Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Dezember 2025, Teil 4

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Kalkutta, Indien, August 1948. Mutter Teresa, Oberin des Ordens der Schwestern von Loreto, erhält die langersehnte Erlaubnis das Kloster zu verlassen. Sie will einen neuen Orden gründen als Antwort auf den Ruf, den sie von Gott erhalten hat. Doch gerade am wichtigsten Wendepunkt in ihrem Leben, steht sie vor einem Dilemma, das ihre Ambitionen und ihren Glauben herausfordert.

 

Mit TERESA – EIN LEBEN ZWISCHEN LICHT UND SCHATTEN inszeniert Regisseurin Teona Strugar Mitevska (GOTT EXISTIERT, IHR NAME IST PETRUNYA) die sieben Tage vor ihrer Ordensgründung, bevor Teresa zur katholischen Ikone wird. Ausnahmeschauspielerin Noomi Rapace (VERBLENDUNG, PROMETHEUS) überzeugt einmal mehr in ihrer Verkörperung der berühmten „Mutter der Armen“. Ein schonungsloser und introvertierter Blick auf religiöse Berufung und Schwesternschaft und ein eindringliches Portrait der kompromisslosen Hingabe von Mutter Teresa. In weiteren Rollen glänzen Sylvia Hoeks und Nikola Ristanovski.


INTERVIEW mit Regisseurin Teresa Strugar Mitevska

Ihre Mutter Teresa unterscheidet sich von dem Klischeebild der schmalen, bereits älteren Heiligen. Sie ist nicht gerade emphatisch, nicht freundlich, aber sehr kraftvoll. Wie kamen Sie auf diese Idee? 

 

Vor 15 Jahren drehte ich den Dokumentarfilm „Teresa und ich“. Wir hatten damals die Erlaubnis, die letzten vier lebenden Schwestern des „Ordens der Missionarinnen der Nächstenliebe“, also Mutter Teresas Orden, zu interviewen. Es war ein für Kalkutta ungewöhnlich schwülheißer November. Ich erinnere mich, wie ich in einem Raum saß und die Schwestern filmte. Während ich ihren Geschichten lauschte, entdeckte ich langsam eine faszinierende Figur, eine leidenschaftliche und liebenswerte Frau. Ich verliebte mich in ihre Komplexität und Kühnheit! Da ich aus demselben Land und derselben Stadt, Skopje, stamme, fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Ich bewunderte ihren Mut, ihre Courage und ihre Überzeugung. Und als Albanerin aus Mazedonien ist sie ein perfektes Beispiel für den multiethnischen Hintergrund meines Landes. Zur gleichen Zeit entdeckte ich die Biopics „Moloch“ und „Taurus“ von Alexander Sokurov und wollte genau so etwas machen, aber mit einer Frau: Ich wollte eine weibliche historische Figur in einem neuen, konzentrierten Licht darstellen. Wie viele Männer haben wir im Laufe der Geschichte schon in ihrem besten und schlechtesten Licht gefeiert? Mit Frauen beschäftigen wir uns noch immer zu selten.

 

Welche Themen waren Ihnen wichtig?

 

Die Autoren Goce, Elma und ich wollten Fragen rund um Macht, Ehrgeiz und Geschlechterrollen ansprechen. Von Anfang an war es uns wichtig, die historische Figur nicht durch romantische Vorstellungen von Perfektion zu definieren, sondern sie als komplexes, vielschichtiges Wesen darzustellen Als Künstler haben wir auch die Verantwortung, auf die Zeit zu reagieren, in der wir leben. Eine Teenagerin erzählte mir mal von ihrem Ärger über den Mangel an komplexen weiblichen Charakteren in der Literatur. Aber wir leben in einer Zeit großer Chancen – und wir haben die Chance, Geschichte neu zu schreiben, indem wir ihre andere Seite zeigen und verborgene Wahrheiten ans Licht bringen. Mit Teresa wollten wir einen mutigen weiblichen Charakter zeigen, ohne ihn zu entschuldigen. 

