit liegt plötzlich auf dem Alltag. Ich habe angefangen, jeden Moment in seiner Einzigartigkeit intensiver wahrzunehmen und zu genießen. Als Familie sind wir näher zusammengerückt. Es kam mir sogar manchmal so vor, als würden wir uns nochmal ganz neu kennen- und berühren lernen.

Wir waren fast in einer Aufbruchsstimmung. Denn: Was können wir überhaupt unserer eigenen Endlichkeit – der Angst von einem Tag auf den anderen zu verschwinden – entgegensetzen? Ich glaube, dass viel Liebe, viel Mut und viel Humor ein guter Anfang sind. Und ein gutes Ende. Mir ist damals klar geworden, dass es nicht darum geht, die Angst vor dem Tod zu verlieren, sondern die Angst vor dem Leben...und genau über dieses Gefühl wollte ich meinen ersten Spielfilm machen.


Es heißt ja oft, der erste Film wäre fast zwangsläufig autobiografisch. War das bei Ihnen auch so?

Ich glaube, dass man grundsätzlich von Situationen, Themen und Menschen erzählt, die einen berühren, die man in seinem Leben kurz oder lang kreuzt, die einen nicht mehr loslassen. Das müssen nicht unbedingt nur autobiografische Momente sein, dass kann auch – wie in meinem Fall – eine Perspektivverschiebung auf das Leben sein.

Ich glaube, wir sind alle ein bisschen wie Charlotte und Paul – ich genauso und meine Eltern waren es auf jeden Fall: Wir lieben Airbags, Antibiotika und Antivirenprogramme, weil wir durch sie die Illusion haben, dass uns gar nichts passieren kann. Wir vergessen, dass wir uns mit all den angelegten Sicherheitsgurten irgendwann gar nicht mehr wirklich bewegen können. Wir vergessen, das Leben zu genießen, auch mal kreuz und quer zu leben, eine Haltestelle später auszusteigen, „Ja“ anstelle von „Nein“ zu sagen. Wir verschieben unsere Abenteuer und Sehnsüchte auf Morgen. Und wenn das Morgen endlich kommt – die Pensionierung, die Freiheit, das Geld, um drauf los zu leben – macht das Leben allzu häufig einen Strich durch die Rechnung. Wir haben nur dieses eine Leben – worauf warten wir?


Hat sich das Drehbuch von der ersten bis zur endgültigen Version sehr verändert?

Ich bin da durchaus durch ein paar Etappen gelaufen. Als mein Vater schließlich starb, konnte ich eine Zeit lang nicht weiterschreiben. Weil mir alles einfach viel zu nah war. Wir haben meinen Vater zuletzt sehr intensiv begleitet. Als ich weiter schrieb war mir klar, dass ich die Geschichte hoffnungsvoll erzählen muss – dass der Tod zwar Bestandteil des Ganzen wird, aber dennoch der Mut zum Leben, zur Liebe siegt. Ich wollte, dass meine Zuschauer und Zuschauerinnen spüren, dass es sich immer lohnt mit seinem Schicksal um die Wette zu rennen – selbst wenn man letztendlich verliert. Im Grunde bin ich ganz froh, dass es so lange gedauert hat, das Drehbuch fertig zu schreiben. Denn die Art und Weise, wie ich die Geschichte erzähle, das Humorvolle und Poetische, liegt mir näher und entspricht viel mehr meinem Wesen als das Dramatische.


Sie haben Ihrem Film im mittleren Teil die Struktur eines Roadmovies gegeben. Warum?

Die Geschichte ist letztlich eine Reise meiner Figuren von der Enge ihres Alltags, von der eingeklemmten Drehtür am Anfang, bis hin zur Weite, zu den Wolken und zum Meer, wo sie endlich wieder atmen können. Es ist ein Prozess, ein Dialog, ein Suchen und Finden, bis sie sich wieder nahe genug sind, um sich neu zu begegnen. Oder um sich wieder abzustoßen. Die Kamera ist also immer in Bewegung. Nicht hektisch und nicht wild, aber immer in Bewegung. Und der Zuschauer wird mitgenommen, ist eigentlich gar kein Zuschauer, sondern Teilnehmer dieser Reise. Auf Augenhöhe. Wir sind mittendrin im Abenteuer. Ich würde meinen Film aber nicht als klassisches Roadmovie bezeichnen. Unsere Reise hangelt sich vielmehr an inneren Wegpunkten und emotionalen Bewegungen entlang. Die vermeintlichen äußeren Anlaufstellen sind universelle, innere Stationen des Lebens, die durch den ganz eigenen Blick und das spezielle Bedürfnis unserer Charaktere eine besondere poetische Funktion und Aufladung erhalten. Eine Zuschauerin meinte zum Beispiel, dass der Film eine Reise in Charlottes Kopf ist, in ihre Krankheit und Sehnsüchte. Oder eine andere These war, dass die Familie sich diese Geschichte für Charlotte nur ausgedacht hat und sie ihr am Sterbebett erzählt. Das darf jeder so interpretieren, wie er mag, es gibt kein Richtig und Falsch.


