Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. November 2014, Teil 5

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main – (Weltexpresso) Nachdem schon unterschiedliche Besprechungen zu lesen waren, könnte im Anschluss zu dem bereits Entstandenen, bzw. auch zu manchem Gesprochenen, so etwas wie ein Räsonement erfolgen. Filme haben ganz unterschiedliche Wirkungen, erzeugen die verschiedensten Eindrücke in den einzelnen Subjekten.

 

Das haben die Werke der geschaffenen Geschichten so an sich. Sie sind immer schon bereits im Ansatz multideterminiert (nach dem freudschen Terminus), müssen es auch sein, weil sich sonst ihre Wirkung auf zu engem Grat bewegen würde und die Vermittlungs- und Überzeugungsarbeit in Bezug auf das Sujet zu sehr scheitern könnte. Indessen die Vermittlungsarbeit implizit stattfindet. So wirkt Form nicht aufgesetzt.

 

 

Der Spielfilm

 

Ein Spielfilm ist immer Kolportage eines wirklichen oder der Wirklichkeit nahen Geschehens, die er an die Massen richtet und ihnen mit filmischen Kniffen verkaufen will. Filme wie „Titanic“, „Schindlers Liste“ oder der Holocaust-Film der Siebziger Jahre, der wohl überwiegend als Fernsehserie konzipiert war, handeln zwar von real Geschehenem, aber dies wird in eine Spielfilmfassung gebracht, weil sonst die Massen - von deren Faktum wir ausgehen müssen - nicht erreicht würden. Für den Film geht es zunächst fast immer um die Massen, insbesondere auch, wenn ein brennendes Thema filmisch inszeniert werden will.

 

Ein Spielfilm ist nicht so sehr darauf angelegt, eine wissenschaftliche dokumentarische Aufklärungsarbeit zu leisten - diese Form ist andererseits ebenso legitim, war aber hier nicht gewählt und ist für den jugendlichen Einstieg ins Thema des geschichtlichen Handlungsgegenstands eher auch nicht für einen ersten Versuch oder bei Gelegenheit einer ersten Möglichkeit unbedingt sinnvoll. Der Einwand, ob sich ein Spielfilm für die Einzigartigkeit des Gegenstands und seiner Begebenheiten überhaupt eigne, ist allerdings berechtigt.

 

Lassen wir es bei den jeweiligen Entscheidungen für die je eine oder andere Möglichkeit (die wissenschaftlich dokumentarische oder die spielfilmartige).

 

 

Sozialisierung durch Film

 

These: der Mensch wird mit einer bestimmten Film-Ära seiner frühen Lebenzeit sozialisiert und zwar möglicherweise wesentlich und entscheidend. Das kann der Autor zumindest für sich reklamieren. Filmerlebnisse in der Zeit der Halbwüchsigkeit – und davor – könnten konstitutiv sein für die Entwicklung des Charakters oder der Persönlichkeit. Es gab zentrale Streifen, wie z.B. 'Spartacus' (Kubrick,1959) oder 'Samson und Delilah' (De Mille, von 1949), die einschneidend waren. Wobei noch andere Einflüsse und Gegebenheiten mitspielen, von bestimmten Western mit Indianern und deren Gegenwelt gar nicht zu reden. Es war die auf eine Periode bezogene große Hollywood-Ära der späten Fünfziger und der ganz frühen Sechziger Jahre, die prägend wurde. Gesellschaftlich und wirtschaftlich war es die Zeit der Rekonstruktion, die nun lange vorbei ist und mehr in Dekonstruktion, wenn nicht gar in Destruktion - des schon Erreichten - übergegangen ist.

 

Mit der verfallenen Ordnung der Ära nach dem großen Kriegsgemetzel – ein Prozess, der schon lange in Gang ist – hat auch der Film einer großen Zeit des Films sein Ende gefunden. Der Spielfilm ist zu jeder Zeit eine Kunstform für die Massen in der Massenkultur und jetzt in der Massenmedienära. Ob diese Form hinreicht, um Aufklärung über Unheil und Elend zu ermöglichen und dieses auf ein weiteres zu verhindern, ist durchaus fraglich. Das gilt auch für all die fein strukturierten analytischen Gebilde der Aufklärung und Erkenntnis, so ist leider zu fürchten. Voltaire wusste, warum er „Candide“ herausbringen musste. Er war Aufklärer, aber mit einem realistischen Blick auf das menschliche Treiben. Heute sieht man sich mit Exemplaren von politischen Proselyten und Pro-Proselyten konfrontiert: Lagerwechsel erst nach links, dann nach rechts oder vielleicht nur wieder nach rechts gibt es - nicht wenige sind solcher Fälle schrecklicher Wendungen.

