Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 17

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Welch ungewöhnlicher und schlagender Filmbeginn: wir sind hingerissen. Die Leinwand wird ganz am Anfang, in die dröge Aufführung aller Mitwirkenden hinein, im rasanten Dreierpack mit den tollsten Bildern bestückt: alte Autos, tolle Typen, Diego Rivera und Frida Kahlo sind auch dabei, denn es geht um den Aufenthalt des genialen russischen Regisseurs in dieser malerischen Stadt nördlich von Mexiko-Stadt, eine der vier barocken Städte der spanischen Siedler, heute ein beliebter Touristenort für Amerikaner.

 

Als Eisenstein 1931 nach Guanajuato reiste, um dort seinen Film QUE VIVA MÉXICO zu drehen, war Diego Riveras Geburtsstadt eine voll von Künstler des Landes. Doch von der Stadt und dem Aufenthalt berichtet der Film nicht weiter, da er auf etwas konzentriert ist, was erst mal opulent, frech und schräg über die Leinwand kommt. Denn der russische Künstler findet es auf der einen Seite völlig normal, daß sich alles um ihn dreht und er ein Leben ins Saus und Braus führen soll, wenn er allerdings nach 10 Tagen wieder abreist, in seinem so kurzen Aufenthalt nie ein Film entsteht, dann steht das dafür, daß irgendetwas passiert ist.

 

Drei berühmte Filme haben Eisenstein überlebt, der PANZERKREUZER POTEMKIN ist für die meisten der bekannteste, aber auch OKTOBER ist geläufig, der in Deutschland heißt 10 TAGE, DIE DIE WELT ERSCHÜTTERTEN. Für den Regisseur Greenaway, der in den Siebziger Jahren durch Schwulenfilme unzeitgemäß Aufsehen erregte, hat sein Film über Eisenstein das Motto: 10 Tage, die EISENSTEIN erschütterten. Und nach diesem Motto inszeniert er auch. Das Leben in Saus und Braus, wer denkt denn an die Sowjetunion, wenn alles geboten wird, einschließlich der Entjungferung des Russen. So sehr wir lange die bunten Bilder, die dramatischen Schnitte, die beispielsweise die originalen Schwarzweißaufnahmen aus Eisensteines Filmen zeigen, den herrlichen Luxus, das tolle Essen und Trinken, die schönen Menschen in uns aufnahmen, sind wir auch bei der Verführung des vom Finnen Elmer Bäck phantastisch gespielten Eisenstein anfänglich noch bejahend dabei gewesen. Doch mitten drinnen in der ansehnlichen schwülen Schwulenerotik, der mexikanische Liebhaber (Luis Alberti,), der eigentlich auf ihn aufpassen sollte, ist der Verführer und er macht seine Sache mit einem dunkel getönten, wie eine Skulptur gemeißelten Männerkörper gut – und mittendrinnen wird uns das nicht nur zuviel, sondern geradezu widerlich und degoutant. Sind wir auf der Berlinale in einem Softporno oder einem harten gelandet?

 

Wir fragten uns nämlich auf einmal, noch im Film, was hat Peter Greenaway eigentlich bewogen, die Sexualität Eisensteins – in der Pressekonferenz betont er, dieser sei in Mexiko mit 33 Jahren entjungfert worden ???– zu einem Thema der Welt zu machen. Eisenstein konnte er nicht mehr fragen, aber hat die sexuelle Orientierung des russischen Meisters irgendetwas mit seiner Kunst, seiner Genialität als Filmemacher zu tun. Wenn nicht, muß man schon fragen dürfen, ob dies nicht Eisenstein alleine etwas angeht. Wir hassen inzwischen das Zwangsouting sexueller Präferenzen durch Dritte. Dritte, die durch selber Schwulsein noch unbekannte Homos als solche für sich, für ihre Bewegung einvernehmen. Was geht das jemanden an. Und so sind wir im Film nicht nur abgelenkt, sondern finden nach dem fulminanten Ritt über das hochherschaftliche Bett im Palast das Weitere mehr als dürftig. Da wird geflickschustert und auf einmal Auftraggeber Upton Sinclair – der einzige erfolgreiche US-Schriftsteller mit sozialer, ja kommunistischer Thematik – mithineingezogen in wirre Geschichten und Konflikte. Schließlich blieb Eisenstein fast ein Jahr in Mexiko und stellte 50 Minuten Film her. Den Regisseur Eisenstein gibt es in diesem Film über ihn aber nicht.

 

Der Film hat längst Fahrt verloren und da wir mittendrinnen diese Fahrt auch als eine Irrfahrt empfinden, waren wir froh, als alles zu Ende war. Die beiden Schauspieler, die das Liebespaar gaben, waren sehenswert, aber der Film selbst ist peinlich, am oberpeinlichsten, daß ihn Peter Greenaway gedreht hat. Eisenstein hat nach Mexiko neun Jahre keinen Film gemacht, aber die Zeiten in der Sowjetunion waren knochenharte. Natürlich hätten im Film dringend seine Aufnahmen, aus denen nie ein Film wurde, gezeigt werden müssen. Die Aufnahmen sind in Rußland existent. Aber die russischen Behörden waren nicht hilfreich, auch bei anderem nicht, wurde vom Filmteam betont. Man kann es ihnen nicht verdenken, denn wenn Greenaway in der Pressekonferenz auch noch so äußert, wie sehr er Kollegen Eisenstein als Theoretiker und Macher von Kino bewundert und ihm eine eigene cineastische Sprache zugesteht, zudem seine Fertigkeit fünf Sprachen perfekt zu sprechen und fünf weitere verstehen zu können, so findet sich nichts von diesem Respekt in seinem Film.

 

Ärgerlich ist ein Weiteres. Natürlich ist Mexiko der ideale Austragungsort für EROS und THANATOS, was dem Film eigentlich zugrunde liegen soll und – laut Greenaway – besser als Sex und Tod zu transferieren ist. Aber schon diese Übersetzung zeigt, daß der britische Regisseur das Begriffspaar nicht richtig verstanden hat. Eros ist mitnichten Sex alleine. Aber darum wollen wir hier nicht rechten, sondern uns darüber beschweren, daß Greenaway das nur im Munde führt, im Film selbst aber EROS UND THANATOS überhaupt nicht vorkommen, nur Sex und gescheiterte Filmgeschäfte.Wie gesagt, ärgerlich und peinlich und daran können uns auch die nicht hindern, die in diesem Film lauthals den Bärengewinner ausmachen wollen.

 

 

INFO:

 

R: Peter Greenaway

Niederlande, Mexiko, Finnland, Belgien 2014

Englisch, Spanisch, 105'

D: Elmer Bäck, Luis Alberti, Rasmus Slatis, Jakob Öhrman, Maya Zapata, Lisa Owen, Stelio Savante