ochiSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Mai 2025, Teil 1

Redaktion 

London (Weltexpresso) – Kurz nach seinem College-Abschluss wurde Isaiah Saxon mit der ablehnenden Realität als Künstler konfrontiert. Sein Abschlusswerk, ein Kurzfilm, wurde in Sundance nicht angenommen und so betrat der junge Filmemacher niedergeschlagen die reale Welt San Franciscos. Mit 21 leitete er eine Videothek in North Beach. Er fand eine Regie-Box und begann, sich Musikvideos von Spike Jonze, Michel Gondry und Chris Cunningham anzusehen.

Es waren eigenwillige Werke für Musiker wie Aphex Twin und Björk, die nach einer eigenen Traumlogik funktionierten und in immersiven Universen existierten, die auf einzigartige Weise surreal und vollkommen geformt waren. „Diese Arbeiten eröffneten mir eine neue Perspektive als Filmemacher“, sagt Saxon. „Ich wollte Musikvideos machen.“ Manchen mögen die Arbeiten von Jonze, Gondry und Cunningham seltsam und in ihrer Konstruktion unmöglich irreal erscheinen, aber für Saxon waren sie völlig glaubwürdig. „Ich belegte auf dem College Kurse für praktische Effekte, Zeichnen und Bildhauerei, so dass ich einen illustrativen und bildhauerischen Ansatz für das Filmemachen entwickelte“, sagt Saxon, der an der Academy of Art University in San Francisco studierte. „Beim Filmemachen geht es nicht nur darum, Dialoge zu schreiben und Schauspieler zu filmen. Es geht um Figurenentwicklung in einer geschaffenen Welt, und darum, diese zu modellieren, oft mit Hilfe von Prothetik. Herauszufinden, wie man das ohne große Mittel erreichen kann, führte mich zu den verschiedensten Techniken.“ Saxon drehte Musikvideos, faszinierende und atemberaubende Werke für Künstler wie Grizzly Bear und Björk sowie Kurzfilme mit Encyclopedia Pictura, einer Produktionsfirma, die er mitbegründete und zeitweise von einer Kommune aus betrieb, die er in den Bergen von Santa Cruz mit aufbaute.

Aber erst in seinem außerordentlich fantasievollen Kinodebüt DIE LEGENDE VON OCHI zeigt sich wie seine fantasievollen Eigenschaften - wie kindliches Staunen, Gestaltungskraft und seine praktische Herangehensweise für den Aufbau von Welten – voll zur Geltung kommen. Der erste Keim für diesen Film entsprang aus Saxons Interesse an der Verbindung zwischen dem Kindsein und dem Andersartigen, wie es z.B. in Filmen wie E.T. – DER AUSSERIRDISCHE und MEIN NACHBAR TOTORO zum Ausdruck kommt, aber auch in bodenständigeren Werken wie dem Drama KES von Ken Loach über die Beziehung zwischen einem Jungen und einem Falken sowie DER SCHWARZE HENGST (1979).

Letzteren Film schätzt Saxon wegen seiner überzeugenden Darstellung, wie Mensch und Tier eine Verbindung eingehen und ohne Sprache kommunizieren können. Dieser Gedanke beflügelte seine Kreativität als Filmemacher. „Ich empfinde ein gewisses Unbehagen gegenüber unserer Abhängigkeit von der Sprache als primäre Kommunikationsform“, erklärt er. „Es fällt mir oft schwer, mich in Worten auszudrücken. Also sind Musik, Bilder, Tanz und Bewegung meine Ausdrucksform. Diese Dinge sind so ursprünglich, weil wir sie schon vor der Entwicklung der Sprache wahrgenommen haben.“ „Das Interesse am nonverbalen Filmemachen und das Erschaffen einer Welt als Erzählung zeigen sich in all meinen Arbeiten“, sagt Saxon. „Es passiert etwas, wenn eine Figur eine sehr emotionale und detaillierte Umgebung betritt. Sie muss nichts sagen, damit man weiß, was sie fühlt. Man sieht diese Welt mit ihr, und weiß, was sie fühlt, weil man selbst gerade in dieser Welt ist.“ Er fügt hinzu: „Ich glaube, dass jede Filmemacherin und jeder Filmemacher, bewusst oder unbewusst, einen gewissen Schmerz in sich tragen. Und, wenn man das Heilmittel dafür findet, möchte man das mit anderen teilen.