 

 

Der Film, der zu bewerten war

 

Der Film „Im Labyrinth des Schweigens“ sei als gesehen vorausgesetzt: es soll keine Kritik geben, die sich in ein Einzelnes verbeißt. Zu Bestimmtem, z.B. ad Handhabung Mengele, wurde bereits geschrieben. Mit den Personen, denen die Identifikation gelten soll, mit den Rollen, die sie spielen, kann man leben, mit der bekrittelten Drehplatz-Ausstattung auch; letzteres schafft eine Ästhetik, die die Handlungsstränge und Auftritte in eine gemeinschaftliche Atmosphäre einbettet. Das lässt den Eindruck leidlich haften, nicht nur bei denen, die mit dem Lokalkolorit des Frankfurterischen vertraut sind und mehr oder weniger Liebgewonnenes wiedererzuerkennen meinen. Verbunden mit alldem ist eine nicht zu vernachlässigende Emotionalität, die zwar auch Nachteile mit sich bringt, aber für das sinnliche Anhaften und für die Einwohnbarkeit im Subjekt sorgt. Das kann einem Spielfilm nie auszutreiben sein. Über die Dosierung lässt sich reden. Der Spielfilm unterstützt generell ein Engagement und die Einfühlung in die Protagonisten und die Opfer zumal. Auch mit seiner ein bisschen dick auftragenden Tonspur.

 

 

Aufklärung – das ist es, worum es geht

 

Ein jeglicher Aufklärungsprozess ist widersprüchlich, er verläuft nicht stetig und ist immer unabgeschlossen. Zur Vermittlung der Geschichte an das junge Publikum plädiert der Autor für eine Zweigleisigkeit: für die emotionale Variante der Aufklärung durch den Spielfilm und für die andere, die analytisch-wissenschaftlich angelegte Film-Dokumentation, wobei hier auch avancierte Stilmittel gefordert sind. Weiterhin auch für die zusätzliche bzw. ohnedies nötige begleitende Aufklärung in der Schriftformen, wieder in unterschiedlichen Ausführungen, um die beiden Hirnhälften - gemäß ihrem Verhältnis zueinander – anzusprechen. Junge Leute dürften so ihre Meinung schon zu bilden wissen.

 

Die auf Dauer erfolgreichste Aufklärung und Information bietet die historisch-wissenschaftliche Formulierung, durch Register aus den verschiedenen Fachbereichen unterstützt, indem die sprachliche Form den Mit-Denk-, Einbildungs- und Erkenntnisprozess als Eigenleistung einfordert und dauerhaft begünstigt – jedoch bleibt Aufklärung niemals auf Dauer gesichert! Erkenntnis und Wissen erfordern ein immer erneutes Ansetzen am Thema. Es gibt auch Erkenntnisprozesse, die in sich zusammenfallen, versiegen.

 

Es sind zwei Hälften des Aufklärungs-, Wissensvermehrungs- und Erkenntnisprozesses zu verzeichnen: die 'Bilderform-Narration' – Fiktion auch möglich - und eine diskursiv analytisch-sezierende, sprachliche also; je nach Lage, Möglichkeit oder Neigung ist mehr die eine oder andere Form der Vermittlung vorzuziehen. Die Film-Dokumentation bewegt sich in einem Zwischenbereich. Sie ist nach beiden Seiten offen, ist besonders nutzbare Möglichkeit. Im übrigen kommen noch die bildnerischen Formen des künstlerischen Objekts hinzu.

 

Der Spielfilm kann nicht irgendwann dann doch zur präzisen Diskursivität überwechseln. Er ist und bleibt die Form der laufenden, an der Handlung entlang entwickelten Bilder. In der emotional verfassten Bildhaftigkeit markiert er durchaus einen schwer auflösbaren Widerspruch zwischen Aufklärung (klassisch, rein) und Nicht-so-Aufklärung, aufgrund auch der vielfach suggestiven Szenen- und Bildfolge, die nicht frei der Illusion und Manipulation ist oder sein kann (gegebenenfalls auch mit verfügter Fälschung, im Dienst von Wirkung). Die Illusion, bzw. deren filmische Ausprägung gehört zur zentralen Natur des Spielfilms. Funktioniert nicht auch das Leben fragwürdig und widersprüchlich, kaum rational? Rechtfertigungen soll aber nicht Vorschub geleistet werden.