Die Geschichte fängt alltäglich an und wandelt sich ganz allmählich zu etwas, das man als magischen Realismus bezeichnen könnte, oder?

Exakt. Das war so auch schon im Drehbuch vorgesehen. Uns war natürlich klar, dass es sich dabei um einen Drahtseilakt handelt. Für die Figuren geht es darum, mutig zu sein und etwas Neues zu wagen, deshalb war es mir ein großes Anliegen, dass wir – die Macher – ebenso mutig sein mussten. In meiner Inszenierung wollte ich das realistische Zeit- und Raumgefühl immer mehr auflösen, zugunsten einer Erzählung, die sich mehr an Fragmenten, emotionalen Zuständen, den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Lebens orientiert. Fantastische und surreale Momente und Figuren werden in der Inszenierung also nicht unterschieden, sondern miteinander atmosphärisch verdichtet, denn: Solange ich berührt werde, ist es nicht wichtig, ob ich träume oder nicht.


Wann haben Sie erstmals an die Besetzung Ihrer Heldin Charlotte gedacht?

Ich habe das Drehbuch tatsächlich ein bisschen auf Corinna Harfouch hingeschrieben, obwohl ich sie persönlich noch gar nicht kannte. Auch wenn mein Vater die Geschichte inspiriert hat, war mir immer klar, dass meine Hauptfigur eine Frau sein würde. Wahrscheinlich, weil ich mich besser in ihre Gefühlswelt hineinversetzen kann. Zudem wünsche ich mir mehr Frauenfiguren im Kino, die auch mal mutig, eckig, merkwürdig, sehnsüchtig und stur sind. Es war gut, dass meine Heldin so auch weiter weg war von dem Menschen, der den Anstoß zur Geschichte gegeben hatte. Das hat mir eine größere künstlerische Freiheit gegeben.


Wie würden Sie Charlotte beschreiben?

Charlotte ist typisch für eine Generation, die sich sagte: Erst kommt die Arbeit, dann kommen die Kinder, und wenn wir schließlich in Rente sind, haben wir endlich Zeit zu leben. Eben Menschen, die sich ihre Träume und Wünsche für später aufsparen. Vielleicht hat man manchmal auch Angst, dass die Träume verschwinden, wenn man sie realisiert. Meist kommt so oder so irgendwas dazwischen - das sehe ich gerade auch bei vielen Eltern von Freunden. Aber das Aufschieben von Sehnsüchten findet man nicht nur bei der älteren Generation; das ist etwas, was wahrscheinlich jeder schon mal an sich beobachtet hat. Ich erkenne das manchmal auch bei mir. Insofern würde ich sagen: Sind wir nicht alle ein wenig Charlotte?


Können Sie etwas dazu sagen, wie die übrige Besetzung zustande kam?

Ich war gerade im Casting Prozess, als ich Meret in Vanessa Jopps Film LÜGEN UND ANDERE WAHRHEITEN sah. Ihr tolles komödiantisches Talent begeisterte mich und ich erkannte vieles von ihr in meiner Figur der Alex. Sie mochte das Buch und als ich sie fragte, welche Schauspielerin sie gern mal küssen würde – ich hoffte insgeheim, dass sie auch Sabine Timoteo nennt, da ich sie gerne als Truckerin Marion besetzen wollte – und so kam es auch prompt. Perfekt! Karl Kranzkowski sollte ursprünglich Gott spielen, aber er mochte die Rolle des Paul ebenfalls sehr gerne, was ich mir ebenfalls sehr gut vorstellen konnte. Corinna fand die Idee ebenfalls toll. Ich finde, er und Corinna sind ein absolut wunderbares, glaubwürdiges, richtig schönes Paar.


Durften Ihre Schauspieler improvisieren?

Sagen wir mal so: Ich habe ihnen einen Rahmen gesteckt, aber darin gab es eine große Freiheit. Bei der Schauspielführung konzentriere ich mich vor allem auf die Wahrhaftigkeit der Gefühle und die Lebendigkeit des Moments. Aber Schauspielerinnen und Schauspieler dieses Formats machen ohnehin keinen Take wie den nächsten und lassen sich auf ihre Spielpartner vollkommen ein. Man bleibt nie stehen, sondern probiert verschiedene Qualitäten und Tonalitäten der Szene aus, geht neue Wege und manchmal kommt man auch wieder an den Anfang zurück. Es war einfach großartig sich immer wieder aufs Neue überraschen und berühren zu lassen. Bei Corinna war es oft so, dass der erste Take auf sie ging – also sie mir ein Angebot gemacht hat – beim zweiten Take haben wir meine Vorstellung realisiert und beim dritten ging die Arbeit dann richtig los.

Foto:
© Verleih

Info:
Abdruck aus dem Presseheft

Besetzung:

Charlotte  Corinna Harfouch
Alex          Meret Becker
Marion     Sabine Timoteo
Paul         Karl Kranzkowski
Jo            Annalee Ranft
Horster    Bruno Cathomas