Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Dezember 2016, Teil 4

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) – DIE HÄNDE MEINER MUTTER ist der letzte Teil einer filmischen Trilogie – alle drei Filme setzen sich mit den Verstrickungen von Familiengewalt auseinander. Wie kamen Sie auf diese Thematik? Weshalb haben Sie sich für eine Trilogie entschieden?


Auf die Idee, eine filmische Trilogie zu erzählen, kam ich auf der Festivaltour meines ersten Spielfilms BERGFEST. In den Gesprächen mit dem Publikum fiel mir auf, wie involviert meistens der ganze Saal zu sein schien, obwohl vermutlich nur wenige etwas Ähnliches erlebt hatten wie im Film der Sohn mit seinem Vater und Stiefvater. Mir wurde da wahrscheinlich zum ersten Mal klar, dass es von universellem Interesse ist, wie wir mit unseren inneren Wunden umgehen.


Auch wenn man das Glück hat weniger drastisch betroffen zu sein als andere, wird es immer wieder Momente geben, in denen man nahestehenden Menschen begegnet, Verwandten, Freunden, dem eigenen Partner, die wegen tiefer Verletzungen auf der einen oder anderen Ebene wie gefangen in sich sind. Was auf ganz unterschiedliche Weise auch das Leben der Menschen um sie herum überschatten kann. Wahrscheinlich kommt das in jeder Familie vor.


Da ich selbst aus einer großen Patchworkfamilie stamme, konnte ich einige solcher Verstrickungen und ihre weitreichenden Folgen und Hintergründe direkt oder aus naher Distanz erleben. Genug um mehr über diese Dinge erzählen zu wollen als in einen Film passt.

 


Was vereint die drei Projekte und worin unterscheiden sie sich?


In allen drei Filmen sind die Protagonisten männlich, anders als in den meisten Geschichten, die von Opfern körperlicher oder psychischer Gewalt erzählen. Sie könnten ebenso gut weiblich sein, aber hier von Männern zu erzählen fand ich u.a. spannend, weil Männer sich normalerweise weniger mit ihren seelischen Belangen auseinandersetzen und die klassischen Rollenbilder es ihnen noch immer schwermachen sich einzugestehen, dass sie vielleicht selbst zu dem geworden sind, was für viele zu den schlimmsten Schimpfwörtern zählt.


In BERGFEST geht es im Kern um eine Vater-Sohn Beziehung, in NORDSTRAND steht ein Brüderpaar im Mittelpunkt und in DIE HÄNDE MEINER MUTTER liegt der Hauptkonflikt zwischen Sohn und Mutter. Aber wie oben erwähnt, ist oft auch das Umfeld involviert, meist unfreiwillig – in BERGFEST z.B. die Partnerinnen von Vater und Sohn, in NORDSTRAND die Eltern der beiden Brüder und in DIE HÄNDE MEINER MUTTER fast die ganze Familie, insbesondere die Frau des Protagonisten.

 


Wie haben Sie sich auf die Filme vorbereitet, steckt dahinter viel Recherchearbeit?


Der Rechercheaufwand wurde von Film zu Film größer. BERGFEST hatte noch die meisten autobiografischen Züge, da war am wenigsten Recherche nötig. NORDSTRAND war schon eine viel freiere Interpretation eigener Erlebnisse und bei DIE HÄNDE MEINER MUTTER geht es vergleichsweise wohl am wenigsten um mich selbst, wobei die innige Beziehung zu meiner Mutter sicher auch manchmal grenzüberschreitend war – allerdings nicht im körperlichen Sinne.


Bei DIE HÄNDE MEINER MUTTER habe ich deshalb in einem Zeitraum von vier Jahren u.a. mit drei konkret Involvierten und zwei Psychologen viele Tage und Stunden lang gesprochen, um ein möglichst wahrhaftiges Bild der tatsächlichen Erlebnisse und der damit verbundenen Dynamiken zu bekommen und in das Drehbuch einfließen zu lassen.

