Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Januar 2013, Teil 2

 

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Daß sich Filme auch aus dem eigenen Genre speisen, zeigt diese Woche, wo mehrere Wiederauflagen, das, was man Remake nennt, eine Rolle spielen, oft, ohne daß die Zuschauer davon wüßten.

 

 

QUARTETT

 

Wie die Zeit vergeht! Da kamen wir angetan aus der Pressevorführung von Dustin Hoffmans Regiedebüt und sprachen in die Runde: „Also der Film lehnt sich ja total an den KUSS DER TOSCA an, den Kultfilm von Daniel Schmids Dokumentarfilm über die Casa Verdi in Mailand“- und trafen auf verständnislose Gesichter. Das konnten wir überhaupt nicht verstehen und erst akzeptieren, als wir nachschauten, von wann dieser Film, den wir Anfang der 90er wähnten, überhaupt war: von 1984. Das ist fast 30 Jahre her.

 

Ein Beispiel dafür, was alles verloren geht, wenn man es nicht erwähnt, weshalb wir den damaligen Dokumentarfilm an den Anfang setzen, denn mit dem neuen schönen bunten Spielfilm über ein herrschaftliches Altersheim im Grünen sollte eine Wiedererinnerung an den Dokumentarfilm in Schwarz Weiß einhergehen. Denn der kinderlos gestorbene – die eigenen Kinder starben wie die Ehefrau - Giuseppe Verdi hatte das von ihm gegründete Altersheim für alte Sänger und Sängerinnen immer als „sein schönstes Werk“ bezeichnet. Das sagen wir so explizit, weil uns der mit herrlichen Schauspielern und traumhaften Landschafts- und Interieuraufnahmen auftrumpfende Spielfilm richtig gut gefallen hat, wenngleich er nicht die Gänsehaut und die Erschütterung hervorrufen konnte, die die damals in der Casa Verdi lebenden und noch immer singenden Alten erzeugten. Es gibt Momente des Authentischen, die einfach nicht zu übertreffen sind, auch nicht durch richtig gute Spielfilme.

 

Wenn man dies weiß, dann erkennt man auch, daß Dustin Hoffman gute Arbeit geleistet hat, die von zwei Seiten gestützt wurde. Das eine ist das Drehbuch von Ronald Harwood, der sich auf sein eigenes Bühnenstück verließ und die Riege hervorragender Schauspieler, die einfach durch ihr Zusammenspiel einen Kammerspielton hineinbringen, in dem Gläser zum Zerschneiden gebracht oder Musikmachen und Musikhören zum größten Glück der Welt wird. Je nachdem, wie sie wollen. Und daß sie am Schluß alle das Richtige wollen, dafür sorgen eben Drehbuch und Regisseur.

 

Dazwischen liegt viel Gehadere, Mißgunst und Neid, aber auch Selbsterkenntnis, Eingeständnis von Schuld und der Wunsch nach Wiedergutmachung und es besser machen zu wollen. Damit das nicht zu menschenfreundlich im Altersheim rüberkommt, baut der Film erst einmal Stolpersteine ein. Einer der sympathischsten, ach was allerliebst zum Gernhaben ist die hübsche harmlose Mezzosopranistin Cecily, genannt Cissy (Pauline Collins), die deshalb glücklich ist, weil sie alles vergißt, aber davon meist nichts mitkriegt, darum auch vieles immer wieder neu glücklich erleben kann.

 

Psychologisch das Gegenteil von ihr ist die Sopranistin, die Diva Jean Horton, die Weltruhm erlangte, aber privat nicht glücklich wurde, was Maggie Smith derart knallhart auf der Leinwand rüberbringt, daß sie diejenige ist, deren Blicke Gläser zerschneiden und Menschen erstarren lassen. Aber dann wird sie weich. Natürlich ist das auch ein wenig kitschig, in dieser schönen englisch geblümten Gegend im Beecham House, einem Herrensitz, auf dem man auch gleich einziehen möchte – natürlich ohne die Alten, die hier ihr Altersheim bezahlen müssen, was immer zu wenig ist, denn das Leben im Heim ist teuer, weswegen eine Benefizgala für sich selbst die nötigen Einnahmen für das Heim bringen soll. Jedes Jahr, jedesmal zu Verdis Geburtstag.

 

Bevor jedoch das Festkomitee – mit dabei der gewesene Impresario, der es nicht lassen kann, anzugeben, Cedric Livinstone, hier als Quatschnudel Michael Gambon, der fast so aussieht wie als Dumbledore in Harry Potter Filmen, nur komischer guckt - so richtig in Gang kommt, muß erst die Lebenserschütterung von Reginald Paget – zynisch, aber pädagogisch gut arbeitend Tom Courtenay - angesprochen und aufgearbeitet werden. Sage nur einer, in diesem Film der Alten passiere nichts. Die schlimmsten Skandale werden aufgedeckt, denn einst waren der noch immer gut aussehende und reflektiert wirkende lyrische Tenor Reginald und Diva Jean ein Ehepaar, ganz kurz nur, weil er ihr nicht verzeihen konnte, daß sie direkt nach der Hochzeit bei einem Gastauftritt auf dem Kontinent eine Affäre hatte und ihm das auch noch brühwarm beim ersten Frühstück auftischte. Er hat nie wieder eine andere angeschaut und sie mit verschiedenen Ehemännern nie wieder einen wie ihn gefunden, den sie liebte.

 

Sie läßt sich bitten, die Diva Jean, die beim Ankommen das ganze Altersheim in Angst und Schrecken ob ihrer Kälte und Arroganz versetzt und dann ganz liebenswürdig wird und sogar bereit ist, zu singen. Denn tatsächlich haben diese vier – zu denen noch der verrückt-komische Charmeur Wilf – Billy Connolly als Wilfried Bond – gehört, dereinst zusammen auf der Bühne das berühmte Quartett aus dem dritten Akt des RIGOLETTO von Verdi gesungen, das sie nun auf dieser Gala zum Höhepunkt beisteuern, wobei die echte Dame Gwyneth Jones als schauspielerische Heiminsassin mit 76 Jahren eine Arie aus Tosca beisteuert. Eigentlich gehört Verdi der Oscar für Filmmusik, konnte man sich bei den herzerweichenden Wiedergaben nur denken!

 

Ein Alterswerk von Dustin Hoffman? Ach was, ein schöner Film über das Altern, das ja wehtut und nicht schön ist, wie die Wirklichkeit und Filme uns immer wieder erzählen. Mehr als die schöne Umgebung und das doch luxuriöse Gehabe mancher Bewohner geht es grundsätzlich um eine Haltung. Auch eine Haltung gegenüber dem Alter und auch eine gegenüber dem eigenen Alter. Nichts zu dramatisieren, aber auch nicht schönzureden oder schönzusingen, ist eine der Erkenntnisse, die man mitnimmt – und eben auch, daß hohes Alter weder vor Fehlern schützt, aber auch nicht verhindert, daß man aus Fehlern lernt.