 

Der Film reflektiert auch das Thema Mutterschaft. Mutter Teresa scheint diesbezüglich gemischte Gefühle zu haben… 

 

Ich weiß, dass Mutter Teresa eine umstrittene Figur ist. Ihr Vermächtnis umfasst sowohl große Errungenschaften als auch beunruhigende Widersprüche. Sie war ein Produkt ihrer Zeit. Ihre Haltung zur Abtreibung ist aus heutiger Sicht schwer zu verstehen und ich teile sie ganz sicher nicht. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, ihre Geschichte zu erzählen, bevor sie zu der Mutter Teresa wird, die wir heute kennen. Unsere Teresa ist 37 Jahre alt, und der Film schildert sieben Tage aus ihrem Leben. Wir präsentieren sie als Geschäftsführerin eines multinationalen Unternehmens, eine Art Robin Hood ihrer Zeit, unerbittlich und ehrgeizig. Ihre Taten zählen, nicht ihre „Heiligkeit“. So wurde unsere Geschichte unweigerlich zu einer Hommage an Weiblichkeit, Mutterschaft, Sehnsucht - vor allem aber an eine Schwesternschaft und Freundschaft, wie sie von den drei Hauptfiguren Mutter Teresa, Agnieszka und Pater Friedrich erlebt wird. 

 

War sie eine emanzipierte Frau?

 

Als intelligente und ehrgeizige Frau traf sie jedenfalls eigene Entscheidungen. Zuerst fand sie einen Weg, ihren Ehrgeiz innerhalb der katholischen Kirche zu verwirklichen. Dann wagte sie das Unmögliche und bat um Erlaubnis, ihren eigenen Orden zu gründen und ihn nach ihren Vorstellungen zu führen, ohne männliche Aufsicht. Der Gedanke der Freiheit kam während meiner Interviews mit den Schwestern im Rahmen der Dreharbeiten zum Dokumentarfilm immer wieder zur Sprache. Anfangs fiel es mir schwer, ihn zu verstehen. Doch bald wurde mir klar, dass diese Frauen sich weigerten, ihr Leben so zu leben, wie es die Gesellschaft erwartete. In ihrem Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit wählten sie die Religion als Zuflucht. Das ist eine sehr widersprüchliche Idee, aber wir müssen auch die sozialen und kulturellen Einschränkungen sowie die Zeit, in der sie lebten, berücksichtigen. Einmal erklärte mir eine Schwester, dass es eine große Erleichterung und ein Grund zum Leben sei, sich nicht die Beine rasieren oder einem Mann gehorchen zu müssen. Das ist auch heute noch so. Stellen wir uns darum doch mal vor, wie es vor einem Jahrhundert war!

 

In Ihren Filmen geht es oft um weibliche Selbstbestimmung, und die Frauen darin sind meist sehr stark und entschlossen…

 

Ich glaube nicht, dass ich etwas anderes darstelle als das, was ich täglich erlebe, sehe und durchlebe. Frauen sind stark, tüchtig und kompetent, und genau das porträtiere ich in meinen Filmen: die starken weiblichen Verwandten, mit denen ich aufgewachsen bin. Ich wurde nie dazu erzogen, ein Opfer zu sein, sondern ein gleichberechtigtes, beitragendes Mitglied der Gesellschaft. Ich bin wütend über Ungleichheit auf allen Ebenen, sei es hinsichtlich des Geschlechts oder der ethnischen Zugehörigkeit. Mutter Teresa war Geschäftsführerin eines Unternehmens und Generalin einer Armee. Was ist Heiligkeit anderes als Handeln?

 

Wie haben Sie recherchiert? 