Das Heilmittel für diesen Film ist die nonverbale Kommunikation. Mir wurde bewusst, dass die Kommunikation zwischen zwei Figuren unterschiedlicher Spezies melodisch sein müsste.“ In DIE LEGENDE VON OCHI entdeckt Yuri den Hoquetus, eine Gesangstechnik, bei der eine Melodie auf zwei Klangquellen aufgeteilt wird. (Saxon wurde von diesem Konzept durch seine Musiker-Ehefrau inspiriert, die mit dieser Technik in ihrer eigenen Arbeit experimentiert). Yuris Mutter Dasha studierte in den Jahren, seit sie ihre Familie im selbstgewählten Exil in den Bergen zurückgelassen hat, die Technik als die besondere Art der Kommunikation der Ochi. Für Yuri ist das Singen ganz natürlich, ein Ergebnis der wundervollen Verbindung, die sie mit dem verletzten Ochi-Baby findet. „Ich wollte ein Kind in den Mittelpunkt stellen, das das Gefühl hat, seine Fähigkeit, sich auszudrücken, sei verkümmert oder erloschen“, sagt Saxon. „Yuri ist verschlossen Ihr einziges Ventil ist das Hören von dröhnender Black-Metal-Musik. Dann trifft sie auf ein Geschöpf, das das Gegengift zu allem ist, was Menschen sind: direkt, intuitiv, instinktiv – nicht manipulativ und strategisch wie ihr Vater. Was würde mit dem Kind passieren, wenn es diese OchiEnergie in seinem Leben hätte? Wie könnte es dem Mädchen helfen, sich zu öffnen?“

Mit DIE LEGENDE VON OCHI interpretiert Saxon eine archetypische Geschichte neu. Und zwar mit der klassischen Heldenreise zum unbekannten Anderen und auf modernere Weise, im Geiste der Jugendfilme der 80er Jahre wie E.T., GREMLINS und Die GOONIES. Doch Saxons Spielfilmdebüt wirkt durch die stimmungsvolle Welt, die er um diesen Mythos herum aufbaut, auf wundersame Weise neu. Mit einer einzigartig taktilen Herangehensweise an das Filmemachen – vom Puppenspiel über das praktische Entwerfen von Kulissen und Kostümen bis hin zum sorgfältigen Schnitt – erschafft er ein Universum, das so greifbar und lebendig ist, dass es sich anfühlt, als hätte es schon immer existiert und würde erst jetzt entdeckt werden.


Die Welt der Ochi

DIE LEGENDE VON OCHI erscheint wie ein Portal in ein anderes Universum. Das vergleichsweise geringe Budget des Films – etwa 10 Millionen Dollar – täuscht jedoch über den Aufwand hinweg, der nötig war, um eine so komplexe Welt zu erschaffen. „Ich möchte diese Zahl nicht feiern, denn sie bedeutete für alle auch eine Menge Blut, Schweiß und Tränen“, sagt Saxon. „Bei dieser Zahl geht es vorrangig um das verwendete Material. Das macht den Unterschied, die Liebe zum Detail und wie besessen wir alle waren, diesen Film zu machen.“ Die Nutzung des Budgets wurde durch die praktische, handwerkliche Herangehensweise an das Filmemachen geleitet, die Saxon in seinen frühen Tagen von Musikvideos lernte. „Für mich bedeutete es schreiben, entwerfen, zeichnen und modellieren. Und für dieses Projekt hieß es auch, über CG und visuelle Effekte zu lernen und das Handwerk dieser Bereiche zu respektieren.“

Bei der Erschaffung der bildgewaltigen Fantasiewelt des Films, in der mythische Wunder mit greifbarer Realität verschmelzen, begann und endete der Prozess mit einem malerischen Ansatz, der in Zusammenarbeit mit der Illustratorin Marie Nelson entstand. „Schon in den ersten Tagen der Entwicklung haben Isaiah und ich die Welt in Storyboards gezeichnet, gemalt und geformt“, sagt Nelson. „Für ihn sind große Authentizität und bodenständiger Realismus in der Fantasie wichtig.“ Dieses Gleichgewicht zu finden, hing stark vom geplanten Drehort ab, nämlich Rumänien. „Ich wusste, dass ich in diesen abgelegenen Gebieten der Karpaten, in Transsylvanien, drehen wollte, wo man, wenn man die Städte verlässt, Pferdekutschen und Menschen sieht, die in großer Verbundenheit mit der Umwelt leben“, erklärt Saxon. „Dort sind die intaktesten Urwälder in ganz Europa, in denen Bären, Luchse und Wölfe zu Hause sind. Es ist wie eine Zeitreise.“ Wir landeten an einem Ort, der das Gefühl vermittelte, die reine DNA des Ortes zu besitzen, den wir gemeinsam illustrierten“, sagt Emily Watson. „Ein Ort, der eine ganz eigene Identität hat, ist ein starker Aspekt, den man in die Arbeit einbringen kann.“