 

Die Zeiten des Verdrängens, sind sie wirklich nur begrenzt?

 

Kommen wir zurück auf auf das Skandalon der Nachkriegsjahre. Der Film bezieht sich auf den Widerspruch zwischen neu entdeckter Lebenslust und starkem Drang zum Vergessen, Verdrängen, Ad-Acta-legen, wie es im Nachkriegsdeutschland üblich war. Dieser Kontrast, wie im Film vermittelt, ist der zentrale Ausgangspunkt und so wie er aufbereitet wurde, ist er als das Hauptmotiv für den Films der unmittelbar zutreffende. Herrschten eben noch NS-Terror und indoktrinierte Gleichschaltung vor, so war bald wieder Lebenslustigkeit, Singsang und angestrengte Leichtlebigkeit, trotz all dem, was geschehen war; Oberflächlichkeit, Zerstreuung war angesagt, um von der „Schmach des Zusammenbruchs“ abzulenken.

 

Die CDU war die Partei, die die verstrickten Nazis eingesammelt und ihnen wieder eine weiße Weste und ein gutes Gewissen verschafft hat. Die Hitlergegner bekamen den Ruch der vaterlandslosen Gesellen ab. Hinzu trat der verlogen christlich getönte 'Besitzbürgermaterialismus', der es gestattete zu sagen: 'Wir sind wieder Wer`. Das war ein genialer polit-strategischer und psychotechnischer Schachzug, von Adenauer eingefädelt, der bis heute fortwirkt, so dass wir noch immer in den Ausläufern und im Bann jener Zeit stehen mit dem, was die politische Landschaft heute darbietet..

 

Das, was der Spielfilm thematisiert, ist mit Aufklärung nie abschließend, erschöpfend zu durchdringen, gänzlich zu beleuchten, gar überwindbar (als ein Schlechtes). Dies ist Daueraufgabe für jede filmische Form von Aufklärung. Machen wir uns nichts vor. Ein Thema ist immer gut, aber es harren dieser so viele. Sind so viele Filme in Umlauf, weil so vieles im argen liegt? Das Übel kommt aus so manchen Ecken, die wir womöglich bislang noch für eher harmlos gehalten haben, nicht wert, sich ihnen zu widmen.

 

Formen des Übels sind vielfältig und unerschöpflich. Wenn es da etwas Widersacherisches gab im Nationalsozialismus – was unzweifelhaft ist -, etwas durchaus Teuflisches, so müssten wir uns heute fragen, was denn des Widersacherischen im Jetzt und Heute sei und quasi von höchst fragwürdiger Art (ohne das unbedingt religiös zu meinen).

 

Da gibt es ein paar Dinge, die sich mittlerweile in unserer Welt eingestellt haben seit den Goldenen Fünfzigern und Sechzigern; etwas, das die Völker in eine neue Zwangsjacke, in einen großen Freilandversuch und in ein Labor-Experiment mit all dem, was da kreucht und fleucht, eingezwungen hat. Die Frankfurter Rundschau titelte neulich aktuell zutreffend: „Klassenkampf von oben“, - „Europas Anti-Demokraten“ (FR 03.11.2014). Bezogen auf Argentinien und Hedgefonds lautete es zuvor schon: „Die Geier kreisen weiter“. (ver.di.publik 06.2014). Auch die FR hatte schon das Hedgefond-Thema aufgegriffen.

 

Plädoyer daher: nicht zu lange bei der Analyse eines Films, ob er denn nun angehe oder nicht, ob er denn vertretbar sei oder weniger, stehen bleiben, denn so könnten wir von neuer Unbill unvermittelt eingeholt werden, die das in Rede stehende geschichtlichsnotorische Übel zwar niemals übertreffen wird, aber ihm recht nahe kommen könnte. Denn die Mittel des Bösartigen sind unzählige. Es tritt unscheinbar herein.

 

 

INFO:

Film: 'Im Labyrinth des Schweigens', Deutschland, 2014, E-Kinos Frankfurt am Main

 

„Im Labyrinth des Schweigens“, fasst die Vorgeschichte des Auschwitzprozesses in eine eigene Filmsprache.