 

Meine Schwester Labina und ich hatten die exklusiven Videoaufnahmen der letzten vier Schwestern, die den Orden gegründet haben und Mutter Teresa kannten. Viele ihrer Geschichten sind im Film verarbeitet worden, sie bilden einen wesentlichen Teil der von uns geschaffenen Charaktere. Einige Dialoge im Film sind direkte Transkriptionen unserer Interviews. Dann ist da noch Kalkutta in Indien – ein magischer und doch erschreckender Ort. Die Dreharbeiten dauerten 15 Jahre. Ich filmte, berührte und lebte mit den Unberührbaren, den Ausgestoßenen und den Kranken, darunter auch Leprakranken. Ich nahm sogar ein rituelles Bad im Ganges, um zu verstehen, wie sehr Mutter Teresa es brauchte. Der gesamte Prozess war eine enorme Erfahrung und ein Lernprozess in Demut und Ausdauer. Zuerst kommt die Vorbereitung, dann der Drehtag, an dem die Realität zuschlägt. Indien ist ein Land von großem kulturellem Reichtum und großer Tradition. Hinzu kommen die tiefen Narben der britischen Kolonialvergangenheit. Für mich als Westlerin ist das zunächst schwer zu begreifen. Meine erste Lektion bestand darin, die Flexibilität des „Jetzt“ zu verstehen. Die Zeit vergeht dort anders, und wenn man das im Kontext eines Drehtages betrachtet, kann es verwirrend sein. Mir wurde schnell klar, dass ich lernen musste, der indischen Crew zu vertrauen, ihr Zuversicht zu geben, um gemeinsam etwas aufzubauen. Mit über 400 Statist:innen und einer Crew von rund 300 Menschen war das alles neu für mich, aber auch wunderschön. Wir haben nicht nur überlebt, wir haben gemeinsam Kunst geschaffen! 

 

Wie viele Heilige war Mutter Teresa keine in spirituelles Licht versunkene Seele, sondern ein Mensch, der sich selbst strenge Regeln auferlegte und beeindruckende Disziplin bewies. Brauchen wir vor allem präzises Handeln, um anderen zu helfen? 

 

Wir alle suchen nach dem Sinn des Lebens, streben danach, etwas Größeres zu erreichen und einen Beitrag für die Menschheit und die Welt zu leisten. So bin ich erzogen worden. Leider haben wir in unserer Welt eine Atmosphäre geschaffen, in der das „Ich“ im Mittelpunkt steht. Das ist heute ausgeprägter denn je. In unserer Besessenheit, Geld zu verdienen, berühmt zu werden oder beides, ist es fast unmöglich, das reine Bedürfnis zu akzeptieren, einfach zu teilen und zu helfen. Ich habe bis zu meinem 50. Lebensjahr gebraucht, um das Selbstvertrauen eines 18-jährigen Xavier Dolan zu erlangen – den ich bewundere und dessen Filme ich sehr liebe. Ich spreche hier nicht nur für mich selbst, sondern für Generationen von Frauen, denen das Selbstvertrauen und die Selbstsicherheit fehlten, einfach zu sein. Es hat 25 Jahre gedauert, um dorthin zu gelangen, wo ich heute bin, und „Teresa“ zu drehen, einen Film, der repräsentiert, wer ich bin und wer ich sein möchte: mutig, kühn und frei. Es ist die Freiheit, die wir Menschen uns selbst geben, und die Freiheit, die wir Frauen so zögerlich in unserem Leben wie auch in unserer Kunst praktizieren. Die Punkrock-Energie des Films zeigt diese neu gewonnene Freiheit, aber auch den Robin Hood in mir. Anstatt Frauengeschichten auf maskuline Weise und nach dem etablierten und akzeptierten Erzählmodell zu erzählen, möchte ich dazu einladen, in eine sehr weibliche Art des Geschichtenerzählens einzutauchen. Durch die Verwendung des Bewusstseinsstroms ermöglicht der Film dem Zuschauer, die Welt durch Mutters Augen zu sehen und bringt ihn in engen und lebendigen Kontakt mit einer Figur aus einer anderen Zeit.

 

Wie haben Sie mit Noomi zusammengearbeitet, um ihre Figur zu entwickeln? 