Der Kameramann Evan Prosofsky wollte dem Film ebenso einen lebendigen Look verleihen. Gemeinsam mit Saxon entwarf er das Storyboard für große Teile des Films und testete über ein Jahr lang Kameraobjektive, bis sich die beiden für einen Satz originaler Baltars aus den 1930er Jahren entschieden, die ersten Objektive, die jemals in den USA hergestellt wurden und für Klassiker wie CASABLANCA verwendet wurden. „Evan kaufte einen Satz dieser alten Objektive und ließ sie aufarbeiten und in moderne Gehäuse einbauen“, erinnert sich Saxon. „Dies könnte der erste Farbfilm sein, bei dem diese Objektive in der modernen Ära verwendet wurden. Evans Lichtund Kameraarbeit, kombiniert mit dem richtigen Framing und gemalten Kulissen (matte paintings) schufen den Look des Films.
Die Suche nach mythischen, aber auch realistischen Drehorten, die wenig bis gar keine visuellen Effekte erforderten, ermöglichte es Saxon, Fantasie und Realität so weit zu vermischen, dass sie fast ununterscheidbar erscheinen. „Da wir den größten Teil des Films on Location drehten, konnten wir die fantastischen Elemente langsam hochfahren“, beschreibt Saxon. „Am Ende erschufen wir einen fantastischen Ort, den es nicht gibt, der aber durch alles, was wir zuvor gefilmt haben, begründet ist. Erst im dritten Akt verwendeten wir Blue- und Green-Screens.“

Die Methode „matte painting“ war der Endpunkt des Prozesses, der dem Film seinen unverwechselbaren Look verlieh. „Im Grunde genommen nimmt man Fotos und schneidet sie zu einer Collage zusammen“, erklärt der Regisseur. „Damit sie zusammenwachsen, malt man in Photoshop über das Bild. Ich spiele mit diesem Verfahren, seit ich 13 bin. Es spielte eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung dieser Filmwelt und seiner besonderen Ästhetik.“

Die Vertrautheit mit dieser Technik, die aus praktischen Gründen entstand, führte dazu, dass Saxon die Bilder selbst malte, was zu den oft faszinierenden Tableaus des Films führte.

„Als es an der Zeit für die Postproduktion war, konnte ich es mir nicht leisten, jemanden für diese Arbeit einzustellen, also habe ich es selbst gemacht“, sagt Saxon. „Ich habe 200 ‚matte paintings‘ für diesen Film erstellt, bevor ich mit unserem wunderbaren VFX-Supervisor Grant White in England zusammenarbeitete. Danach haben mehr als 100 Handwerker die Hintergründe integriert, um den von uns gewünschten Look zu erzielen.“

Für Saxon fängt die sorgfältige Maßarbeit einen grundlegenden Sinn für filmische Magie ein. „Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der man das System hacken musste, bevor CGI oder sogar KI so zugänglich oder entwickelt waren“, sagt Saxon. „Was mich an praktischen Effekten und ‚matte paintings‘, die mit Stop-Motion-Animation oder Puppenspiel mit Prothesen angereichert sind, reizt, ist das Zerschlagen der Wahrnehmung des Publikums, wie man es erreicht hat. Wenn das Publikum nicht herausfinden kann, wie wir etwas erreicht haben, fühlt sich das hoffentlich wie Magie an.

Fortsetzung folgt

Foto:
©Verleih

Info:
Die Legende von Ochi (USA 2025)
Originaltitel: The Legend of Ochi
Genre: Fantasy, Abenteuer
Filmlänge: ca. 96 Min.
Regie: Isaiah Saxon
Drehbuch: Isaiah Saxon
Darsteller: Helena Zengel, Finn Wolfhard, Emily Watson, Willem Dafoe, Răzvan Stoica, Carol Borș, Andrei Antoniu Anghel, David Andrei Bălțatu, Eduard Oancea, Tomas Otto Ghela, Eduard Ionut Cucu, Paul Manalatos (Stimme Ochi) u.a.
Verleih: Plaion Pictures
Vertrieb: Studiocanal
FSK: ab 6 Jahren