4061229511902Neu auf DVDs ab 9. Mai, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schaut man den Film unvoreingenommen an, denkt man längere Zeit, man erlebe nicht Deutschland, sondern einen Hollywood Junge-Mädchen-Film, so rosa, absolut rosa geht es lange zu. Selbst die Orchideen, die es Jenny (Emma Drogunova) angetan haben, sind nicht nur rosa, sondern werden von Jenny noch mit Glitzer überzogen. Reiner Kitsch, doch das bezieht sich nur auf den Geschmack von Jenny, denn der Film selbst ist bei einem doch schwierigen Thema so was von kitschfrei, dass man der Regisseurin, die auch das Drehbuch schrieb und hier ihr Debüt vorlegt, mit Hochachtung begegnet. Es gelingt ihr, bei einem schwierigen Thema, sehr schnell echtes Interesse, echte Anteilnahme zu wecken - und aufrecht zu erhalten, 

Schnell versteht man dann die Lebenswirklichkeit von Jenny. Natürlich denken alle erstmal, VENA sei der Name der Hauptdarstellerin, aber der Filmtitel spielt auf die Nabelschnurvene an, die das Kind im Mutterleib mit Blut und Nährstoffen versorgt. In erster Linie ist die Verbindung zwischen Mutter und Kind angesprochen, aber diese Vene steht auch für Bindungen zwischen anderen Personen, im Film besonders zwischen Jenny und der Hebamme Marla ( Friederike Becht). Doch die tritt erst in Erscheinung, als die erneute Schwangerschaft Jennys fortgeschritten ist. Erst einmal erleben wir eine junge, rosasüchtige junge Frau, die Probleme hat, denn ihr sechsjähriger Sohn, den sie liebt, lebt nicht bei ihr, sondern bei ihrer Mutter, weil sie überhaupt nicht fähig ist, dem Sohn eine Wohnung und Erziehung zu geben. Sie lebt bei ihrem Freund Bolle (Paul Wollin), der aber wie sie selbst drogenabhängig ist. Sie hat lange nicht gemerkt, dass sie schwanger ist, aber will das Kind auf jeden Fall behalten. Nur wie und wo.

Weder kennt man die Vergangenheit von Vena, wie das mit dem ersten Kind, einem Jungen war, noch wer der Vater ist, nicht, welche Ausbildung Jenny hat, was sie arbeiten könnte, noch warum sie in der Situation ist, die auf sie jetzt, gerade jetzt zukommt: sie muß eine Haftstrafe antreten. Kein Hinweis, warum. Aber die Tatsache dass, die langt. Es gibt Mutter-Kind-Strafanstalten, aber dort ist kein Platz und erst einmal muß sich Jenny unter der Androhung des baldigen Strafantritts überhaupt mit der Tatsache zurechtfinden und zusammen mit Bolle die Zukunft planen. Das Eigenartige ist, dass unser Nichtwissen über das Vorher und Warum die ganze Aufmerksamkeit auf die Gegenwart und das Geschehen auf der Leinwand richtet. Irgendwie schaut man noch genauer hin und analysiert jedes Wort, jede Geste.

Und dann wird das mit der Schwangerschaft immer konkreter. Mit der Hebamme Marla kommt die Person ins Spiel, auf die sich die von Menschen enttäuschte Jenny nach und nach einlassen kann. Sie wird die einzige Person bleiben, zu der Jenny eine wirkliche Beziehung aufbaut. Längst hat man selbst eine Beziehung zu der sperrigen und überhaupt nicht rosafarbenen Jenny entwickelt. Das macht die Schauspielerin Emma Drogunova einfach fabelhaft, weil sie überhaupt nicht kumpelhaft, dem Zuschauer oder den im Film handelnden Personen gegenüber auftritt, sondern eher störrisch und gegen ihre eigenen Interessen agierend. Also wird die Zuschauerin das gewissermaßen selbst übernehmen müssen, für die Zukunft der Schwangeren und die des dann neugeborenen Mädchens einzutreten. Das ist die Folge einer klugen Strategie der Regisseurin, der man nur Respekt entgegenbringen kann, wie sie uns in das schwierige Leben von Jenny verwickelt, die aus ihrer Renitenz nach und nach ihres noch ungeborenen Kindes wegen nachgiebiger und einsichtiger wird, dass das Leben ihres Kindes ihren Drogenentzug und überhaupt ein anderes Leben nötig macht.

Doch bleibt das nicht lange mehr ihre Entscheidung. Denn sie muß in den Knast und wird dort ihr Kind zur Welt bringen. Die Geburt, die nicht von oben und außen, sondern direkt mit Blick auf das unter Schmerzen der Mutter aus dem Leib entschlüpfende Kind aufgenommen wird, ist unglaublich intensiv dargestellt. Überhaupt ist die Kamera liebevoll zu der mit sich eben nicht liebevoll umgehenden Protagonistin. Und es ist auch richtig, dass der Film einfach aufhört und nicht ein rosa Happy End bietet. Aber man ist überzeugt, dass Jenny das hinkriegen wird, nach der Haft ihre kleine Tochter aufzuziehen und eine Normalität für beide herzustellen.

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Verleih


Info:
Gattung: Drama; Spielfilm
Regie: Chiara Fleischhacker
Darsteller: Emma Nova; Friederike Becht; Paul Wollin; Barbara Philipp; Edith Stehfest; Christian Schneeweiß; Lale Andrä; Karina Plachetka; Naomi Simmonds; Elisa Ueberschär; Loris Kubeng; Liam Ben Ari; Cornelius Schwalm; Luise Georgi; Thomas Dehler; Alev Irmak; Laura Bettinger; Lauretta van de Merwe
Drehbuch: Chiara Fleischhacker
Kamera: Lisa Jilg
Schnitt: Tobias Wieduwilt
Musik: Peter Albrecht
Webseite: bioskop.de;
Länge: 116 Minuten
Kinostart: 28.11.2024

Emma Drogunova: Jenny
• Paul Wollin: Bolle
• Friederike Becht: Marla
• Liam Ben Ari: Lucas
• Barbara Philipp: Renate
• Edith Stehfest: Clara
• Christian Schneeweiß: Dore
• Lale Andrä: Miriam
• Karina Plachetka: Frau Meissner
• Elisa Ueberschär: Beamtin Kathrin

Vena
DVD
Herkunftsland: BRD, 2024
Altersfreigabe: FSK ab 12 freigegeben
Erscheinungstermin: 9.5.2025
Genre: Drama
Spieldauer ca.: 116 Min. 
Sprache: Deutsch
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Bild: Widescreen
Specials: Interviews; Wendecover