 

Ich wollte mit einer Schauspielerin arbeiten, die ganz natürlich die Punkrock-Energie ausstrahlt, die Mutter Teresa meiner Meinung nach ausmachte, und die eine gewisse Bissigkeit besitzt. Noomi ist ein Juwel: ein sensibler Schmetterling, ein Rockstar und eine Naturgewalt. Wir haben anderthalb Jahre damit verbracht, die Figur zu entwickeln. Ich glaube nicht an Wunder, nur an harte Arbeit – und sie auch nicht. Wir haben Lesungen gemacht, jedes einzelne Wort im Drehbuch analysiert, Dinge hinterfragt, recherchiert und 21 Entwürfe geschrieben … Es war ein wunderschöner Aufstieg vom Tiefpunkt bis zum Gipfel - kein schneller, aber ein stetiger. Wir haben auch über ihr Vermächtnis gesprochen, die Kontroversen um sie und was sie für uns als moderne Frauen bedeuten. Wir haben die Tiefe und Reichweite ihres humanitären Vermächtnisses, die religiösen Beweggründe dahinter und die Kontroversen um ihr Werk während und nach ihrem Leben besprochen. Wir haben auch darüber nachgedacht, was diese Kontroversen für uns als Zivilisation des 21. Jahrhunderts bedeuten, die endlich beginnt, Geschlechterrollen und das Wesen von Macht in all ihren Erscheinungsformen, einschließlich Rassismus, Kolonialisierung und kapitalistischer Ausbeutung, zu überdenken. Als Regisseurin war es beeindruckend, Noomis völlige Verwandlung mitzuerleben. Ich werde den Moment, als sie es erkannte, nie vergessen: Sie rief mich mit zitternder Stimme und einer Zerbrechlichkeit an, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte. Sie hatte Angst - und ich wusste in diesem Moment, dass sie die Figur, selbst ihre tiefsten Ängste, vollständig verkörpert hatte. 

 

Der gesamte Film dreht sich um die Vorstellung, dass der jungen Schwester, die Mutter als ihre Nachfolgerin auserwählte, etwas zugestoßen ist. Wie viel von dieser Geschichte könnte wahr sein? 

Die Zeit mit den Schwestern aus Mutter Teresas Orden enthüllte mir viele Details über ihr wahres Ich. Die Szene mit der Rechenmaschine und Schwester Katarina ist zum Beispiel tatsächlich passiert. Dasselbe gilt für die Geschichte, die Agnieszka mir über ihren Bruder erzählte und wie er General in ihrer Armee wurde. Eine der Schwestern erzählte uns auch von ihrer Beziehung zu materiellen Gütern, ihrem Beharren darauf, Dinge nicht zu verarbeiten, und ihrer Art, Möbel in jedem Raum, den sie betrat, umzustellen. Wir entwickelten ihren gesamten Charakter anhand dieser Geschichten. Darüber hinaus schildern ihre Memoiren ihre dunkle Zeit. Die Kontroverse um ihre Beziehung zu ihrem Beichtvater, Pater Exam, wird in unserem Film durch Pater Friedrichs Figur thematisiert. Als wir mit dem Schreiben des Films begannen, waren wir versucht, über diese Affäre und die tiefe persönliche Beziehung zu sprechen, die Mutter Teresa zu ihrem Beichtvater hatte. Als jemand, die sie bewundert, ging mir der Gedanke jedoch nicht aus dem Kopf: Wie konnte eine so zeitgenössische Figur, die ich langsam kennenlernte, eine so harte Haltung gegenüber Abtreibung einnehmen, einem Thema, das uns Frauen so persönlich betrifft? Mutter Teresa wurde dafür immer kritisiert, aber ich scheue mich nicht vor Kontroversen. Also beschlossen wir, den Stier bei den Hörnern zu packen - und zu versuchen, sie durch unsere Geschichte zu verstehen. 

 







Foto:
©Verleih

Info:
BESETZUNG
Mutter Teresa NOOMI RAPACE
Schwester Agnieszka SYLVIA HOEKS
Pater Friedrich NIKOLA RISTANOVSKI
Schwester Katarina MARIJKE PINOY
Novizin Agatha EKIN CORAPCI
Schwester Mercedes LABINA STRUGAR MITEVSKA
Doktor Kumar AKSHAY KAPOOR
Novizin Tabitha VALA NOREN

STAB
Regie TEONA STRUGAR MITEVSKA
Drehbuch TEONA STRUGAR MITEVSKA
Drehbuch GOCE SMILEVSKI
Drehbuch ELMA TATARAGIC