 


Wie kamen Sie auf die Geschichte von DIE HÄNDE MEINER MUTTER?


Bei den Recherchen zu NORDSTRAND bin ich im Internet zufällig auf einen anonymen Erfahrungsbericht gestoßen, der mich sehr fasziniert hat. Ein paar Klicks später wusste ich, dass der Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs die Zahl der Frauen unter den Tätern auf immerhin 10-20% beziffert, bei angeblich enorm hoher Dunkelziffer. Meine erste Reaktion war: Warum hab ich davon noch nie gehört?


Auch die meisten Leute aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis waren irritiert und manchmal kam die Gegenfrage: „Wie soll das überhaupt gehen?“ Dass es oft auf ganz andere Art geschieht als man vielleicht denken würde und was das mit sich bringen kann, hat mich gereizt zu ergründen. Gerade in einer Zeit, in der sich stark vereinfachende, stereotype Rollenbilder eher wieder zu verfestigen scheinen und selbst die früher einheitlichen Überraschungseier auch eine rosa Mädchenversion anbieten.

 


Jede einzelne Rolle in DIE HÄNDE MEINER MUTTER ist perfekt besetzt. War es besonders schwierig, den Cast zu finden?


Meine Erfahrung ist, dass sich viele der besten Schauspieler für besonders ungewöhnliche Rollen und komplexe Inhalte interessieren. Trotzdem sind wir bei der Besetzung des Protagonisten Markus auf ein paar Hindernisse gestoßen. Bevor wir den im Filmbereich noch fast unbekannten Theaterschauspieler Andreas Döhler fanden, stand für diese Rolle lange Zeit schon ein anderer, prominenter Schauspieler fest, der aber recht kurz vor Drehbeginn aus privaten Gründen absagte.


Als wir die Rolle dann unter großem Zeitdruck neu casten mussten, merkte ich erst wie groß die Herausforderung war jemanden zu finden, der in seinem Ausdruck zwei fast widersprüchliche Facetten in sich vereinen musste: Anders als in vielen Opferdarstellungen wollte ich dass Markus eine sehr maskuline Ausstrahlung hat. Dass er auftritt wie jemand, dem man nicht so schnell widerspricht. Dass er sich durch seine Männlichkeit gewissermaßen auch mit definiert – und so eine möglichst große Kluft entsteht zwischen seinem virilen Selbstbild und dem, woran er sich nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder schmerzlich erinnert.  

 
Zugleich sollte Markus eine genauso überzeugende kindliche, verletzbare, unbedarfte Seite haben. Andreas Döhler, den ich in dem viel zu unbekannten Film MILLIONEN gesehen hatte, konnte beides so kraftvoll verkörpern, dass er uns am Set und im Schnitt alle umgehauen hat.

 


Warum sollte man sich DIE HÄNDE MEINER MUTTER unbedingt anschauen?


Vielleicht weil der Film von relevanten Dingen erzählt, die in der Öffentlichkeit noch viel zu unbekannt sind. Aber auch weil er trotz seines abgründigen Kerns eine, wie ich glaube, im Grunde universelle Familiengeschichte erzählt – von Liebe, Gewalt, Auseinandersetzung und vielleicht auch Hoffnung.

 

Foto: (c) Der Regisseur mit der Darstellering der Ehefrau (Jessica Schwarz) (c) t-online.de

 

Info:

Schauspieler

Markus                 Andreas Döhler
Monika                 Jessica Schwarz
Mutter Renate       Katrin Pollitt
Vater Gerhard       Heiko Pinkowski
Sabine                 Katharina Behrens
Johannes             Sebastian Fräsdorf

Regie und Buch    Florian Eichinger
Kamera               Timo Schwarz
Schnitt                Jan Gerold
Musik                  André Feldhaus
Kostüm               Maren Esdar
Szenenbild          Tamo Kunz
Ton                     Urs Krüger
Maskenbild          Roman Bartl