Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. Februar, Teil 6

Filmheft

Paris (Weltexpresso) - Das Besondere an der Rolle der Madame Christine ist, daß wir sie alle erst einmal falsch einschätzen. Als die biedere, wenn auch hübsche, so aber doch sehr konventionelle Gattin aus den höheren Kreisen, arrogant bis zum Gehtnichtmehr, die ihren Mann für sich arbeiten läßt. Niemand verändert sich im Film - zu unserer Ver- und Bewunderung aber so wie diese Madame Christine, weshalb der Film mit Recht nach ihr heißt. Die Redaktion


Wie sehen Sie Christine Dubreuil?


Frauen wie Christine gibt es. Sie ist eine urtypische Französin einer gewissen Gesellschaftsklasse. Sie wurde so erzogen, sich immer der Familie und ihrem Mann unterzuordnen, bloß kein selbstbestimmtes Leben zu führen. Christine gehorcht diesem Kodex eines gewissen „Alten Frankreichs“. Ich bin sicher, sie bewegt sich nur in den schicken Vierteln von Paris, und ein Ausflug nach Montreuil oder Belleville mit vielen Migranten oder anderen sozialen Verhältnissen wäre für sie wie eine Reise nach Timbuktu. Aber es knirscht in ihrer Beziehung zu ihrem Mann, und die gemeinsame Tochter hat eher
linke Ansichten. Also stimmt etwas nicht mehr in ihrem Leben.

 


Auch wenn Christine wenig mit Ihnen gemeinsam hat, empfinden Sie für sie Mitgefühl?


Oh ich liebe sie. Wie immer in den Filmen von Alexandra Leclère geht es um Widersprüche und Ambivalenz. Christine Dubreuil ist die Tochter eines Soldaten. Sie ist viel gereist und spricht mehrere Sprachen. Zunächst wirkt sie wie eine Karikatur, aber, wenn man genauer hinschaut, entdeckt man andere Träume und Fantasien. Ich mag sie sehr, weil sie einerseits in ihrem sozialen, familiären Umfeld gefangen ist, aber durchaus auch moralisch denkt und Zweifel hat.

 


Macht sie so etwas wie ein Erdbeben durch, als die Notverordnung über Wohnraum in Kraft tritt?


Dieses Erdbeben betrifft ja alle. Ganz ehrlich, wenn ich plötzlich in meinem Haus Bedürftige aufnehmen müsste, hätte ich damit durchaus ein Problem. Seine Intimsphäre mit Fremden zu teilen, macht uns Sorgen. Wir leben ja in einem gewissen Wohlstand und sind verwöhnt.

 

Diese dramatische Situation ist zurzeit noch Fiktion. Dabei sind die aktuellen Entwicklungen besorgniserregend, oder?


Alexandra hat ein Händchen für wichtige und relevante gesellschaftliche Themen. Die Überschneidung ihrer Geschichte mit der Migranten- und Flüchtlings-Problematik ist frappierend. Ich mag an dem Film das Übertriebene, Draufgängerische. Er ist so schön respektlos. Das ist so selten geworden im Kino, weil man immer nur politisch korrekt sein will. Der Tonfall des Films erinnert an eine gewisse Epoche des italienischen Kinos oder an die Filme von Jean Yanne. Alexandra legt den Finger in die Wunden, zeigt, wie überempfindlich ein Teil der Gesellschaft reagiert, während andere einfach nur feige und
scheinheilig sind. Man kann aber über alle Figuren im Film lachen und sie auch gerne haben.

 


Wie arbeitet Alexandra Leclère?


Sie ist eine richtige Arbeiterin und kennt alle ihre Dialoge auswendig. Alexandra erstellte unzählige Drehbuchfassungen und stand um 5 Uhr morgens auf, um noch an Szenen zu feilen oder sie umzuschreiben. Man muss lernen, ihrem Rhythmus zu folgen, aber Alexandra kann zuhören, und sie braucht wohl ein gewisses Ungleichgewicht, um beim Drehen zu funktionieren. Sie ist am Set aber keine Diktatorin, allerdings ständig freudig erschöpft und damit glücklich.

 


Wie verlief die Zusammenarbeit mit den Kollegen, wie Didier Bourdon, Valérie Bonneton und Michel Vuillermoz?


Didier und ich kannten uns vorher nicht, aber ich freute mich sehr auf dieses Zusammenspiel. Er ist eine ideale Besetzung für Pierre Dubreuil, eine Figur, die zu Beginn des Films noch ein echtes Ekel ist. Didier ist sehr facettenreich: Er kann sehr sensibel sein, verfügt über eine weibliche Seite, über Sanftheit und Liebenswürdigkeit. Er kann aber auch anders und verkörpert Autorität und Macht. Ich mag beides … Außerdem ist er sehr talentiert und es macht Spaß, mit ihm zu arbeiten.


Mit Michel hatte ich leider kaum gemeinsame Szenen, dabei ist er ein Schauspieler, den ich sehr schätze. Valérie kenne ich seitdem wir gemeinsam auf der Bühne standen. Sie ist eine Vollblutkomödiantin: sehr komisch und dennoch voller Tiefe. Ich sehe ihr gerne bei der Arbeit zu.

 

Foto:Madame Christine mit ihrem rüpelhaften Ehemann, der seine Frau nach 25 Jahren erst kennenlernt  (c) Verleih

Info:

DIE BESETZUNG

Christine Dubreuil   Karin Viard
Pierre Dubreuil        Didier Bourdon
Béatrice Bretzel       Valérie Bonneton
Grégory Bretzel       Michel Vuillermoz
Hausmeisterin         Josiane Balasko
Exzentrischer Nachbar   Patrick Chesnais
Madeleine               Sandra Zidani
Françoise Dubreuil   Michèle Moretti
Audrey Dubreuil      Pauline Vaubaillon
Fatimata                 Firmine Richard
Mme Abramovitch    Anémone
M. Abramovitch        Jackie Berroye